Renovatio Europae.. David Engels

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Название Renovatio Europae.
Автор произведения David Engels
Жанр Документальная литература
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Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783948075866



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Bände zum Verfassungs- wie zum Wirtschaftsrecht.

      In diesem Prozeß des Ideenaustausches erscheinen uns zwei Aspekte von besonderer Bedeutung. Zum einen ist es unser langfristiges Ziel, ein tragendes, zu Papier gebrachtes Konzept möglicher Reformen vorzulegen. Zum anderen ist es genauso wichtig, das Konzept »europäisch« auszuarbeiten. Adolph Muschg hat in seinem Essay »Was ist europäisch« (2006) auf die besondere Kultur des europäischen Diskurses hingewiesen. Das Besondere läge darin, Widersprüchen zu begegnen, Enttäuschungen zu ertragen und Konflikte gelten zu lassen, und das im vollen Wissen um die Ambivalenz aller Lösungsvorschläge. Daher sah Adolph Muschg damals auch in den neuen ostmitteleuropäischen EU-Mitgliedern eine Hoffnungsquelle dafür, den europäischen Diskurs zu beleben. Jene Länder seien, so meinte er, »widerspenstig« genug, um aufgrund eigener Erfahrung und Geschichte auf ihrer Identität zu bestehen und daher neuen Wind in die Debatte um den berühmten europäischen Wahlspruch »Einheit in Vielheit« zu bringen.

      Diese besondere Art des europäischen Diskurses erscheint uns die richtige Haltung angesichts der widersprüchlichen Herausforderungen, denen es zu begegnen gilt. Denn es ist genauso schwer, sich ein Europa mit Grenzen vorzustellen, wie ein grenzenloses Europa. Die Ökonomie ist zwar nicht ausreichend als europäisches Fundament; ohne ökonomischen Zusammenhalt ist die europäische Vereinigung jedoch genauso schwer denkbar. Die europäischen Nationalstaaten stärken zwar partikulare und fragmentierende Tendenzen in der EU; ohne die Nationalstaaten ist die vitale Partizipation der Bürger am politischen und ökonomischen Leben aber kaum zu realisieren.

      Doch Reformkonzepte unter Anerkennung der nationalen und kulturellen Diversität auszuarbeiten, ist einfacher gesagt als getan. Wie viel schneller und einfacher wäre es, einfach nur die eigenen Gedanken zu Papier zu bringen und erst dann vor dem europäischen Publikum zu diskutieren! Bei der Erstellung dieses Bandes haben wir aber bewußt den zwar mühseligeren, jedoch umso spannenderen »europäischen« Weg gewählt. Die vorliegende Publikation ist daher die Folge einer aufregenden Debatte zwischen profilierten Denkern aus unterschiedlichsten kulturellen und nationalen Kontexten, deren Positionen nach intensiver Diskussion und Abstimmung nunmehr zwischen zwei Buchdeckeln versammelt wurden. Man muß dabei allerdings auch anerkennen, daß derartige partizipative Verständigungsprozesse Persönlichkeiten mit Organisationstalent und Gespür für die Bereicherung durch kulturelle Differenzen verlangen. Herr Professor David Engels ist so eine Persönlichkeit. Für seinen Einsatz bei der Entstehung dieses Buches danke ich ihm sehr.

Justyna Schulz Poznań, im März 2019

      »Renovatio Europae« Eine hesperialistische Zukunft für Europa?

      David Engels

      Mehr denn je sieht sich die Europäische Union einer Fülle von Problemen gegenüber, deren Schwere sich auch in der erneuten Debatte um die Notwendigkeit einer Reform der europäischen Institutionen niederschlägt. Angesichts von Herausforderungen wie der gegenwärtigen Masseneinwanderung, der wachsenden gesellschaftlichen Polarisierung, dem Altern der Gesellschaft, dem Verfall traditioneller Werte, dem demographischen Niedergang, der Desindustrialisierung, dem Aufstieg Chinas, der Schuldenkrise und der Erosion der bisherigen politischen Parteienlandschaft ist es unabdingbar geworden, die Kooperation zwischen den europäischen Staaten zu überdenken und an die gegenwärtige Situation anzupassen.

      In dieser Hinsicht bezeichnen »Identität und Werte« wohl jene Aspekte des sozialen und politischen Zusammenhalts Europas, welche von der Europäischen Union am meisten vernachlässigt worden sind. Die ausschließliche Fixierung auf wirtschaftliche und institutionelle Fragen, bereits zu Beginn des europäischen Integrationsprozesses von Gründungsvätern wie Robert Schuman kritisiert, hat schließlich ein kulturelles Vakuum entstehen lassen, dessen volle Bedeutung erst in diesen Tagen der allgemeinen Krise ganz ermessen werden kann:

      »Dieses vereinige Europa kann und darf nicht eine rein wirtschaftliche und technische Unternehmung bleiben; es benötigt eine Seele, ein Bewußtsein seiner historischen Affinitäten und seiner gegenwärtigen undnftigen Verantwortungen […].« (Pour l’Europe)

