Название | Lionel Forster, der Quarteron. Eine Geschichte aus dem Amerikanischen Bürgerkrieg |
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Автор произведения | Sophie Wörrishöffer |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788711487587 |
Lionel ging in den halbdunkeln Raum, wo die unverheirateten Männer schliefen und warf sich auf das saubere, aber sehr harte Bett, welches ihm Sammy angewiesen hatte. Nicht weit von ihm lag Scipio und krümmte sich ächzend in unerträglichem Schmerz. Ein jüngerer Schwarzer, sein Sohn, legte ihm Wasserpolster auf die Wunden.
Lionel bedeckt das Gesicht mit den Händen. Zum erstenmale, seit das Unglück über ihn hereingebrochen war, weinte er glühende Tränen der Verzweiflung.
Sechstes Kapitel
Es war in der ersten Morgenfrühe des folgenden Tages. Nur wenige Personen belebten schon jetzt die Strassen, Leute, welche zur Arbeit gingen, denen man es ansah, dass ihr Tun und Treiben nur im Schatten der Nacht gedieh. Alle diese Menschen blieben, wenn sie an dem Hause des Eisenhändlers Neubert vorübergingen, stehen und sahen zur Tür des Gebäudes auf. Einige schlichen auch wohl auf den Zehenspitzen behutsam über den Fahrdamm und bis unter die Mauern des Hauses, dann aber eilten sie davon, als sei ihnen ein Gespenst entgegengefahren, manche sogar mit einem halberstickten Ausruf des heftigsten Schreckens.
Allmählich wurde der Verkehr lebhafter, herumlungernde Soldaten, Gesindel, das in irgendeiner Torfahrt oder auf einer Treppe übernachtet hatte, auch Offiziere kamen des Weges, und nun bildeten sich Gruppen, die bald zu einer dichtgedrängten Menge zusammenflossen.
Ein Schlüssel knarrte im Schloss, die Tür öffnete sich, und Herr Neubert sah auf die Strasse hinaus.
„Leute!“ fragte er mit ruhiger, weithin verständlicher Stimme, „was geht hier vor? Was habt ihr?“
Niemand antwortete ihm — da sah er im Morgenwind ein weisses Papierblatt hin und her flattern, es war mit einem Stift am Türrahmen befestigt und auf der vorderen Seite beschrieben. Ein schneller Griff brachte es in die Hände des erschreckten Mannes, er erbleichte, seine Füsse schienen den festen Halt zu verlieren, dann trat er plötzlich zurück in das Haus und schloss die Tür.
„Nun hat er’s!“ flüsterten einige.
„Verdientermassen! Man sah ihn immer mit den übrigen Deutschen die Köpfe zusammenstecken, sie haben auch in den Nächten Pakete getragen und allerlei Versammlungen abgehalten. Die Deutschen sollten alle mit blanker Waffe zum Lande hinausgetrieben werden!“
„Hurra für Jefferson Davis!“
„Hipp! Hipp! Hurra!“
Die Menge verlief sich, während drinnen im Hause der Kaufmann das verhängnisvolle Blatt ansah und ein Gefühl des aufsteigenden Entsetzens vergebens zu bekämpfen suchte. Was hier geschrieben stand, das kam einem Todesurteil gleich.
Frau Neubert und Hermann sahen dem Oberhaupte der Familie über die Schulter und lasen mit ihm. Eisige Schauer rieselten durch die Adern der Unglücklichen.
Auf dem weissen Blatte stand Folgendes:
„Vorladung!
Der Kaufmann Ferdinand Neubert wird von dem unterzeichneten Komitee hierdurch aufgefordert, sich am heutigen Abend um elf Uhr im Gasthause zum Stern Amerikas im kleinen Saale einzufinden und zwar zum Zwecke der Verantwortung gegen folgende Anklagen:
1 Parteinahme für die Nordstaaten. Abolitionistische Gesinnung.
2 Pläne zur Flucht durch die Belagerungslinie.
3 Unerlaubte Sympathien für Neger.
4 Teilnahme an heimlichen Versammlungen von Sklaven, (Aufwiegelung derselben durch Reden und Belehrungen.)
Es wird in der anberaumten Versammlung nach Recht und Billigkeit gerichtet werden; sollte aber der Kaufmann Neubert vorziehen, zur festgesetzten Stunde nicht zu erscheinen, so hat er von vornherein auf eine Verteidigung vollständig verzichtet und sich selbst der genannten Verbrechen schuldig erklärt. In diesem Falle ist sein Todesurteil hiermit ausgesprochen. Möge er sich versteckt halten, wo es sei, möge er zu Hilfe rufen, wen er wolle, der Richter Lynch wird ihn finden und seines Amtes walten.
