Der Mond der Dichter. Norbert Horn

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Название Der Mond der Dichter
Автор произведения Norbert Horn
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783864556869



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      rief er mit funkelnden Huhnmenschaugen.

      Für uns sind die achtzig nicht mehr zu schaffen,

      wir können statt acht vielleicht zwölf Jahre raffen.

      Doch wollen wir uns nicht entmündigen lassen.

      Das Recht ist entsprechend anzupassen:

      Volljährig mit zwei, volles Bürgerrecht,

      Rente ab sechs wäre nur gerecht.

      Reichlich muss die Rente fließen,

      den Lebensabend bis zwölf zu genießen,

      mit Golfclub, Kreuzfahrten, Bildungsreisen,

      in schönen Restaurants zu speisen!

      Hier riss den Zuhörern die Geduld,

      die Pressekonferenz geriet zum Tumult.

      Doch viele sagten, man müsse verstehen

      und auch den Huhnmitmenschen sehn.

      Der Huhnmensch sei zu integrieren,

      neue Wege zu probieren.

      Doch Müller Zwei wies alles zurück:

      Kein Kompromiss, hier geht es ums Glück!

      Der Streit begann die Gesellschaft zu spalten.

      Was soll man von Huhnmensch-Schulen halten?

      Von praktischen Kursen zum Eierlegen,

      um liebevoll die Brut zu pflegen?

      Die Vogelgrippe begrub das Problem.

      Die Genforscher sind vorsichtiger seitdem.

       (HI)

       Die Lochkartenschnitzer

      Die Herrgottsschnitzer vom Boitzburger Wald,

      die schnitzten Krippen, Kochlöffel, Elche.

      Mal hungerten sie, mal verkauften sie welche.

      Doch waren sie glücklich und wurden alt.

      Da kam in ihre Waldeinsamkeit

      eines Tages Herr Hollerith.

      Der brachte die Lochkartentechnik mit

      und neue Arbeit und Fröhlichkeit.

      Die Boitzburger Wäldler durften beschnitzen

      Millionen Karten nach Kundenangaben.

      Bestimmte Löcher sollten die haben,

      die mussten sie in die Karten ritzen.

      Die Karten gingen in alle Welt

      und halfen beim Rechnen und Daten-Erfassen.

      Die Boitzburger feierten ausgelassen.

      Denn nun hatten sie endlich Geld.

      Doch leider ward der Computer erfunden.

      Der Markt brach zusammen fast über Nacht.

      Die Boitzburger wurden ums Brot gebracht.

      Sie hatten zuletzt nur noch einen Kunden

      in einem Bergdorf bei Bad Gastein,

      der bot Elektroklaviere an,

      die man mit Lochstreifen spielen kann.

      Da schnitzten die Boitzburger Mozart rein.

      Doch kaufte Toyota das Bergdorf auf.

      Man hat die Klaviere digitalisiert,

      die Lochstreifentechnik ausrangiert.

      Für die Schnitzer ein übler Verlauf.

      Sie berieten: Schnitzen wir Schweine, Kälber,

      Zwerge und Hirsche, Igel und Mäuse,

      Krippen oder Puppengehäuse?,

      bis einer rief: Wir schnitzen uns selber!

      Lochkartenschnitzer geschnitzt sind der Hit!

      Man sieht sie auf allen Touristikmessen,

      auch in Marzipan, dann kann man sie essen.

      Sie kommen nicht mit der Nachfrage mit.

      Die Kinder, mit i-Pods und Laptop gewitzt,

      kommen aus dem Staunen nicht heraus.

      Seht, Kinder, so sah es früher aus:

      Steinbeile gab’s damals – und Lochkarten geschnitzt!

       (HI)

       Die Evolution des Gemüsebeets

      Mitten im einsamsten Schwarzwald steht

      auf einer Lichtung, die niemand begangen

      und die von dichten Tannen umfangen,

      ein herrliches Gemüsebeet.

      Der Wirsing steht stolz in schnurgrader Reih’

      mit schwellenden Köpfen und üppig gebaut,

      parallel die Möhren mit hellgrünem Kraut,

      und dann ist ein Beet mit Zwiebeln dabei.

      Der Wind hat den Samen dort hingeweht,

      auch Vögel brachten ihn herauf,

      Maulwürfe lockern den Boden auf,

      und so entstand allmählich das Beet.

      Das Wild wollte oft ans Gemüse gehen.

      Das schwitzte Stresshormone in Reihe;

      das Wild äste nur das vom Stresshormon freie

      Gemüse und ließ die Reihen stehen.

      Kaum waren fünftausend Jahre vergangen,

      schon stand das Beet in voller Pracht,

      vom Zufall in schnurgrade Ordnung gebracht.

      Mehr kann man vom Zufall nicht verlangen.

      Man weiß, dass Natur nur sehr langsam entsteht.

      Der Schwarzwald brauchte Jahrtausende Zeit.

      Natur kommt ausschließlich durch Zufall sehr weit

      und schuf so das Gemüsebeet.

      Wer zweifelt, nehm’ selbst es in Augenschein

      auf der Lichtung. Und wer die nicht finden kann,

      trifft anderswo Naturwunder an,

      noch größer als Wirsing und Möhren in Reih’n.

       (HI)

       Die Entschlüsselung des Menschen

      Das Rätsel des Menschen-Genoms ist enthüllt!

      Sein Code ist erkannt und ins Netz gestellt.

      Man sagt, ein großer Wunsch sei erfüllt:

      ein Schritt zur Entschlüsselung der Welt.

      Der Code erklärt dem Menschen sein Wesen,

      er lehrt, was mit unseren Genen los.

      Wie schön, ihn den Kindern vorzulesen!

      Das Kleinste sitzt auf meinem Schoß.

      Der Code, das sind endlose Datenreihen.

      Die Kinder seufzen, ich lese geschwind.

      Es