Название | Renovatio Europae. |
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Автор произведения | David Engels |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783948075866 |
Die Existenz jener soziologischen Klasse wird umso deutlicher, beobachtet man die politische Kultur der verschiedenen EU-Institutionen: Während das Parlament weitgehend »national« aufgebaut ist und trotz seiner unweigerlichen Internationalisierung doch engste Beziehungen zu den verschiedensten Heimatländern und Wahlkreisen seiner Mitglieder aufrechterhält, pflegt die Kommission eine ganz andere politische Kultur, welche mittlerweile kaum noch einen Bezug zu ihrem kulturellen Substrat hat (seien es Brüssel, die Heimatländer oder die abendländische Zivilisation) und nicht ohne Grund eng verbunden ist mit der meist multikulturellen Vita der meisten Mitarbeiter, welche oft genug binationale Elternteile haben und daher in der Identität als »EU-Bürger« eine Möglichkeit finden, sich mit ihrem jeweiligen kulturellen Erbe nicht allzu genau auseinandersetzen zu müssen. Dies färbt mittlerweile auch auf die Selbstdarstellung und Argumentationslogik vieler nationaler Politiker ab, welche – allen voran Deutschland – niemals erklären: »Wir als Deutsche wollen…«, sondern immer: »Wir als Europäer denken…« und somit dem Gegenüber implizit sein eigenes Europäertum streitig machen.
Hierbei wird der spezifische, durch Internationalismus, Multikulturalismus, Elitismus und Globalismus geprägte Lebensstil jener neuen Führungsschicht mittlerweile selbst in Staaten wie Ungarn und Polen auch von lokalen Eliten übernommen, die sich eine Gesellschaft nach ihrem Vorbild schaffen möchten – auch dies eine nicht erstaunliche Entwicklung, hat doch noch jedes Imperium sich bemüht, die lokalen Eliten an den dominanten Lebensstil heranzuführen und diesen auch in die Peripherie zu importieren; man denke hier nur an die in England ausgebildeten indischen Aristokraten, welche sich nach ihrer Rückkehr auf den Subkontinent in ihrer eigenen Heimat nicht mehr zurechtfanden.
Und wenn mir ein solcher Vergleich sonst natürlich fern liegt, kann ich nicht umhin, auch an die Herrschaftsstrukturen des damaligen Ostblocks zu denken, dessen Zentrum zwar in Moskau lag, aber eine Strahlkraft bis weit an die Peripherie besaß und die lokalen Eliten bis in die kleinsten Gemeinden prägte. In dieser Hinsicht ist es vielleicht nicht überflüssig, auf die gegenwärtige inner-ukrainische Debatte zu verweisen, in welcher es eigentlich nur darum geht, nach dem Fall der Sowjetunion, des »Sowjetski Sojus«, nunmehr Teil des neuen, des »Europejski Sojus« zu werden, eine Form der Domination also mit einer neuen, die als materiell erheblich vorteilhafter gesehen wird, zu tauschen – eine Debatte, die in vielen Zügen an die inner-polnischen Diskussionen der 1990er Jahre erinnert.
6. Die »deplorables«
Während die gegenwärtige EU von einer politischen und intellektuellen Elite dominiert wird, welche man wohl als eine Art nomadisierter Führungsschicht betrachten kann, finden wir auf der anderen Seite des Spektrums jene vor, die wir als »deplorables« bezeichnen können – ein Begriff, der am 9.9.2016 von Hillary Clinton geprägt wurde, als sie von den Wählern ihres Opponenten, Donald Trump, in folgenden Worten sprach: »You know, to just be grossly generalistic, you could put half of Trump’s supporters into what I call the basket of deplorables. Right? They’re racist, sexist, homophobic, xenophobic – Islamophobic – you name it.«
Jene nicht-nomadischen Bürger, welche im Gegensatz zur gegenwärtigen Führungsschicht weiter fest in ihrem jeweiligen historischen und kulturellen Umfeld verankert bleiben, sind zur Verfügungsmasse jener neuen Elite geworden; sie gilt es nun, den Werten politisch korrekter Ideologie entgegenzuführen und sie für die Wohltaten von gender-diversity, LGBT-Rechten, Multikulturalismus, Säkularisierung, Globalisierung und Islamophilie zu erwärmen; und wenn jener Versuch manchmal scheitert, wie dies in den meisten polnischen oder ungarischen Dörfern und Kleinstädten der Fall ist, liegt dies angeblich nicht an den Problemen jener Ideologie, sondern daran, daß die Bürger noch nicht »weit genug« sind.
