Название | Factory Town |
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Автор произведения | Jon Bassoff |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783948392239 |
Was für ein Mädchen? Ich weiß nicht. Ich –
Der Mann drängte sich an der Frau vorbei ins Haus. Einen Moment blieb er mit schlaff herabhängenden Armen stehen und wiegte den Oberkörper vor und zurück, dann ging er weiter. Wo ist das Mädchen?, wiederholte er. Wo ist sie, verdammt noch mal?
Sie schüttelte den Kopf und sagte: Hier ist kein Mädchen. Sie müssen sich irren. Das ist die falsche Adresse.
Halten Sie den Mund, sagte er. Sie ist hier irgendwo. Das ist mein Haus. Ich wohne hier. Wo haben Sie sie versteckt?
In den nächsten paar Minuten durchsuchte der Mann das Haus, ging in jedes Zimmer, riss Bettdecken und Laken weg, zerrte Schreibtisch- und Kommodenschubladen heraus und öffnete Schranktüren. Dabei murmelte er die ganze Zeit vor sich hin, ein unverständliches Gebrabbel, nur gelegentlich hielt er inne, um wütend aufzustampfen.
Aber das Mädchen war nicht im Haus. Niemand außer der alten Frau war da.
Er kehrte ins Wohnzimmer zurück und setzte sich auf einen Stuhl. Seine Unterlippe zitterte, sein linkes Auge zuckte. Immer wieder rieb er mit beiden Händen über sein bleiches Gesicht.
Die suchen nach mir, sagte er mit kaum hörbarer Stimme. Alle, jeder von denen. Und wenn sie mich finden, geht’s mir an den Kragen, das weiß ich. Die werden mich foltern. Und bei lebendigem Leib begraben. Da wär ich auch nicht der Erste. Aber sie werden mich nicht finden. Oh nein. Dafür werde ich schon sorgen.
Der Mann hob den Kopf und sah die Frau an, die jetzt mit verschränkten Armen an der Wand lehnte. Ihre Beine zitterten heftig.
Ich könnte einen Drink vertragen. Haben Sie was?
Nur … nur Wein.
Ist in Ordnung. Bringen Sie mir die Flasche.
Einen Moment später kehrte sie mit einer Flasche Rotwein zurück, von der höchstens ein Glas getrunken worden war, und reichte sie ihm. Er zog den Korken heraus und setzte die Flasche an. Er trank und trank, bis sie fast leer war. Dann stierte er vor sich hin, und der Ausdruck auf seinem abgehärmten Gesicht wurde immer trüber. Draußen prasselte der Regen auf den Asphalt, und es blitzte, ohne zu donnern.
Ich habe schreckliche Dinge getan, sagte er. Dinge, auf die ich nicht stolz bin, die anderen wehgetan haben.
Die Frau nickte. Das ist in Ordnung, sagte sie leise. Wir alle haben Fehler gemacht.
Der Mann starrte zu Boden und ballte die Fäuste. Das Haus hier. Ich wohne hier gar nicht mehr, oder? Es klang mehr nach einer Feststellung als nach einer Frage.
Sie schüttelte den Kopf. Nein, Mister. Ich glaube nicht. Ich wohne hier schon sechs Jahre.
Als er langsam nickte, huschte ein dünnes, trauriges Lächeln über sein Gesicht. Wirklich, sechs Jahre? So lange ist das her?
Ja. Mein Mann und ich sind aus Pennsylvania hergezogen. Das war, bevor er –
Aber der Mann hörte nicht zu, sondern sah sich plötzlich mit panischem Blick um. Er stand vom Stuhl auf, ließ sich auf die Knie nieder und legte sich auf den Bauch, um ein Ohr auf den Boden zu pressen. Lange verharrte er so, das Grauen stand ihm im Gesicht. Hören Sie sie auch? Na, hören Sie sie? Die sind schon um die Ecke.
Doch zu hören war nur das leise Pfeifen eines Zugs in der Ferne. Er sprang wieder auf und rannte zum Fenster. Riss die Vorhänge zurück und starrte durch die dunklen Scheiben. Machen Sie alle Lichter aus, sagte er. Schnell!
Die Frau gehorchte. Sie kommen, sagte er. Und sie haben Fackeln, Säcke und Gewehre dabei. Eins ist sicher: Am Ende kommt doch keiner davon.
Nach einem kurzen Blick auf die Frau spähte er erneut aus dem Fenster. Dann zog er die Vorhänge wieder zu und fing an, im Zimmer auf und ab zu laufen. Dabei rieb er sich die Hände und brabbelte leise vor sich hin. Ohne Vorwarnung griff er unter sein Hemd und holte eine Pistole hervor. Die Frau schnappte nach Luft. Er warf das Magazin aus und prüfte es, dann schob er es zurück in den Griff, bis es einrastete.
