Häuser des Jahres 2020. Katharina Matzig

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Название Häuser des Jahres 2020
Автор произведения Katharina Matzig
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783766725219



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      Das Holzhaus

      Auszeichnung

      VON

      pedevilla architekten

      IN

      St. Vigil in Enneberg (I)

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      Leben in und mit der Natur: Gefügt aus lokalen Materialien hat die ciAsa die Gadertaler Dolomiten im Blick und die hauseigene Thermalquelle zu Füßen.

      „Man lebt wie ein Specht im Bau, ganz angenehm, die Düfte sind gut, das Gefühl ist gut, man schläft gut.“ Kann es ein größeres Kompliment für ein Haus geben? Dem Bauherrn und seiner Familie gefällt es laut ORF-Sendung “Südtirol heute” in ihrer ciAsa Aqua Bad Cortina in St. Vigil jedenfalls ganz ausgezeichnet. Und kann es ein größeres Kompliment für Architekten geben, als wenn die Nachbarn, die prüfend die Entstehung des Gebäudes begleitet haben, am Ende den Bauherrn darin wiedererkennen? Nein, finden Armin und sein Bruder Alexander Pedevilla, die die ciAsa, das ist rätoromanisch für Haus, gebaut haben. Beauftragt wurden die Architekten, weil die Bauherren das Domizil von Armin Pedevilla in Enneberg – dort vermietet der Architekt auch ein von ihm gebautes Ferienhaus – kennen und schätzen. Gern erinnert er sich daran, dass das Büro in Bruneck in der Entwurfsphase täglich mit frischem Thermalwasser aus der hauseigenen Quelle versorgt wurde und sich so den „Spirit des Ortes und der Bauherren“ einverleiben konnte. Denn tatsächlich stellt die Bauherrenfamilie – ihr gehört in St. Vigil das Hotel Aqua Bad Cortina, in dem natürlich auch Thermalbäder angeboten werden und für das pedevilla architects nun ein Gesamtkonzept entwickeln – besondere Ansprüche an die Nachhaltigkeit ihres Hauses: Zum größten Teil wurden natürliche und lokale Baustoffe verwendet, auf synthetische Materialien und Kunststoffe konnte nahezu komplett verzichtet werden. Dabei wurde die Wahl der Werkstoffe gleichermaßen von ästhetischen Qualitäten bestimmt wie vom Wissen um ihre Widerstandsfähigkeit und Langlebigkeit. So ist das Lärchenholz für die Fassade ohne Behandlung witterungsbeständig, die verbauten Massivhölzer entwickeln Patina und gewinnen im Laufe der Zeit an Schönheit. Auch auf die sozialen und kulturellen Aspekte von Nachhaltigkeit wurde Wert gelegt: Das Haus ist von Gadertaler Handwerkern gefertigt.

      Formal macht die ciAsa, die sich auf quadratischem Grundriss entwickelt, keinen Unterschied zwischen Dach und Fassade. Das Trapez taucht als wiederkehrendes Element auf: trapezförmige Gauben belichten die Innenräume, kegelförmig fällt Licht durch ein Oberlicht. Unterirdisch verbindet ein Gang mit dem Hotel. Die drei oberirdischen Geschosse sind vollständig aus dem Holz gefertigt, das am 30. Oktober 2018 während heftiger Unwetter in den umliegenden Wäldern fiel. Außen- und Innenwände bestehen aus massivem Fichtenholz und wurden ohne Verwendung von Klebern und Harzen gefügt. Die 6 Zentimeter starken Holzdielen wurden hierfür zu 36 Zentimeter dicken Außenwänden verbunden und so verbaut, wie der Baum gewachsen ist: von unten nach oben. Alle Wände sind vorgefertigt, die Anschlüsse für Fenster und Türen wurden eingefalzt.

      Die innere Schicht besteht aus massivem Zirbelholz, die Oberflächen wurden handgehobelt. Dank der großzügigen Wandstärken wird ein sehr niedriger Wärmeübertragungswert erreicht, auf zusätzliche Dämmung konnte komplett verzichtet werden. Die Fassade ist wie ein Zapfen mit handgespaltenen Lärchenschindeln verkleidet.

