Название | Zobel |
---|---|
Автор произведения | Albrecht Breitschuh |
Жанр | Сделай Сам |
Серия | |
Издательство | Сделай Сам |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783964230508 |
Zobels Eltern besaßen natürlich keinen Fernseher. Aber sein Vater kannte den Besitzer ganz gut und der hatte ihn mit ein paar anderen Erwachsenen zu sich nach Hause eingeladen. Nur Männer, das verstand sich von selbst. Rainer hatte jedoch so lange gebettelt, bis es sein Vater weniger anstrengend fand, den Sohn einfach mitzunehmen. Neben einem etwa gleichaltrigen Jungen hockte er davor dem riesigen Apparat und sah mit immer größer werdenden Augen, wie die 96er den eigentlich als unbezwingbar geltenden Favoriten aus Kaiserslautern auseinandernahmen: 5:1 hieß es nach 90 Minuten, von einer Sensation, wie sie der deutsche Fußball bis dahin noch nicht erlebt hatte, sprach man in den folgenden Tagen. Mit jedem Tor war die Stimmung in der guten Stube des Elektrowarenhändlers gestiegen, die Männer kriegten sich vor lauter Begeisterung gar nicht mehr ein – der deutsche Meister kam tatsächlich aus Niedersachsen und hieß Hannover 96! Wer nach einem solchen Spiel dem Fußball nicht verfallen war, dem war auch nicht mehr zu helfen.
Ein paar Jahre lag das nun schon zurück und fast genauso lang träumte Rainer davon, endlich selbst in einem Verein zu spielen. In Uelzen standen ihm gleich zwei der gehobenen Güteklasse zur Auswahl, der SC von 1909 und Teutonia. Beide spielten in den 50ern in der höchsten niedersächsischen Amateurliga. Teutonia regte seine Phantasie besonders an, um diesen Verein rankten sich einige Geschichten. Zwei Jahre nach Kriegsende, Rainer war noch gar nicht geboren, trafen die Teutonen sogar auf Schalke 04: Fast 10.000 Zuschauer wollten die Schalker Vereinslegenden Fritz Szepan und Ernst Kuzorra sehen. Das Stadion am Musterplatz war für diesen Gegner viel zu klein, die Leute kletterten auf die Bäume oder drängten sich an den Fenstern der umliegenden Häuser. „Der FC Schalke 04 freut sich, endlich auch ein Gastspiel in Uelzen austragen zu können, und den vielen nach Klassefußball hungernden und sportbegeisterten Menschen der Lüneburger Heide den Sonntag nach saurer Wochenarbeit zu einem Fußballfest zu gestalten“, hieß es in einem Grußwort der berühmten Gäste. Sie gewannen 6:0 und wurden für ihren Auftritt in der niedersächsischen Provinz mit Speck, Schinken und Rübenschnaps entlohnt.
Es kamen weitere große Mannschaften, der SV Sodingen aus der Oberliga West etwa, deren Torwart Günter Sawitzki im berühmten Notizbuch von Bundestrainer Sepp Herberger stand. Wieder strömten mehr als 6.000 Zuschauer zum Musterplatz, diesmal stand Rainer mittendrin, neben seinem Vater! Kurz darauf ging es für Teutonia gegen den VfB Oldenburg am Hamburger Rothenbaum sogar um den Aufstieg in die Oberliga Nord. Also dorthin, wo auch der HSV und Hannover 96 spielten. Rainer hatte dieses Spiel in der Küche am Radio verfolgt und es vor Spannung kaum noch ausgehalten. Teutonia lag schon 0:2 hinten, rettete sich in die Verlängerung, um doch noch mit 2:3 zu verlieren. 15.000 Zuschauer sahen dieses dramatische Spiel, die meisten von ihnen waren aus Uelzen gekommen.
Der Platz von Teutonia lag nicht einmal 500 Meter von seinem Elternhaus entfernt. Alles hätte so einfach sein können. War es aber nicht. Und jetzt? Klein beizugeben kam für Rainer nicht in Frage. Er wollte nicht als Straßenfußballer enden, sondern in einem Verein am geordneten Spielbetrieb teilnehmen. Wenn nicht in Uelzen, dann eben woanders. Einen Plan hatte er auch schon.
Sieben Kilometer entfernt, in Wrestedt, lebten seine Großeltern Elsbeth und Friedrich Retzlaff. Rainer besuchte sie häufig mit dem Fahrrad, er war so etwas wie der Lieblingsenkel. Sein Opa war Schumacher, hatte sein Handwerk in der pommerschen Stadt Naugard erlernt und erzählte mit großem Stolz, dass Otto von Bismarck in seiner Werkstatt einmal Stiefel in Auftrag geben ließ. Bismarck hatte dort als junger Mann ein Rittergut bewirtschaftet, war Kreisdeputierter der Stadt und kam später immer wieder dorthin zurück. Aber auch für weniger große Füße nahm Friedrich Retzlaff Maß und fertigte seinem Enkelsohn Schuhe, noch bevor der das Laufen gelernt hatte. Den Leisten malte Rainer als Schulkind mit Silberfarbe an und hütete ihn wie einen Schatz, dessen Wert nur er ermessen konnte: seine ersten Schritte ins Leben!