Ich möchte Sie was fragen, sagte er. Wissen Sie, wer ich bin? Was ich getan habe?
Sie schüttelte den Kopf. Nein. Ich –
Wissen Sie, was ich getan habe? Jetzt schrie er es.
Ich … ich weiß überhaupt nichts.
Darauf nickte er sehr, sehr lange. Schließlich setzte er sich die Pistole an die Schläfe. Im Diesseits und im Jenseits, sagte er, bevor er abdrückte. Es gab einen ohrenbetäubenden Knall, und er sackte zu Boden. Das Blut aus dem Loch in seiner Schläfe spritzte über den Teppich, die Vorhänge und die Wand.
Plötzlich war alles still. Nur die Uhr tickte. Als sie den Kopf drehte, um auf die Uhr zu sehen, hielt die Frau noch immer die Hand über den Mund. Erst da nahm sie sie langsam weg. Es ist elf Uhr siebenundfünfzig, sagte sie zu niemandem. Kurz vor Mitternacht. Dann wandte sie sich wieder dem Mann zu. Sein Gesicht war in einer grotesken Fratze erstarrt. Unfähig den Blick von ihm zu wenden, starrte sie ihn an. Und dann sah sie ihn einmal blinzeln. Und noch einmal …
1. Kapitel
Die Stadt lag im Dunkeln. Ich lehnte den Kopf gegen das Fenster, und der schmutzige Regen rann über meine Stirn. In der spiegelnden Scheibe sah ich aus wie ein Gespenst, hager und fahl, meine Augen glichen denen meines Vaters. Ich konnte nur flüstern: Gott, bitte vergib mir. Ich habe viel zu bereuen …
Factory Town. Es schien, als hätte man begonnen, die ganze Stadt, Haus für Haus und Mauer für Mauer, abzureißen, dann aber beschlossen, dass es die Mühe nicht wert war und man sie einfach verrotten lassen sollte. Überall bröckelnder Beton, kaputte Zäune, zerbrochene Scheiben, zerschlagene Möbel. Verfallende Backsteingebäude, mit Graffiti beschmiert und die Fenster mit Brettern vernagelt. Die Uhr einer Bank ohne Zeiger. Umgekippte Mülltonnen. Auf den Boden gestürzte Feuerleitern. Überall Schutt. Eine geplünderte, verwahrloste Kirche. Und von irgendwoher das Hallen einer Lachkonserve. Ich hatte einmal gehört, dass die meisten Lachkonserven vor vierzig, fünfzig Jahren produziert worden waren, also musste es das Lachen von Toten sein.
Ein lautes Krachen erschreckte mich. Ich fuhr herum und sah eine ausgemergelte Frauengestalt aus einem Hauseingang treten. Sie trug ein zerrissenes Männerhemd, einen zerschlissenen Jeansrock und pinke Cowboystiefel. Ihre gebleichten Haare waren kurz geschnitten und struppig, und zwischen ihren lila Lippen hing eine krumme Zigarette. Ihr Gang war leicht hinkend. Sie war irgendwas zwischen zwanzig und fünfzig, aber Gesicht und Gestalt hatten auf alle Fälle schon bessere Tage gesehen. Als sie mich bemerkte, verzog sie verächtlich das Gesicht und sagte: Ich kenn dich. Du bist der Typ, von dem alle reden.
Ich schüttelte den Kopf. Da täuscht du dich, sagte ich. Ich bin grad erst in die Stadt gekommen.
Nee, ich täusch mich nicht. Du bist es. Und, hast du auch ’nen Namen?
Russell Carver. Aber du musst mich mit jemand verwechseln.
Tja, kann sein. Vielleicht. Aber egal. Davon abgesehen bist du ja ganz niedlich. Wie wär’s denn mit uns zwei?
Weil ich nicht wusste, was ich antworten sollte, sagte ich nichts. Sie grinste abschätzig, räusperte sich und spuckte auf den Boden. Dann ging sie weiter. Einsam und verwirrt, wie ich war, folgte ich ihr.
Wir gingen durch schlaglochübersäte Straßen, vorbei an schmutzstarrenden Bettdecken, einer zertrümmerten Badewanne, einer rostigen Schaufel. Sahen einen einzelnen Armeestiefel und eine Weihnachtslichterkette. Sie schmiegte sich an mich, legte den Kopf auf meine Schulter und hakte sich unter. Ein Mann stand mitten im Regen gegen ein Gebäude gelehnt, die grauen Haare mit Pomade zur Tolle gekämmt, und schrie: Lass bloß die Finger von der, die bricht dir das Herz, darauf kannst du Gift nehmen! Die Hure schüttelte den Kopf und sagte nur Psst. So gingen wir weiter durch den strömenden Regen, zwischen verfallenden Häusern, und mein Hirn blutete.
Kurz danach betraten wir ein Gerippe von Haus, in dem ich ihr durch ein Labyrinth eigenartiger Korridore