Lionel Forster, der Quarteron. Eine Geschichte aus dem Amerikanischen Bürgerkrieg. Sophie Wörrishöffer

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Название Lionel Forster, der Quarteron. Eine Geschichte aus dem Amerikanischen Bürgerkrieg
Автор произведения Sophie Wörrishöffer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788711487587



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welches er in einer freiliegenden, neueren Strasse der Stadt bewohnte, war jetzt erreicht, und der würdige Friedensrichter betrat die Vorhalle, um seinen eben gekauften Sklaven zuerst den verschiedenen Familiengliedern vorzustellen. Noch ehe das eigentliche Erdgeschoss sie aufnahm, tönte schon eine gereizte Frauenstimme den Ankommenden entgegen. „So, Dunkan, also du hast den Sklaven doch gekauft? Du hast es getan, obgleich ich dir dringend abriet?“

      Der Friedensrichter räusperte sich mehrere Male. „Meine liebe Mary,“ versetzte er, „du brauchst von dem jungen Menschen keinerlei Notiz zu nehmen, du —“

      „Komm herein, Dunkan, komm herein! Ich will dir zum zwanzigsten Male auseinandersetzen, weshalb der Sklave in unserem Hause nicht bleiben darf. Vielleicht wirst du dann doch endlich auf meine Worte hören.“

      Der Friedensrichter verschwand eiligst; er wünschte gewiss lebhaft, die Auseinandersetzung mit seiner erzürnten Gemahlin den Ohren Lionels zu entziehen; ohne eine Silbe der Erklärung oder weiterer Befehle liess er den jungen Menschen stehen und ging davon.

      Kaum eine halbe Minute später erschien die Dame des Hauses auf dem Flur, eine blasse, kränkliche Frau mit vergrämtem Gesicht und tiefliegenden Augen. „Was machst du hier?“ rief sie heftig. „Sklaven haben in der Vorhalle nur zu erscheinen, wenn sie gerufen werden.“

      Und dann zerrten die mageren Hände heftig an einem Glockenstrange. „Prue, Prue, wo bist du? — Niemals ist die Person zur Stelle, wenn man ihrer bedarf!“

      Aus der Küche kam mit eiligen Schritten eine Negerin, deren schwarzes Gesicht die lebhafteste Furcht verriet. „O Jesus, Missis, was gibt es denn?“

      Die Dame fuhr mit dem Taschentuche über die Stirn. „Nimm diesen jungen Menschen mit dir, Prue, der Herr hat ihn heute gekauft, — für die nächsten Tage bleibt er hier, du musst ihm also Beschäftigung geben. Schnell, schnell, ich habe keine Zeit!“

      Prue riss die Augen auf. „Der junge Herr da!“ stammelte sie. „O Missis, Missis, die zarte Haut, die blauen Augen. Missis will die alte Prue foppen, — das ist doch kein Nigger!“

      Die Augen der kranken Frau schienen Feuer zu sprühen, sie zitterte am ganzen Körper. „Ein Sklave ist er, Prue, ich sage es dir, ein Sklave ist er, trotz seiner weissen Haut. — Gleich nimmst du ihn mit und lässt ihn Kartoffeln schälen.“

      „Ja, Missis, ja! — Komm, Bursche!“

      Die Negerin ging voraus, und Lionel folgte ihr. Er biss die Zähne zusammen, — fremde Blicke sollten nicht über ihn triumphieren, sollten die blutenden Wunden seines Inneren nicht sehen.

      Eine Tür öffnete sich, Prue schob ihren neuen Schützling auf den Hof hinaus. Hier lagen rechts und links in einer langen Reihe die Wohnungen der Sklaven. Jede Familie hatte ihre mit einer Nummer versehene Hütte, in der sie schlief, während die Mahlzeiten in einem grossen Bretterschuppen abgehalten wurden. Von Freistunden oder Sonntagen war in diesem Hause überhaupt nicht die Rede, das hatte Lionel vorher schon gewusst. Man sah keine Gruppen spielender Kinder, hörte kein Singen oder Pfeifen, es war alles still wie in einem Gefängnishofe.

      „Da ist der Brunnen,“ sagte Prue, „und hier ein Eimer. Hole Wasser, mein Junge!“

      Als Lionel den Befehl vollzogen hatte, gab sie ihm ein Messer und einen Korb voll Kartoffeln. „So, nun setze dich dorthin und schäle die Früchte. Sollst du denn nicht mit den übrigen auf dem Felde arbeiten, oder wirst du gleich wieder verkauft?“

      „Ich weiss es nicht, gute Frau!“

      Prue sah, wie ungeschickt Lionel das Messer handhabte, und machte sich bei dieser Entdeckung eilends aus dem Staube. Die Missis hatte befohlen, den neuen Sklaven Kartoffeln schälen zu lassen, — jetzt mochte sie es auch selbst verantworten, wenn er die ganze Mahlzeit verdarb.