Er verbrachte viel Zeit in der kleinen Werkstatt und hatte einen Stammplatz auf dem Schemel seines Onkels, der seinen Beruf wegen einer schweren Kriegsverletzung nicht mehr ausüben konnte. Rainer schaute dem Großvater aufmerksam bei der Arbeit zu und freute sich, wenn er hin und wieder ein paar Aufgaben übernehmen durfte, Holznägel in die Sohlen schlagen etwa. Friedrich Retzlaff reparierte mittlerweile nur noch. Dass sich jemand Schuhe nach Maß anfertigen ließ, war die ganz große Ausnahme. Viel zu teuer, dafür hatten die Leute hier kein Geld.
Mit seiner Oma fuhr Rainer häufig mit dem Bus nach Uelzen, um Schuhmacherbedarf zu kaufen, vor allem Lederrollen, aus denen dann die Sohlen geschnitten wurden. Irgendwann erzählte er ihr von seinem Plan. Da er an den Wochenenden ohnehin fast immer bei seinen Großeltern in Wrestedt war, könnte er dort doch auch im Verein spielen. Seine Eltern würden bestimmt nichts merken, die kamen nur selten aus Uelzen heraus. Der TSV hatte zwar keine Mannschaft in seiner Altersklasse, aber mit deutlich Älteren zu kicken und sich vor allem gegen sie durchzusetzen, war Rainer inzwischen gewohnt. Wenn auf der Straße die Mannschaften gewählt wurden, zählte er zu den begehrtesten Spielern. Andere wurden gleich weggeschickt, aber um ihn stritten sich die Großen. Sie wollten ihn unbedingt in ihrer Mannschaft haben und gaben Rainer damit das Gefühl, dass er etwas konnte und richtig gut war.
Er hatte sogar schon ein Punktspiel für den TSV Wrestedt bestritten, unter falschem Namen. Was hatte er gezittert, als der Schiedsrichter bei der Passkontrolle den Namen jedes einzelnen Spielers vorlas. Das Foto war nicht das Problem, fast jeder trug die Haare kurz und zu einem Seitenscheitel gekämmt. Aber Rainer musste sich ein fremdes Geburtsdatum merken, wenn er das bei der Kontrolle nicht draufhatte, würde alles auffliegen. Mit jedem Nachnamen, den der Schiedsrichter militärisch knapp aufrief, stieg seine Nervosität. Dann war er an der Reihe. Ohne Blickkontakt zum Unparteiischen aufzunehmen, schossen ein paar Zahlen aus ihm heraus. Waren es die richtigen? Nach einer kurzen Pause ging es weiter, der Nächste. Geschafft, aber ihm war klar, dass das keine Dauerlösung sein konnte. Und genau deshalb brauchte er seine Oma. Sie musste den Aufnahmeantrag unterschreiben, nur wenn sie einverstanden war, konnte er unter seinem richtigen Namen für den TSV Wrestedt spielen. Und sie durfte die Sache nicht an die große Glocke hängen oder am besten ganz für sich behalten.
Auf Elsbeth Retzlaff war Verlass! Um bei seinen Eltern nicht mehr Verdacht als unbedingt nötig zu erregen, fuhr Rainer nur selten zum Training, an den Wochenenden jedoch erschien er nach sieben Kilometern auf dem Rad immer gut aufgewärmt zum Spiel. Sein größter Wunsch war damit in Erfüllung gegangen, er gehörte endlich zu einer richtigen Mannschaft und trug stolz die Farben seines Vereins: gelbes Trikot, das man am Kragen zuschnüren konnte, schwarze Hose und gelbe Stutzen. Mit Fußballschuhen wäre sein Glück vollkommen gewesen, aber bis auf Weiteres musste der Neuzugang in Turnschuhen der Marke „Romika“ kicken, mit ganz kleinen Noppen unter der Sohle. Dass er außergewöhnlich talentiert war, ließ sich aber auch in diesen Tretern nicht verheimlichen.
Ein Jahr lang ahnten seine Eltern nichts, dann flog die Geschichte auf: Rainer hatte mit der Wrestedter C-Jugend die Kreismeisterschaft gewonnen! Nach der Deutschen Meisterschaft von Hannover 96 und dem WM-Finale von Bern im Sommer 54 die nächste Sensation in seinem noch jungen Fußballerleben, denn die Nachbarvereine aus Uelzen hatten die besseren und vor allem deutlich größeren Jugendabteilungen. Die „Allgemeine Zeitung“ widmete diesem Ereignis einen großen Artikel, garniert mit einem Foto der stolzen Kreismeister.
Zum Glück war es seine Mutter, die zuerst von den Alleingängen ihres Sohnes las. Die Zeitung wurde in der Regel erst am frühen Nachmittag zugestellt, wenn der Vater nach seiner Mittagspause schon wieder im Amt war. So blieb Ilse Zobel noch ein bisschen Zeit für strategische Überlegungen, sie musste ihrem Mann die neuesten Nachrichten so schonend wie möglich beibringen. Einmal in Fahrt war es keine ganz leichte Aufgabe, den Gatten wieder zu beruhigen. Der Teppichklopfer hing immer in Reichweite und wurde bei grundsätzlichen Erziehungsfragen auch eingesetzt. Rainer wusste, wie sich das anfühlte. Zwar war es bei ihm zu Hause nicht so schlimm wie bei seinem Cousin, der noch mit dem Lederriemen verdroschen wurde, aber auch Teppichklopfer hinterließen ihre Spuren und so hatte er es sich zur Gewohnheit gemacht, schnell