Название | Häuser des Jahres 2020 |
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Автор произведения | Katharina Matzig |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783766725219 |
Zum Zeitpunkt der Jurysitzungen für diese Auswahl war nicht absehbar, welch existenzielle Bedeutung das Wohnen wenig später für die alltägliche Lebenssituation aller Menschen haben würde. Die durch die Corona-Pandemie ausgelöste Krise hat das Zusammenleben für eine gewisse Zeit radikal verändert und die soziale Bedeutung des Wohnens neu thematisiert. Jetzt im Frühsommer 2020 ist noch schwer vorherzusagen, welche Fragen überdauern.
Was bleiben wird, sind Bilder, die es so nie gab: von leergefegten Straßen und Plätzen, leeren Regalen, geschlossenen öffentlichen Einrichtungen, maskierten Mitmenschen auf Mindestabstand. Tragische und bedrückende, fremde und skurrile Eindrücke werden in die kollektive Erinnerung eingehen. Vor allem wird die individuelle und persönliche Erinnerung an die Zeit der sozialen Isolation bleiben: im Haus, in der Wohnung, im Zimmer.
Innerhalb kürzester Zeit wurde der öffentliche Raum zur No-go-Area, die Begegnung mit Menschen außerhalb des engsten familiären Umfeldes als Risiko deklariert. Per Verfügung wurde die Wohnung für viele Menschen zum einzig legalen Aufenthaltsort. Viel Zeit, das gewohnte Lebensumfeld auf diese unvorhergesehenen Anforderungen vorzubereiten, blieb nicht. Qualitäten wie Mängel einer Wohnung, insbesondere im vielgeschossigen Wohnungsbau, im dichten städtischen Gefüge, auf engem Raum, bekamen eine nie dagewesene Bedeutung. Ohne lebendige Infrastruktur und das gemeinschaftliche Leben vor der Haustür musste sich die Wohnung an ihren grundlegenden Eigenschaften messen lassen: Versorgung mit Tageslicht und Frischluft, Entfernung zum nächsten Einzelhändler und zur nächsten Grünanlage. Missstände, die sich unter normalen Umständen durch die Lage, das Wohnumfeld, kulturelle und soziale Angebote kompensieren ließen, traten nun offen zutage.
Auch wenn die gesellschaftliche, wirtschaftliche und soziale Situation während der Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 – so ist zu hoffen – eine Ausnahme bleibt und keine neue Normalität definiert und die Rückkehr zu den vorherigen Lebensverhältnissen weitgehend gelingt, so wird sich die in Fachkreisen permanente Diskussion über „das Wohnen“ mit neuen Aspekten zu befassen haben. Noch vor kurzer Zeit stand die Wohnraumschaffung ganz oben auf der Liste: viel, schnell und billig war die Devise, unter Zeit- und Kostendruck am besten zu realisieren in vorfabrizierten, modularen und typisierten Einheiten, hoch gestapelt und dicht gepackt. Ging es in den Diskussionen vor allem um Standards und Bezahlbarkeit, um Energieeffizienz, Flächenverbrauch und Dichte, so sind es nun Fragen der Wohnqualität und des sozialen Raumes, die in den Fokus rücken. Die Qualität des Wohnens – und damit ist eben nicht allein die physische Wohnung gemeint – wurde über Monate zum entscheidenden Faktor von Lebensqualität.
Städtische Dichte und beengter Wohnraum wurden in dieser sozialen Krisensituation für viele Menschen zur zusätzlichen Belastung, zumal dann, wenn Räume für die häusliche Berufsausübung und die Kinderbetreuung fehlen. Bleibt also festzuhalten, dass die Veränderungen und Beschränkungen des alltäglichen Lebens zu einschneidend waren, um daraus keine Konsequenzen zu ziehen und nun Qualität in der Quantität zu fordern. So stellen sich alte Fragen in neuer Dringlichkeit: Was taugen unsere Wohnungen? Muss und darf Wohnraum monofunktional, minimiert und unflexibel sein? Ist es zu akzeptieren, dass eine Wohnung ihre Bewohner einschränkt, statt ihnen die Möglichkeit zur Entfaltung und Erholung zu gewähren? Ist eine Wohnung nicht viel mehr als ein belichtetes und belüftetes Volumen? Etwa ein gut gestaltetes, geschütztes und doch frei nutzbares, anpassbares Ensemble von Räumen in einem anregenden und fürsorglichen sozialen Umfeld?
An dieser Stelle ist die Diskrepanz zwischen der Auffassung der Fachwelt und der Wunschvorstellung großer Bevölkerungsanteile anzuführen: die Diskussion um die Wohnform. Das Eigenheim, speziell das Einfamilienhaus und noch präziser das freistehende, wird mehrheitlich als ideale Wohnform betrachtet, auch wenn es für Bauherren oder Käufer oft eine wirtschaftliche Lebensaufgabe darstellt und für viele für immer unerschwinglich bleibt.