Es steht in keinem Widerspruch hierzu, daß 80% der Polen sich überaus positiv zur europäischen Einigung verhalten (also erheblich mehr als Franzosen oder Deutsche), verbinden sie wie viele Osteuropäer mit der EU doch vor allem die Hoffnung auf materiellen Wohlstand. Daß es nicht die Institutionen an sich sind, welche hier im Fokus der Aufmerksamkeit stehen, wird auch an der sehr geringen Beteiligung bei den Wahlen zum Europäischen Parlament deutlich, das von vielen Bürgern als ihrer eigenen Lebenswelt äußerst entfernt angesehen wird – ganz zu schweigen von einem flagranten Mangel an Wissen über den Aufbau jener Institutionen, der natürlich auch viele andere europäische Staaten prägt.
Freilich sind viele der einfachen »deplorables« heute kaum weniger mobil als jene nomadischen Eliten, aber die Unterschiede in Zielsetzung und Auffassung jenes Nomadismus springen geradezu ins Auge: Jene Polen, welche etwa nach London, Berlin oder Brüssel ziehen, um dort eine Zeitlang zu arbeiten, tun dies auf der einen Seite dazu, um in ihrem polnischen Heimatort ein Haus zu bauen und früher oder später ihre Aktivität auf besserer finanzieller Basis dort fortzusetzen; auf der anderen Seite ziehen sie aus ihren Erfahrungen im Westen eben nicht den Schluß, Multikulturalismus und Globalisierung seien wünschenswerte Erscheinungen und sollten daher auch möglichst in Polen verbreitet werden, sondern sprechen sich möglichst dagegen aus, daß Phänomene wie Ghettoisierung, Parallelgesellschaften und Islamisierung, deren Augenzeugen sie im Ausland wurden, nun auch in ihrer Heimat Fuß fassen.
7. Ausblick
Als die gegenwärtige polnische Regierung im Jahre 2015 die Wahlen gewann, kann man diesen Durchbruch am ehesten mit dem vergleichen, was geschehen würde, wenn es den Gelbwesten gelänge, in Frankreich an die Macht zu kommen – »lokale Menschen« und Verteidiger der »deplorables«, welche die Statthalter der globalistischen Elite aus ihrer Position verdrängten und zudem auch im Europäischen Parlament Präsenz zeigten. Es ist daher kaum überraschend, daß sich die bisherigen, »nomadischen« Eliten des Landes, allen voran die Politiker der Bürgerplattform, gerade auf europäischer Ebene überaus feindlich gegenüber der neuen nationalen Regierung zeigten, betrachten sie doch die EU als eine Art persönliches Eigentum, welche es gegen jegliche Form von Kritik (oder auch konstruktive Vereinnahmung) durch die gegenwärtige Regierung zu schützen gilt. Gerade meine eigene Funktion als Vizepräsident des Europäischen Parlaments wird hier häufig als eine Art kognitive Dissonanz, eine »contradictio in adiecto«, wahrgenommen.
Es ist anzunehmen, daß sich ähnliche Erscheinungen sehr bald auch in anderen europäischen Staaten zeigen werden, sollten sich die gegenwärtigen politischen Tendenzen weiterhin vertiefen, vor allem, wenn nunmehr zunehmend Vertreter euroskeptischer Regierungen in die Kommission entsandt werden, die man bei steigender Zahl nicht mehr wie bisher ignorieren oder marginalisieren kann. Wichtig ist freilich hierbei, daß die konservativen Bewegungen Europas nicht in einer sterilen und faktisch machtlosen Opposition verbleiben, sondern darauf bestehen, Europa als Teil ihres eigenen Erbes zu betrachten und damit auch eine aktive Mitsprache und Mitgestaltung der europäischen Institutionen zu beanspruchen. Gerade heute, wo die zunehmende Ablösung des alten Rechts/Links-Dualismus durch die Dichotomie universalistischer und traditionalistischer Bewegungen alle politischen Entscheidungen verwirrt, besteht hier eine einzigartige historische Chance, konstruktiv an Europa mitzuarbeiten und durchaus auch eine zumindest punktuelle, unerwartete politische Zusammenarbeit ins Auge zu fassen.
Selbst Emmanuel Macrons neue Europavision, so problematisch sie in vielerlei Hinsicht sein mag, könnte hier neue Möglichkeiten schaffen und die bisherige Dominanz der deutschen Europavision in Bewegung bringen. Die Einsicht etwa, daß angesichts der gegenwärtigen Weltlage und der zunehmenden Bedeutung Chinas die europäische Wirtschaft