Название | Tödliches Nickerchen am Mondsee |
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Автор произведения | Wilhelm Huch |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783969872529 |
Ich war unleugbar beglückt, den Erzählungen einer echten Schriftstellerin lauschen zu dürfen, auch wenn der Redeschwall nach einer Weile im gesteigerten Ausmaß ermüdend wurde und ich darob außerdem meinen Termin für die Voruntersuchung versäumte. Sollte meine Operation nicht so erfolgreich verlaufen, wie mir dies Dr. Fabregas in Aussicht gestellt hatte, sondern eher eine solche Wendung nehmen, wie es die von mir unterschriebene Einverständniserklärung für durchaus möglich erscheinen ließ, so würde ich jedenfalls die Erzählungen einer jungen, aufstrebenden Dichterin mit ins Jenseits genommen haben.
Als es schließlich ernst wurde und ich nur mit einem Spitalsnachthemd bekleidet im Vorzimmer zum Operationssaal auf meinem Bett lag, wurde mein Denken von einem einzigen Gedanken geprägt: Was würde geschehen, wenn ich während der Operation plötzlich den Drang verspüren sollte, auf die Toilette zu müssen? Da ich sehr lange warten musste, bis ich endlich in den OP geschoben wurde, schien es nicht so abwegig zu sein, dass das von mir Befürchtete auch tatsächlich eintrat. Dass die Gabe einer hinreichend großen Dosis eines Narkotikums das Entstehen des mir so bedrohlich erscheinenden Dranges allenfalls verhindern würde, kam mir nicht in den Sinn. Auch jetzt würde ich nicht ausschließen, dass die mir damals noch bevorstehende, jetzt schon lange zurückliegende Narkose mein Problem doch nicht gelöst haben würde. Was verwunderlich war: Ich dachte nicht an den Erfolg oder Misserfolg der anstehenden Reparatur meines Herzens, sondern nur an das zuvor Erwähnte. Wahrscheinlich machte dies aber die langsam verrinnenden Minuten im Vorzimmer genauso schwer erträglich wie die in dieser Situation viel näher liegende Angst vor dem als möglich dargestellten Ergebnis der Operation.
Nach einer allenfalls durch technische Gebrechen verursachten und mir als Unendlichkeit erscheinenden Wartezeit schob man mich in den OP, wodurch meine Gedanken naturgemäß etwas abgelenkt waren, die Situation insgesamt sich jedoch leider nicht entspannte. Nun trat das unvermeidliche Ereignis immer näher an mich heran, man beraubte mich meines ohnehin schon sehr dürftigen Nachthemdes und begann, die der Tunnelöffnung für mein Schirmchen entgegenstehenden Schamhaare abzurasieren. Meinem Ersuchen nach ein wenig wärmenden Textilien – den Schwestern und dem später herantretenden Ärzteteam mochte es angesichts der anstehenden Arbeit warm gewesen sein, ich hingegen fror, nicht zuletzt wegen der mir verordneten Bewegungslosigkeit – kam man zwar nach, dennoch fühlte ich mich sehr nackt auf dem OP-Tisch. Und ich war es ja wohl. Dabei verließ mein Bewusstsein im Laufe der nächsten Vorbereitungshandlungen allmählich den Ort des Geschehens, man ließ die Wohltat der Narkose durch eine Leitung in mich fließen, bevor man das berühmte Schirmchen durch das fachgerecht verlegte Kanalrohr in mein Herz einführte. Dr. Fabregas dürfte den OP erst betreten haben, als ich mich schon teilweise in meine Traumwelt verabschiedet hatte. Dunkel tauchte in späteren Jahren sein von einem riesigen Mundschutz verhängtes Gesicht vor meinen Augen auf. Da ich ihn weder davor noch später je persönlich in wachem Zustande getroffen hatte, beruhten meine diesbezüglichen Erinnerungen wohl nur auf der Annahme, dass es Dr. Fabregas gewesen sein musste. Denn anders als bei traditionellen Fahrzeugkontrollen durch die Polizei wies sich Dr. Fabregas mir gegenüber nicht durch einen Lichtbildausweis aus. Selbst wenn er dies getan hätte, wäre ein Vergleich des Ausweisbildes mit der Wirklichkeit durch die Operationsverkleidung des Arztes nur schwer möglich gewesen. Damals hatte ich aber keinen Grund, an seiner Identität zu zweifeln. Auch an seinen Fähigkeiten, die man zuvor schon vielfach gelobt hatte, hatte ich keinen Zweifel. Ich ergab mich ohne erlebnisstarke Gefühle dem da Kommenden und war bloß dadurch peinlich berührt, dass der Gedanke an den plötzlich notwendigen Toilettenbesuch die schönen Geschichten Olga Flors zu überlagern drohte.
