Название | Renovatio Europae. |
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Автор произведения | David Engels |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783948075866 |
Ein zweiter Aspekt, welcher die Beschäftigung mit einer möglichen konservativen Reform Europas zu einem Desiderat macht, ist die Tatsache, daß die Europäische Union in den kommenden Jahren zwar bestenfalls paralysiert sein wird, wenn es zur Diskussion um die wirklich zentralen Entscheidungen unserer Zivilisation kommt, die Nationalstaaten aber (noch) nicht vollständig an das sich abzeichnende Schicksal der EU gebunden sind. So haben etwa die Visegrad-Staaten, allen voran Polen und Ungarn, ein ausgezeichnetes Beispiel dafür gegeben, daß es möglich sein kann, gegen jede Wahrscheinlichkeit ihre Position zu verteidigen und ihre eigene Identität zu bewahren, so daß sie mittlerweile sogar zu einem Vorbild für andere Staaten geworden sind, welche dem unaufhaltsamen Marsch in den Niedergang entfliehen wollen. Denn gerade Polen und Ungarn, welche lange Jahrhunderte hinweg ihrer staatlichen Freiheit beraubt waren, sind ein Paradebeispiel dafür, daß Vaterlandsliebe und Treue gegenüber der christlichen Tradition eben gerade nicht automatisch zu Nationalismus und Totalitarismus führen müssen, sondern ganz im Gegenteil jene Kräfte sind, mit denen eine Gesellschaft selbst in Situationen nationalistischer und totalitaristischer Unterdrückung überleben kann. Freilich sind angesichts der globalen Machtverhältnisse die politischen Gestaltungsmöglichkeiten selbst der größeren europäischen Staaten überaus begrenzt; trotzdem ist es würdiger und ehrlicher, treu an den eigenen Überzeugungen festzuhalten und möglicherweise zu scheitern, als sehenden Auges den Niedergang auch noch aus freien Stücken zu befördern. Und es besteht zu hoffen, daß die Diskussion eines alternativen, konservativen Europamodells der Zukunft zumindest geistig jene ideologisch abweichenden Staaten weiterhin in ihrem Bekenntnis zur politischen Vereinigung der abendländischen Nationen stärkt und auch ganz allgemein den konservativen Parteien Europas hilft, nicht am europäischen Projekt zu verzweifeln, sondern vielmehr die Initiative zur Mit- und Umgestaltung in die eigenen Hände zu nehmen, anstatt sich resigniert abzuwenden.
Dies führt uns unmittelbar zum dritten Punkt unserer Überlegungen, nämlich der gegenwärtigen Lage der konservativen Parteien in Europa. An dieser Stelle sind einige klare und ehrliche Worte vonnöten. Die Leitmedien behaupten meist, daß es nur »nationalistische«, »rechte«, ja gar »extremistische« Parteien sein könnten, welche »gegen Europa« auftreten, wobei in nahezu unerträglicher Weise die Institution der Europäischen Union mit der Idee Europas an sich amalgamiert wird und die patriotische Liebe zur eigenen Nation und Kultur mit aggressivem Nationalismus. Nun sollte freilich keinesfalls abgestritten werden, daß auch heute noch gewisse unverantwortliche politische Kräfte weiterhin ein überaus romantisch übersteigertes Bild des Nationalstaates und der angeblichen kulturellen Überlegenheit der jeweils eigenen Nation über ihre Nachbarn kultivieren und somit in überaus gefährlicher Weise das Problem ignorieren, daß die abendländische Zivilisation im 21. Jahrhundert nur dann überhaupt eine Aussicht auf politisches Überleben hat, wenn alle europäischen Nationen eng zusammenstehen und sich gemeinsam gegen alle jene Gefahren verteidigen, welche aus dem Osten, dem Westen oder dem Süden kommen mögen. Trotzdem stellen jene Menschen nur eine verschwindend kleine, wenn auch regelmäßig medial sehr hochgespielte Minderheit innerhalb der gesamten Bewegung des Konservatismus dar, und es ist zu erwarten, daß