      Denn nur die Solidarität zwischen den Bürgern kann den Kontinent einigermaßen durch die anstehenden Jahre selbstgeschaffener Krise und eigenverschuldeten Niedergangs steuern. Doch ohne eine gemeinsame Identität besteht keinerlei Möglichkeit, einen solchen gesellschaftlichen Zusammenhalt aufzubauen, und es war eine der Lehren der Migrationskrise, daß eine solche »Identität« nicht auf rein humanistischen und universalistischen Werten gegründet werden kann, sondern einer tiefen Verankerung im kulturellen, historischen und spirituellen Unterbewußtsein einer seit Jahrhunderten geteilten Vergangenheit bedarf, also einer Verankerung in jenen Werten, welche meist als »konservativ« bezeichnet werden – ein Begriff, der heutzutage meist pejorativ gemeint ist, der im Folgenden aber freiwillig als positive Selbstbeschreibung verwendet werden soll.

      Dabei möchte ich fortan für jenes patriotische Bekenntnis zu einem vereinigten Europa, das allerdings eben nicht nur auf universalistische, sondern auch auf konservative Werte gegründet werden soll, den neuen Terminus des »Hesperialismus« verwenden; ein Begriff, der aus der griechischen Bezeichnung für den äußersten Westen der bekannten Welt abgeleitet ist und gewissermaßen den Gegenbegriff zu »Europäismus« bilden soll, mit dem man meistens eine unkritische Unterstützung der gegenwärtigen Europäischen Union mitsamt ihrer zur Zeit herrschenden Ideologie politischer Korrektheit meint.

      Freilich ist das Projekt einer solchen konservativen, »hesperialistischen« Reform der Europäischen Union, einer wahren »Renovatio Europae«, auf den ersten Blick nichts anderes als eine gewaltige Provokation, denn wir alle müssen uns dessen bewußt sein, daß eine grundlegende Reform des europäischen Verwaltungs- und Entscheidungsapparats, wenigstens im Augenblick und sicher auch während der nächsten Jahre, eine illusorische Vorstellung ist. Es dürfte kein Geheimnis sein, daß das Europäische Parlament, die Europäische Kommission, der Europäische Rat, der Europäische Gerichtshof und selbst die meisten der europäischen Verwaltungen nicht nur größten Unwillen gezeigt haben, die Lösung der zahlreichen Überlebensfragen, mit denen unser Kontinent konfrontiert ist, in Angriff zu nehmen; sie haben sich sogar geweigert, überhaupt ihre Existenz zur Kenntnis zu nehmen, da bereits ein solcher Akt gleichbedeutend gewesen wäre mit einem Eingeständnis der desaströsen Folgen der jahrelang von ihnen betriebenen Politik. Es steht daher wohl außer Frage, daß diese Situation auch in der nächsten europäischen Legislaturperiode weitgehend dieselbe bleiben wird. Denn selbst wenn die sogenannten »populistischen« und »euroskeptischen« Parteien wie zu erwarten eine beachtliche Opposition darstellen und zu einer klareren und transparenteren Debatte über die zur Frage stehenden Grundprobleme unseres Kontinents und unserer Zivilisation beitragen werden, wird die politische Situation innerhalb des Europäischen Parlaments doch weitgehend dieselbe sein wie gegenwärtig im deutschen Bundestag und vielen anderen nationalstaatlichen Parlamenten: Ausgehend von der Entscheidung, die »Populisten« von jeglicher Form politischer Machtausübung auszuschließen und ihre Positionen unkritisch und in Bausch und Bogen abzulehnen, werden die anderen Parteien, auch wenn sie zunehmend vom Wähler abgestraft werden, immer größere Kartelle bilden und somit die meist selbstverschuldeten Fehler der Vergangenheit nicht nur fortsetzen, sondern wahrscheinlich auch noch vertiefen, während jede echte, grundlegende Reform des Systems paralysiert werden wird.

      Nun stellt sich freilich die Frage, wozu ein Reformprojekt wie das vorliegende überhaupt dienen möge, wenn doch keinerlei Aussicht darauf besteht, ein solches alternatives Europabild in absehbarer Zeit verwirklicht zu sehen? Die Antwort auf diesen berechtigten Einwand läßt sich in vier Aspekte gliedern.

      Zunächst einmal ist es natürlich eine Provokation, gerade in der heutigen Situation von der Notwendigkeit einer konservativen Reform der Europäischen Union zu sprechen, und gezielte Provokationen sind heute zu einer absoluten Notwendigkeit geworden, um dem gegenwärtigen politischen Kampf eine neue, offensive Dimension zu geben, ist es doch leider meistens so, daß konservative Denker sich nicht nur ausgesprochen defensiv verhalten, sondern sich meist sogar der politischen Terminologie ihrer Gegner bedienen. Schon viel zu lange haben die Konservativen Europas in Schweigen verharrt