      Urteil der Jury

      von Nicola Borgmann

      Dieses Haus hebt sich durch seine ebenso expressive wie eigenwillige Erscheinung von der Vielzahl der eingereichten ebenfalls anspruchsvollen Projekte ab. Hier handelt es sich um einen echten Hingucker, dessen singuläre Qualitäten nicht nur auf den ersten Blick überzeugen.

      Das Gebäude ist alles andere als klischeehaft – vergeblich sucht man nach Rückgriffen auf gängige Lösungen – und doch drängt sich der Begriff des archaischen Hauses auf: das schützende Dach, die überschaubare Kubatur, die ausdrucksstarken Öffnungen und Aufbauten sind vertraute Bilder in neuer Form.

      Dabei ist es pedevilla architekten gelungen, dem Projekt bei aller Auffälligkeit des Baukörpers durch strenge Reduktion in Geometrie und Materialwahl Ernsthaftigkeit und Überzeugungskraft zu verleihen. Der Grundriss ist kompakt, die Raumaufteilung pragmatisch. Die einfachen Figuren Trapez und Rechteck bilden die expressiven Formen, ein durchgängiges Oberflächenmaterial lässt die sorgfältig gestaltete Skulptur ungestört hervortreten. Ein schlüssiges Erscheinungsbild. Und doch lässt sich der Entwurf nicht in eine stilistische Kategorie ablegen, er ist ein Unikat. Diese Einzigartigkeit setzt sich im kompromisslosen Ortsbezug dieses Projektes fort, in der Verwendung von örtlichem Holz und Stein, verarbeitet von erfahrenen lokalen Handwerkern, im weitestgehenden Verzicht auf synthetisches Liefermaterial bis in die Namensgebung: ćiasa: das Haus, im gadertalischen Ladinisch.

      Vorgefundene, natürliche und alterungsfähige Materialien bedeuten kurze Lieferwege und versprechen dank hochwertiger Verarbeitung lange Haltbarkeit. Der Baustoff Holz kommt hier in all seinen Facetten zur Geltung. Die handgespaltenen Schindeln der Außenbekleidung zeigen die individuellen Spuren der Bearbeitung, werden im Laufe der Jahrzehnte patinieren und das Gebäude mehr und mehr in seine Umgebung einfügen. Die Vollholzwände sorgen für gutes Raumklima ohne Dämmstoffeinsatz und die Sichtqualität des Zirbenholzes verleiht den Innenräumen Farbe, Struktur und Atmosphäre, unterstützt durch wohlüberlegte Lichtführung und klare Geometrie. Selbstbewusste Gestaltung und Handwerkskunst fügen sich in diesem kleinen Haus zu einem Gesamtbild, das die volle Anerkennung der Jury gewonnen hat.

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      Wegen ihres warmen Farbtons und des charakteristischen Geruchs wird die Zirbe bereits seit Jahrhunderten für Innenverkleidungen verwendet, wie hier im Schlafzimmer.

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      Die aufstrebende Form des Daches macht das Gebäude schon von weitem sichtbar, die tiefliegende Trauflinie vermittelt Schutz.

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      Das Bergdorf St. Vigil liegt im Naturpark Fanes-Sennes-Prags. Das nördlichste Gebiet im Südtiroler Gadertal hat neben ladinischer Kultur und der Lage inmitten imposanter Bergketten auch eine Thermalquelle, die 1890 erstmals analysiert wurde. Das sulfat-, fluor-, kalzium- und jodhaltige Wasser mit Spuren von Bor, Barium, Brom und Lithium ist als Heilmittel für Beschwerden des Nervensystems bekannt. Den Bauherren gehört ein Hotel mit Therme, ihr privates Haus ist der erste Baustein in der Neuorganisation der Gesamtanlage, an der pedevilla architekten arbeiten.

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      Regionale Baukultur: Beim Bau des Hauses wurden nur Handwerker aus der unmittelbaren Umgebung beschäftigt. Für den Beton des Untergeschosses verwendeten sie Sand aus dem umgebenden Dolomitgestein und das Thermalwasser der Hausquelle, der Beton wurde vor Ort gemischt. Alle Steinplatten wurden aus Findlingen der nahen Dolomiten geschnitten. Und das Holz stammt aus dem Windwurf „Vaja“ von 2018, praktisch in Sichtweite der Baustelle, es wurde als Mondholz verwendet.

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      Querschnitt

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      Längsschnitt

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      Grundriss Dachgeschoss

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      Grundriss