ihre Zahl rasch abnehmen wird, sobald die eigentlich konservativ gesinnten Bürger die eigenen Überzeugungen nicht mehr länger verschämt verstecken und das Feld vor jenen räumen, die am lautesten schreien, sondern vielmehr offen und ehrlich für ihre Überzeugungen einstehen, ihr Recht auf Existenz und Meinungsfreiheit unbeirrt in Anspruch nehmen und klare Grenzen nach rechts wie nach links ziehen. Es ist daher zu hoffen, daß das Projekt einer konservativen Reform der Strukturen und der Ideologie der Europäischen Union, tief verankert in einer positiven Haltung gegenüber den historischen und spirituellen Werten unseres Kontinents, auch den zur Zeit noch zersplitterten politischen Parteien des Europäischen Parlaments hilft, sich ihrer gemeinsamen Werte bewußt zu werden und eine Basis zu schaffen, von der aus eine konstruktive Zusammenarbeit über alle Grenzen hinweg, ja vielleicht sogar die Gründung einer dauerhaften politischen Kooperation im Rahmen einer eigenen Fraktion möglich sein könnte. Die Entwicklung einer EU-skeptischen, aber pro-europäischen politischen Ideologie ist daher kein innerer Widerspruch, sondern vielmehr ein Gebot der Stunde, welche förmlich nach der Schaffung einer paneuropäischen »hesperialistischen« Bewegung schreit.
Der vierte und letzte (und wohl wichtigste) Punkt vorliegender Ausführungen sei der Frage nach den nicht etwa kurz- bis mittel-, sondern vielmehr langfristigen Aussichten einer solchen Bewegung gewidmet. Wir alle wissen, daß zumindest Westeuropa einem demographischen, wirtschaftlichen und auch kulturellen Desaster entgegengeht (welches trotz allem auch Mittel- und Osteuropa aufgrund seiner engen Verflechtung mit dem Westen berühren wird, wenn auch wahrscheinlich in einem geringeren Maße), und es steht daher zu befürchten, daß selbst die besten politischen Reformen diesen Ausgang nur noch sehr marginal beeinflussen können. Trotzdem sollte gerade diese Aussicht uns nicht zu Hoffnungslosigkeit führen oder zum Zweifel an der gemeinsamen Arbeit an Europa: Ganz im Gegenteil macht es gerade heute, am Rande der Krise, am meisten Sinn, zumindest die Umrisse dessen zu skizzieren, was einmal das Europa der Zukunft werden könnte, sobald die schlimmsten Ereignisse vorüber sind und endlich die Rückbesinnung auf die wahrhaft zentralen Werte des Abendlandes einsetzen wird; eine Rückbesinnung, welche, da die Krise den gesamten Kontinent betreffen wird, auch nur in europäischen Dimensionen bewältigt werden kann und deshalb von der erneuten Bestätigung der uns alle vereinenden historischen Identität ausgehen muß, welche schon vor nahezu hundert Jahren von Paul Valéry in seiner Abhandlung »L’Européen« mit den folgenden, treffenden Worten beschrieben wurde:
»Überall, wo die Namen Caesar, Gaius, Traian und Vergil, überall, wo die Namen Moses und Paulus, überall, wo die Namen Aristoteles, Platon und Euklid zugleich eine Bedeutung und eine Autorität gehabt haben, da ist Europa. Jedes Volk und jedes Land, das nacheinander romanisiert, christianisiert und in Bezug auf seinen Geist den Lehren der Griechen unterworfen wurde, ist vollständig europäisch.«
Europa kann daher nur eine Zukunft haben, wenn es sich auf seine historischen Wurzeln besinnt: die jüdische, antike und christliche Vergangenheit; die Verteidigung der Familie; die Befürwortung einer anspruchsvollen Integration fremder Bürger; die Durchsetzung einer sozialverantwortlichen Wirtschaft; der Glaube an die überzeitlichen Werte klassischer Ästhetik; der Versuch, zwischen Individualismus und Kollektivismus zu vermitteln; der Respekt für lokale, regionale und nationale Identität; und die Besinnung auf das Naturrecht als ultimativer Richtschnur unseres Wertekanons. Es ist