Das Vigilanz-Komitee.“
Frau Neubert legte beide Hände über die Augen und schluchzte leise.
„Vater!“ flüsterte Hermann. „Gehst du hin?“
„Ich gehe,“ nickte der Kaufmann, „wir gewinnen damit Zeit.“
Frau Neubert erhob sich und streckte beide Arme aus.
„Mir ahnt Schlimmes!“ schluchzte sie.
Er schüttelte den Kopf. „Sie bringen mich nicht gleich um, Anna, sie plündern mich nur aus und überlassen den Verarmten seinem Schicksal. Du weisst, dass unsere wertvollsten Besitztümer geborgen sind.“
Die weinende Frau kannte ihren Mann, sie wusste, dass es vergeblich sein würde, ihn überreden zu wollen, und ergab sich stumm. „Welch’ eine Zeit, in der wir leben!“ sagte sie mit gerungenen Händen. „Gott hat Amerika verlassen!“
„Er erbarmt sich endlich seiner schwarzen Kinder! — Und wenn auch über die Weissen noch so grosses Leid kommt, das Ziel wird doch erreicht!“ —
Er war sehr blass, als er diese Worte sprach, aber vollkommen ruhig. „Das Boot liegt sicher versteckt,“ sagte er. „Ich gebe nichts verloren, obwohl wir für unsere Kinder schwerlich morgen noch ein Obdach besitzen werden. Man macht das Haus dem Boden gleich! — Ach, wenn jetzt Mr. Charles Trevor noch lebte!“
Hermann trocknete sich die Augen. „Auch Lionel ist ins Elend gestürzt,“ seufzte er.
„Wir werden ihn mit uns nehmen, mein Junge!“ sagte der Vater.
Draussen wurde an die Tür geklopft, ein Freund aus der deutschen Kolonie hatte von dem Unglück gehört und kam, um zu trösten und seinen Beistand anzubieten. „Deine Frau und die kleine Schar nehme ich auf, Neubert,“ sagte er. „Es wird ihnen, solange mir mein Haus noch bleibt, an nichts fehlen. Packen Sie Ihre Sachen, liebe Frau Neubert. Nehmen Sie mit, soviel sich tragen lässt; Betten, Kleider, Hausgerät, — ich schicke später meine Knechte mit einem Wagen, um es hinüberzubefördern. Das beste wird dann sein, unter der Hand alles Entbehrliche zu verkaufen.“
Herr Neubert schüttelte den Kopf. „Es ist nur noch sehr wenig vorhanden,“ sagte er, „miteinander vielleicht kaum für fünfhundert Dollar. Aber das Haus! das Haus! — All’ mein sauer erworbenes Kapital steckt darin und geht ohne Rettung verloren. Diese Nacht fahren die roten Flammen darüber hin, — es ist nicht anders. Wir dürfen nur vorwärts sehen, Kinder! Kommt, lasst uns auswählen, was mitgenommen werden soll.“
Herr Behrens bot den Eltern und den Kindern zum Abschied die Hand, dann ging er mit dem Versprechen, in einigen Stunden einen Wagen zu schicken. Dieser Freund war treu, der Kaufmann konnte sich auf ihn vollständig verlassen.
Während des ganzen Tages wurde nun für den Umzug gerüstet, und als der Abend herabsank, fand sich die kleine Familie zum Abschied zusammen. Herr Neubert konnte den Seinigen die Todesblässe, welche sein Gesicht bedeckte, nicht verbergen, aber er war jetzt ruhig. „In zwei Stunden hoffe ich euch wiederzusehen,“ sagte er. „Geht mit Gott, die Trennung ist nur kurz.“ Hermann hing am Halse seines Vaters, er konnte vor Schmerz nicht sprechen, nur seine Blicke zeigten, was in ihm vorging. Herr Neubert streichelte das blasse Gesicht, er küsste den Knaben und zog ihn nahe zu sich. „Du darfst nicht weinen, Hermann, du musst dich tapfer beherrschen, mein Junge. Während ich selbst abwesend bin, sehen deine Mutter und deine Geschwister auf dich als auf ihren einzigen Beschützer.“
Der Knabe nickte, er biss die Zähne zusammen, um nicht zu schluchzen.
Noch ein letzter Kuss, eine schmerzvolle Frage des Kleinsten, warum der Papa nicht mitgehe, dann verliess Frau Neubert, umgeben von ihren Kindern, das Haus, in dem sie glückliche Jahre verlebt hatte und das sie nun, aller menschlichen Berechnung nach, nie wieder betreten würde. An der Tür kamen ihr Herr Behrens und seine Frau schon entgegen, um die gern gesehenen Gäste in Empfang zu nehmen.
Es dunkelte bereits. Neubert durfte keinen Augenblick mehr verlieren. Nachdem