Die Nann. Anna Croissant-Rust

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Название Die Nann
Автор произведения Anna Croissant-Rust
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788711460832



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      Anna Croissant-Rust

      Die Nann

      Roman

      Saga

      1

      Langsam kam der Kuchler-Anderl den sonnigen Abhang herauf gegen sein kleines Haus zu. Alle paar Schritte blieb er stehen und schaute umher. Er trug seine Feiertags-Montur und war rasiert, denn er hatte gerade sein Weib eingraben lassen, das zweite, die Marietta. Drunten in St. Jodok sassen die andern noch beim Leichentrunk, seine Mädeln, der Bub, der Anderl, und ein weitschichtiger Vetter aus der Freundschaft. Das heisst aus der seinen, denn das Weib war eine Welsche gewesen, und von ihrer Sippschaft wollte er nichts wissen. Es wäre wohl besser gewesen, er hätte von ihr, von der Schwarzen, auch nie etwas gewusst!

      Musste ihn denn der Teufel auf Arbeit über den Brenner führen und musste er gerade in dem Wirtshaus hängenbleiben, wo sie den Roten schenkte? Alle hatten es ihm gesagt, es wird nichts Gutes daraus mit der welschen Hexe – er hatte sie kaum ein Jahr, und schon lag sie auf dem Schragen, und in der Wiege schrie der kleine Balg, das Mädel mit den weissen Haaren.

      War das je bei den Kuchlers vorgekommen, dass sie Kinder hell von Haut und Haar bekamen? Braun waren sie, die Haut wie Leder, schwarz und straff das Haar; er war so, seine Geschwister alle und die Kinder von der Ersten.

      Kuchlergesichter, dunkle, zerknitterte Gesichter, knochig, hager, mit schwarzen Augen und buschigen Brauen, der Körper langgestreckt und sehnig. Nur der Balg war anders, der Marietta ihr Kind. Schneeweiss lag’s drinnen, die Haare waren in Locken geringelt, der Mund klein, alles zart und fein.

      Anderl spuckte heftig aus und trat gleich mit dem Fuss auf die Stelle im niederen, borstigen Grasboden.

      Ja, wenn sie keine Kellnerin gewesen wäre und wenn die Fremden nicht in sein Haus gekommen wären, sie zu besuchen! Sein Kind ist’s nicht, und wenn sie noch einmal an sein Bett kommt in der Nacht und es ihm schwört und noch einmal darüber stirbt, er glaubt’s nicht, er nicht! Genau so wird er’s wieder machen, sich umdrehen, der Wand zu, und sie schreien und heulen lassen.

      Dem Kuchler-Anderl ist heiss geworden; er wischt sich den Schweiss aus dem borstigen Haarschopf und bleibt stehen, keuchend und müde. Seine Augen irren an den kahlen Felswänden hin und her, und seine Gedanken werden wirr.

      Nicht einmal zum Sterben ist er vor ihrem Bett gestanden, sollte er sich denn von seinen grossen Kindern auslachen lassen? Dass die ihn verlachten und verhöhnten, dass er sich das junge Weib ins Haus geholt, sah man ihnen ja von weitem an. Wenn sie’s auch nur verstohlen taten, denn vor ihm getrauten sie sich nicht, da kannten sie seine Fäuste und seinen Stecken zu gut. Freilich, in den Ecken zusammenhocken, wenn sie einmal heimkamen, scheele Augen nach ihm hin machen und heimlich lachen und wispern, das konnten sie. Und erst das Ellbogenstossen und Indie-Seite-puffen, als sie den blonden Balg sahen!

      So rächten sie sich für alle Schläge, die ihr Rücken empfangen, für alles verschluckte Weinen, für ihr ganzes armseliges Leben bei ihm. So sagten sie. Wenigstens die Grossen. Die hatte freilich die Marietta gleich aus dem Haus gehabt, und ihm war’s recht so. Wie hätte denn das auch gut getan, das junge Weib und die grossen, verstockten Kinder! Er wurde so oft genug daran erinnert, dass er grau zu werden anfing, wenn er das Weib mit den zwei Jüngsten, die zu Haus geblieben waren, scherzen und lachen hörte. Der alte Anderl setzte sich auf den Rasen nieder, umfasste seine mageren Knie mit den Händen und stierte vor sich hin.

      Jawohl, das hatte es ihm angetan, ihre Fröhlichkeit und Genügsamkeit. Mit einem bunten Lappen war sie zufrieden, mit einem Stück Band, zu essen verlangte sie fast gar nichts und richtete das Haus zusammen, dass es eine Art hatte.

      War das eine Wirtschaft gewesen, früher, als die Erste starb, Herrgott, wenn er daran dachte!