Als mein Geist den OP verlassen hatte, wurde ich dadurch entschädigt, dass ich davon träumte, in einem der Spitalsgänge lustzuwandeln. Es war ein beinahe schwereloses Hinweggleiten über den kalten Boden. Mein Blick streifte die Patienten, die in ihren Betten auf den Gängen ihrer weiteren Bearbeitung harrten, und die zwischen ihnen emsig umherschwirrenden Krankenschwestern und Ärzte. Da ich meinen Spaziergang dazu nutzen wollte, ein mir verschriebenes Medikament zu nehmen, vertiefte ich mich in die Lektüre des Beipackzettels. Dieser legte mir nahe, das Medikament, das ein einer Zahnpaste nicht unähnliches Gel war, auf dem Beipackzettel selbst, und zwar entlang des aus zwei Worten bestehenden Namens des Medikamentes aufzutragen. Ich bestrich den Beipackzettel daher mit dem Gel, konnte danach aber die weiteren Anwendungsvorschriften nicht mehr lesen. Ich fragte eine mir entgegenkommende, wohl nicht unattraktive Patientin oder Krankenschwester, wie ich das Medikament nun zu mir nehmen solle. Sie fuhr mit ihren Fingern über den Beipackzettel und wischte das Gel davon ab, sodass es sich auf ihren Fingern befand. Diese steckte sie mir in den Mund. Ich schleckte sie – genussvoll? – ab. Dies wiederholte sich mehrmals, bis das ganze auf dem Beipackzettel befindliche Medikament in meinen Körper eingedrungen war. Ob zu diesem Zeitpunkt das Schirmchen mein Loch im Herzen in der Realität bereits verschlossen hatte, konnte ich nachträglich nicht mehr eruieren.
Zum Silbernen Halbmond
Finda, Fabregas und Blassnig saßen wie immer am Donnerstag im Silbernen Halbmond und tranken ihr Bier. Finda war ein leidlich erfolgreicher Anwalt in Linz, hatte stets einen grünen Trachtenanzug an und fuhr einen farblich darauf abgestimmten Puch G. Er war nicht allzu groß, für sein Alter aber noch mit ziemlich vielen Haaren gesegnet, sodass man ihn zumeist jünger schätzte, als er tatsächlich war. Dafür war es schon des Öfteren vorgekommen, dass man ihn ob seiner hohen Fistelstimme am Telefon für eine Frau gehalten hatte, was seinem sehr stark ausgebildeten Selbstbewusstsein für ein paar Augenblicke einen kleinen Dämpfer versetzte. Sein herausragendes Merkmal war eine ausgesuchte Höflichkeit, die in krassem Gegensatz zu seinen verschlagenen Gesichtszügen stand und nichts Gutes verhieß. Vielleicht war es diese wie aufgesetzt wirkende Höflichkeit, die jeden, der ihn zum ersten Mal traf, misstrauisch werden ließ. Und dieses Misstrauen ließ in der Regel auch später nicht nach, wenn man Finda länger kannte, denn die Diskrepanz zwischen seinen einschmeichelnden Worten und seinen tatsächlichen Handlungen bewies Findas wahren unlauteren Charakter. So kam es auch, dass er trotz seiner Redegewandtheit und einer für Rechtsanwälte überdurchschnittlichen Kenntnis der diversen Rechtsgebiete letztlich vor Gericht in den meisten Fällen den Kürzeren zog. Denn die Richter vermuteten hinter seinen salbungsvollen Worten stets etwas anderes, als diese ausdrückten. Und in den meisten Fällen hatten sie auch Recht, Findas Mandanten bekamen Unrecht und Finda sein Honorar. Da er es aber auch nach verlorenen Prozessen verstand, seine Mandanten durch seine Höflichkeitsfloskeln von der Realität abzulenken, kamen einige immer wieder zu ihm zurück, um auch im nächsten Prozess zu verlieren.
Seit Kindheitstagen war er mit dem dickbäuchigen Blassnig befreundet, einem seit Kurzem in Frühpension befindlichen Mittfünfziger, der es in seiner aktiven Zeit vom Sportwagenfahrer zum massierenden Besitzer eines physiotherapeutischen Ambulatoriums gebracht hatte. Da er von seiner Jugend an stets auf zu großem Fuße, welcher in der Regel in genagelten handgefertigten Schuhen steckte, gelebt hatte, war der Konkurs seines Unternehmens unvermeidlich gewesen. Dies minderte Blassnigs Lebensfreude aber nicht sonderlich, als er sich kurzerhand in den keineswegs wohlverdienten Ruhestand verabschiedete. Aus sozialversicherungsrechtlicher Sicht wäre dies naturgemäß nicht möglich gewesen. Aber eine der drei Lebensgefährtinnen, die er zur damaligen Zeit sein eigen nannte, machte es ihm möglich. Sie versprach ihm, als Sekretärin in einem oberösterreichischen Leitbetrieb noch mehr zu arbeiten und noch weniger für sich selbst auszugeben. Auf diese Weise konnte Blassnig weiterhin Maßanzüge beim alten Schneider Baseltov in der Bergschlösselgasse kaufen, teure, wenngleich geleaste Autos fahren und dicke Zigarren rauchen. Dass Blassnig in jungen Jahren ein Gigolo der besonderen Art gewesen sein mag, war angesichts seiner jetzigen Beleibtheit nicht leicht vorstellbar, zumindest war seine leicht angegraute, auf eineinhalb Zentimeter gestutzte Haarpracht von solcher Art, dass man versucht war, wie