Ironischerweise erwies sich in der eingangs beschriebenen Krise vor allem das Einfamilienhaus mit Garten als überaus geeignete Wohnform, um trotz Ausgangsbeschränkung nach draußen zu gehen, die geforderte soziale Distanz einzuhalten, das home office, ja sogar das garden office einzurichten, im engeren Familienkreis und über den Gartenzaun hinweg der versprochenen Lockerungen zu harren und dabei weiterhin die Annehmlichkeiten zu genießen, die gutes Wohnen zu bieten hat. Lediglich die Möglichkeit, all diese Vorzüge gesellig im Freundeskreis zu erleben, blieb aufgrund der weitreichenden Reise- und Besuchsverbote verwehrt. Zu schade, dass das Einfamilienhaus seine unbestreitbaren Qualitäten in einer Krisensituation unter Beweis stellen musste, der nur Unverzagte und Weise etwas Positives abgewinnen konnten. Immerhin: Die Krise wirft ein weiteres Schlaglicht auf die eklatanten Qualitätsunterschiede, Wünsche und Bedürfnisse im Bereich des Wohnens. Ganz oben auf der Liste rangiert nach wie vor: das eigene Haus, das Einfamilienhaus.
Die Qualität des Wohnens wurde über Monate zum entscheidenden Faktor von Lebensqualität.
Das Einfamilienhaus ist jedoch seit geraumer Zeit von den verschiedensten Seiten unter Beschuss geraten. Sein Flächenverbrauch, seine Erschließung ebenso wie der Energieverbrauch des Erstellens und Betreibens setzen es dem Vorwurf der elitären, egoistischen Wohnform aus. Klimaschutz, Ressourcenschonung, bezahlbares Wohnen für alle und sozialgerechte Bodenpolitik sind gewiss nicht leicht mit dem Einzelhaus zu vereinbaren. Engagierter, landschafts- und sozialverträglicher Städtebau ist mit diesem Siedlungstyp ebenfalls schwer zu leisten. Auch unter wirtschaftlichen Aspekten ist das Einfamilienhaus seinem Eigentümer keineswegs eine „sichere Festung“. Die Abhängigkeit von Energie-, Mobilitäts- und Infrastrukturkosten, Instandhaltungsdruck, Modernisierungsauflagen und nicht zuletzt die Risiken des Immobilienmarktes haben schon manchen Kreditnehmer in ernsthafte Bedrängnis gebracht. Und schließlich ist das Leben in der Kleinfamilie nur eine überschaubare Lebensphase, nach deren Ablauf viele Häuser den geänderten familiären Verhältnissen nicht mehr gerecht werden.
Einfamilienhäuser können und dürfen experimentell sein, da ihre Bauherren in den meisten Fällen ganz persönlich verantworten und bewohnen, was sie und ihre Architekten zusammen erschaffen haben.
Die Zukunft des Wohnungsbaues liegt aktuell demnach in verdichteten Wohn- und Siedlungsformen, geschlossenen urbanen Bauweisen, der Vielgeschossigkeit bei reduzierten Abstandsflächen, Nachverdichtung im Bestand etc. Und doch bricht all das nicht die Faszination und Begeisterung für Einfamilienhäuser, wenn sie die Qualitäten der 50 Beispiele in diesem Buch aufweisen. Es ist die Verbindung von Lebenstraum und Risikobereitschaft, Kreativität und Handwerkskunst, Eigentum und Individualität und nicht zuletzt die gelungene Selbstdarstellung des Bauherrn und des Architekten, die den Reiz und die Überzeugungskraft eines jeden dieser Einzelstücke ausmacht.
Jedes dieser Häuser ist ein Experiment im besten Sinne. Einfamilienhäuser können und dürfen experimentell sein, da ihre Bauherren in den meisten Fällen ganz persönlich verantworten und bewohnen, was sie und ihre Architekten zusammen erschaffen haben. Gute Einfamilienhäuser müssen experimentell sein. Schon längst haben sich zeitgemäße Einfamilienhäuser über diese unzulängliche Bezeichnung hinaus entwickelt. Sie dienen Lebensgemeinschaften aller Art, wechselnden Familienkonstellationen, dem Wohnen, der Arbeit, der Kunst. Manche sind nicht nur Häuser, sondern Kompositionen aus ineinander verschränkten Innen- und Außenräumen. Das private Bauvorhaben ist unverzichtbar als Experimentierfeld für Bauherren und Architekten, die sich ihrer Verantwortung und eventueller Risiken bewusst sind. Jedes dieser Häuser hat seinen individuellen Ort, den es gestaltet, und seine Umgebung, die es prägt. Viele der vorgestellten Häuser mögen sich in ausgesucht guter Lage befinden, aber die, denen dies nicht vergönnt ist, verbessern durch ihre Präsenz den Ort, an dem sie stehen. Ein Stück Land zu bebauen, bedeutet, mit der begrenzten Ressource Fläche verantwortungsvoll umzugehen: das Beste für die Bewohner daraus zu machen und einen schönen, anregenden Anblick zu bieten, die Gesamtheit der Häuser mit ihren Gärten zu einem Stück Kulturlandschaft zu machen, Situationen zu erkennen und zu verbessern, statt sie auszunutzen oder gar zu zerstören. Bedauerlich ist es, wenn wie so oft das Ergebnis der privilegierten Bauaufgabe nicht gerecht wird. Wie schade um ein Grundstück, auf dem von unbekannter Hand eine in Dämmschaum gehüllte und nur von ihren eigenen Abstandsflächen umgebene Wohnschachtel mit ihrer unverzichtbaren Begleiterin, der Doppelgarage, abgestellt wird. Gerade weil diese anonyme Architektur (oder