      Die Faulheit von den zwei grossen Mädeln, der Schmutz, das Essen! Und dabei meinten sie, das Geld solle nur so herunterschneien; immer geben, geben, dazu wäre der „Voda“, der Kuchler-Anderl, doch da, meinten sie. Aber da kamen sie schön an bei ihm! Noch jetzt lachte er ingrimmig vor sich hin, wenn er daran dachte. Was er ihnen zum Leben daliess, wenn er auf Arbeit fortging, war gerade so viel, dass sie nicht bitteren Hunger zu leiden brauchten. Die Milch war ja von der Kuh da, ein paar Kreuzer für Brot und Polenta dazu, den übrigen Lohn behielt er. Sollten nur zuschauen, wie sie auskämen, sagte er ihnen, wenn sie nicht dienen wollten. Aber das wollten sie nicht, um keinen Preis! Das blieb hartnäckig am Haus hängen, wie die Kletten waren sie. Und dabei ärgerte eins das andre, man musste nur die Moidl und die Kathl kennen! Das Geschrei und Geschelte ging den ganzen Tag nicht aus, er konnte es ja schon von weither hören, wenn er auf das Haus zukam.

      Und wie sah’s drinnen aus! Alles voller Unrat, verwahrlost, kein Bett war gemacht, die Kleider und Fetzen lagen zerstreut in den Stuben umher, die Mädeln lungerten herum, die Haare strähnig und schmutzig, Lumpen am Leib, verbissen und tückisch wie die Wildkatzen, die reine Spelunke war’s. Er wusste wohl, dass sie sich bei den Haaren herumzogen und sich braun und blau schlugen, wenn er nicht da war; mochten sie’s, ihm tat’s nicht weh, er nahm so bald als möglich seine Breithacke und ging fort aufs Zimmern. Wochen- und monatelang blieb er fort. Er vergass ganz, dass er eine Heimat, dass er ein Haus und vier Kinder hatte. Nur manchmal packte es ihn, er musste fort, er musste heim. Dann lief er Tag und Nacht über die Berge wie von einer fremden Macht getrieben. Aber sobald er das Haus sah, ging er langsamer und langsamer. –

      Und die Kinder erst. Wie die erschraken! „Der Voda! Der Voda!“ Wie ein Schreckensruf ging’s durch das Haus. Aller Streit hatte ein Ende. Da standen sie steif wie die Bildsäulen und schauten in die Ecken. Gleich waren sie einig. Kein Grüss Gott, kein Wort sonst. Nach und nach schlurften sie scheu um ihn herum, aber reden wollte keine. Höchstens, dass es der Ältesten, der Kathl, einmal ein verbissenes Wort herausriss. Wenn er zum Beispiel essen wollte, und sie stellte ihm eine saure Polenta hin, hart und fest, dass man sie kaum mit dem Löffel stechen konnte, und er fing an zu schelten: „Gibt der Voda nur a Geld her, mir ham eh nix anders z’ fressen.“ Oder wenn er sie am Sonntag in die Kirche treiben wollte, schrie sie ihn an: „Schaff der Voda nur a G’wand, an die Stauden wachst koans für uns.“

      „Geht’s weiter, schaut’s euch um an Dienst um!“ war wohl seine Gegenrede, aber aus der Spelunke brachte er keine hinaus. So sollten sie eben sterben und verderben auf dem Häusl, er gab keinen Kreuzer mehr her. Ja, wenn sie ihm vielleicht ein „Bitt’ gar schön, Vater“ gegönnt oder das Maul zum Betteln aufgemacht hätten! O nein! Die bissen die Zähne übereinander und schielten nach ihm, ob er nicht bald wieder über die Schwelle ging.

      Wie ein Fremder war er in seinem Haus, wie wenn’s gar nicht sein gewesen wäre; sie hingen förmlich an seinen Füssen, ob er sie nicht bald wieder auswärts setze. –

      Der Kuchler stand nun auf, langsam, schwer, Schritt vor Schritt stieg er in der Sonne aufwärts.

      Das war freilich bei der Marietta ein ander Ding gewesen. Die schrie ja gleich vor Freude, ein eignes Haus zu kriegen! Und war’s noch so klein und eng und schmutzig, es war eine Heimat, und die hatte sie nie gekannt. Ein lediges Kind war sie, von den Verwandten herumgestossen und geschlagen, von einem zum andern geschickt, gescholten und karg gehalten, gezankt, gepufft noch als erwachsene Dirne; da war es für sie ein grosses Glück, eine Heimat zu bekommen, und sie war ihm dankbar und tat ihm alles, was er nur wollte. Es schaute bald anders aus in den Stuben, alles war blank und rein; auch kein Geschrei gab’s mehr im Haus herum, kein Schelten, nur fröhliche Gesichter; Zorn und Groll, das kannte die Marietta nicht. Im Nu harte sie der Kleinen, der Juli, den Kopf verdreht und dem Buben, dem Anderl, auch. Störrisch und verschlagen und faul, wie sie vordem bei den älteren Schwestern gewesen, waren sie nun fleissig und gut und rührig den ganzen Tag, um den Stall und das kleine Feld in Ordnung zu halten, denn davon verstand die Marietta nichts. Die Grossen mussten freilich gehen, und sie gingen, wenn auch mit Geheul und Fluchen.

      Einen gleich guten Winter hatte der Anderl nie erlebt. Er sagte es ja dem jungen Weibe nicht, es war nicht seine Art; aber es behagte ihm, auf der Bank zu sitzen und zuzuschauen, wie sie herumhantierte, seine Pfeife zu rauchen und sich neben sie auf die Ofenbank zu setzen, wenn sie spann. Im Kachelofen krachten dann die Scheite, und die Stürme taten wüst draussen, der Schnee