      Lionel seufzte in sich hinein. Frühmorgens Abschreiber, nachmittags Küchenknecht, — das war eine trostlose Aussicht.

      Ein Schatten fiel auf den Kartoffelkorb, und als Lionel den Kopf erhob, gewahrte er die langaufgeschossene, etwas schlotterige Gestalt eines Knaben von seinem eigenen Alter. Der junge Mensch hatte beide Hände in den Taschen, er gähnte laut und schüttelte sich dann wie eine nass gewordene Katze. „Guten Tag!“ sagte er nach einer Pause.

      „Guten Tag, Mr. Dunkan.“

      „Woher kennst du mich?“ fragte in hochmütigem Tone der andere.

      „Wir waren, soviel ich weiss, in den beiden Unterklassen der hiesigen Schule ganz gute Kameraden, Mr. Benjamin!“

      Der junge Mensch sah etwas verlegen drein. „Das mag sein,“ versetzte er leichthin, „man entsinnt sich nicht jedes kleinen Jungen. Wie heisst du denn überhaupt?“

      Und als Lionel seinen Namen genannt hatte, schüttelte er den Kopf. „So heisst doch kein Nigger! Man nennt sie Pompejus oder Nero oder Achilles! — Ueberdies, wie kommst du zu dem Namen Forster? Ich habe Verwandte in Kentucky, die so heissen, und die nächstens hierherkommen; sie würden es sich sehr verbitten, dass ein Sklave ihren Familiennamen führt. Bist du vielleicht einmal der Sklave einer Familie Forster gewesen?“ fuhr Benjamin fort.

      „Ich war noch niemandes Sklave, Sir!“

      Der Sohn des Friedensrichters lächelte spöttisch. „Ja, ich vergass, du lebtest in Richmond, warst Sekundaner. Der frühere Besitzer von Seven-Oaks, Mr. Trevor, muss doch ein kolossaler Esel gewesen sein, dass er an einen Nigger so viel Geld verschwendete.“

      Das Blut stieg heiss in Lionels Wangen, dennoch beherrschte er sich und schwieg.

      Benjamin genoss in vollen Zügen den ruhmlosen Sieg. „Hast du Legitimationen?“ fuhr er fort. „Kannst du beweisen, dass du Forster heisst?“

      „Seiner Ehren dem Herrn Friedensrichter werde ich die Beantwortung dieser Frage nicht schuldig bleiben, Sir.“

      „Wohl aber mir?“ lachte Benjamin. „Das ist klug von dir, Bursche. Wie käme auch ein Nigger zu Legitimationspapieren? — Pferde und Hunde haben keine, weshalb also Sklaven?“

      Lionel wechselte die Farbe. „Da sind freie Menschen besser daran!“ nickte er. „Schon als achtjährige Kinder erhalten sie Osterzeugnisse, in denen häufig genug zu lesen ist: ‚Konnte wegen Trägheit und Ungeharsams nicht mit versetzt werden!’“

      Benjamins Augen sprühten Funken. „Du,“ zischte er, „willst du Prügel haben?“

      „Als ob du mir welche geben könntest!“

      „Das wollen wir gleich sehen!“

      Messer und Schemel flogen durch die Luft, die Kartoffeln rollten über den Hof, und die beiden jungen Kampfhähne rangen miteinander, bis beide, aufeinander losschlagend, am Boden lagen.

      In der Haustür erschien unglücklicherweise in diesem Augenblick Frau Dunkan. „Hilfe! Mörder! Hilfe!“ schrie sie sogleich voll Entsetzen. „Der Unmensch würgt mein armes Kind!“

      Sie stürzte hinaus auf den Hof, der Friedensrichter kam hinter ihr her und riss die Kämpfenden voneinander. „Was geht hier vor?“ rief er voll Erstaunen. „Sprich, Lionel!“

      „So?“ schluchzte seine Frau, „den Sklaven fragst du? — Aber freilich, der arme Benjamin ist der Sündenbock für alles, was geschieht; du bist ein Rabenvater, Dunkan, du —“

      „Still!“ gebot der Friedensrichter. „Lionel, ich erwarte deine Antwort.“

      „Mr. Benjamin hat mich auf das unerhörteste gereizt, Euer Ehren! Er nannte den Verstorbenen Mr. Trevor einen Esel, er sagte, dass Sklaven mit Pferden und Hunden auf gleicher Stufe ständen, — das konnte ich nicht ertragen.“

      Der Friedensrichter zuckte die Achseln. „Seine gewohnte Art!“ sagte er. „Der Bursche ist die Plage meines Daseins!“

      Er wollte sich abwenden, aber seine Frau hielt ihn am Arme fest. „Soll der Sklave nicht bestraft werden?“ stiess sie hervor.

      „Nein, meine Liebe. Was hatte Benjamin mit