Triumph der Gewalt. Karl Arne Blom

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Название Triumph der Gewalt
Автор произведения Karl Arne Blom
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788711459157



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eine niedrige Stirn. Nur etwas vermochte diesen Hünen zu besiegen, und das war der Alkohol.

      Im Herbst 1971 hielt Barbro es nicht mehr aus. Seit einem halben Jahr war Runes Aggressivität gegen sie kaum mehr zu übertreffen. Er ohrfeigte sie, zerrte sie an den Haaren und zeigte auf jede Weise, daß er sie haßte.

      Eines Nachts flüchtete sie aus dem Haus. Sie nahm den Sohn mit und schlief mit ihm im Kuhstall.

      Rune war von der fixen Idee besessen, daß Barbro schuld an dem Niedergang sei. Schließlich zeigte sie ihn an.

      Rune wurde in eine psychiatrische Klinik eingeliefert, weil man ihn für gemeingefährlich hielt.

      Zwei Tage später zog Barbro ihre Anzeige zurück, und Rune durfte nach Hause zurückkehren.

      Er war zerknirscht und versprach, nie mehr eine Flasche anzurühren. Er hielt sein Versprechen – eine Zeitlang. Als wieder einmal Vieh einging, trank er bis zur Besinnungslosigkeit und schlug seine Frau.

      Das Karussell drehte sich von neuem.

      Barbro begann mit einem andern Mann zu gehen, mit einem Mann, der ihr Zärtlichkeit und Wärme gab.

      Die Scheidung war unvermeidlich.

      Ragnar wurde in Pflege gegeben. Aber schon nach kurzer Zeit flehte und bettelte er, auf den Hof seines Vaters zurückkehren zu dürfen. Er sehnte sich nach seiner früheren Schule, nach seinen alten Kameraden, nach den vertrauten Spielplätzen, nach seinem Pony, seinem Moped und seinen Kaninchen.

      Rune übertrug seinen Haß gegen Barbro auf Ragnar. Wenn er betrunken war – und das war er oft –, ließ er seinen Unmut an dem Sohn aus.

      Ragnar war Prügel gewöhnt. Schon früher hatte ihn der Vater häufig übers Knie gelegt; aber seit die Mutter nicht mehr da war, mußte er über Gebühr herhalten. Doch was sich an diesem Dezemberabend zutrug, das überstieg alle Grenzen. Ragnar kam um halb sieben nach Hause.

      Er hatte nach der Schule mit seinen Freunden eine Weile gespielt. Nun hatte er Hunger, und er wollte vor dem Zubettgehen noch seine Schularbeiten machen.

      Rune war total betrunken.

      Er schalt ihn zornig, weil er so spät nach Hause gekommen war und seine Hose beschmutzt hatte.

      Bevor Ragnar den Mund aufmachen konnte, erhielt er den ersten Hieb. Bis drei Uhr nachts ging die Mißhandlung vor sich. Dann fand sie ihr Ende, weil Rune aus schierer Ermattung einschlief. Rune hattte seinen Sohn mit Fäusten und Tritten bearbeitet.

      Als der Schularzt Ragnar zwei Tage später untersuchte, stellte er hundertvier Wunden am Körper des Knaben fest. Wo die Haut nicht zerkratzt war, wies sie Blutergüsse auf, die Augen waren zugeschwollen, die Lippen aufgesprungen.

      Die meisten Hiebe hatten Ragnar ins Gesicht getroffen.

      Zum Schluß hatte Rune ihn mit der einen Hand zwischen den Beinen gepackt, mit der anderen am Hals und ihn mit letzter Kraft durch die Luft geschleudert, so daß Ragnar kopfvoran gegen die Wand geprallt war. Die ganze Zeit hatte Ragnar keinen Laut von sich gegeben und keine Träne vergossen.

      Als Rune am Morgen erwachte, sah er, daß Ragnar schlief. Er schüttelte ihn wach und sagte: „Du, steh auf. Sonst kommst du zu spät zur Schule.“

      An diesem Tag radelte Ragnar nicht zur Schule, sondern zu seinem Onkel, dem Bruder seiner Mutter. Der Onkel war jedoch schon zur Arbeit gegangen. Ragnar saß im Treppenhaus und wartete Stunde um Stunde, bis der Onkel abends um halb sechs heimkehrte.

      Da konnte der Knabe kaum reden. Er vermochte nicht auf den Beinen zu stehen. Er sah fast nichts, weil seine Augen zugeschwollen waren.

      Ragnar war gar nicht auf den Gedanken gekommen, bei seiner Mutter Zuflucht zu suchen. Es war dem Vater gelungen, die eigenen Haßgefühle gegen Barbro dem Sohn einzuimpfen. Aber selbst wenn Ragnar zu seiner Mutter hätte fliehen wollen, so hätte er nicht gewußt, wo sie sich aufhielt.

      Bei der behördlichen Untersuchung stellte sich heraus, daß Ragnar entwicklungsgestört und geistig zurückgeblieben war, einen Intelligenzquotient unter neunzig hatte. Er konnte noch nicht einmal die Uhrzeit richtig ablesen.

      Es kam heraus, daß Ragnar seinen Vater in nüchternem Zustand sehr liebenswert fand. Dann schenkte dieser nämlich seinem Sohn alles mögliche.

      „Was soll nur aus dem armen Kerl werden?“ fragte einer der Journalisten, die den Prozeß verfolgten.

      Das war nicht das letztemal, daß Ragnar mit Gewalttätigkeit und Rechtsordnung zu tun bekam.

      Kerstin Holmbergs Freundin

      Auch der Sommer 1973 war ungewöhnlich warm und durstig, so daß den Leuten in Lund die Kleider am Leibe klebten.

      Cecilia Hard wäre gern in ein Ferienparadies gereist, um einen schönen Urlaub zu verbringen, oder wenigstens täglich zu einem Badestrand in der Nähe der Stadt geradelt, wo sie das erfrischende Wasser und die Sonne hätte genießen können.

      Cecilia Hard war zweiunddreißig Jahre alt, unverheiratet und bewohnte in der Gyllenkroksallee zwei Zimmer mit Küche. Zu der Wohnung gehörten auch ein Badezimmer und ein großer Schrank auf dem Dachboden.

      Cecilia Hard war sehr einsam. Gemäß den Schönheitsregeln mußte sie als häßlich gelten.

      Seit zwei Jahren wohnte sie in der Gyllenkroksallee. Sie arbeitete als Schreibkraft in einem Büro. Es gefiel ihr in Lund ganz und gar nicht. Sie wäre gern in eine andere Stadt gezogen, wenn sie nur die geringste Hoffnung gehegt hätte, daß sich ihre Lage dort bessern würde.

      Nein, sie machte sich keine Illusionen; sie hatte es längst aufgegeben, etwas zu erhoffen.

      Eine alte Tante von ihr lebte in Lund. Insofern hatte sie Gesellschaft, wenn die Einsamkeit allzu drückend wurde.

      Sehr oft sahen sich die beiden allerdings nicht. Cecilia besuchte ihre Tante nur ab und zu. Aber es stand ihr frei, dorthin zu gehen, wenn sie wollte, da sie einen Schlüssel zu der Wohnung hatte. Hingegen besuchte die Tante Cecilia nie.

      Cecilia war im Lauf der Zeit menschenscheu geworden. Sie hatte sich zu einer Einsiedlerin entwickelt.

      Martin und Kerstin Holmberg wohnten nebenan in der Gyllenkroksallee.

      1973 – das war der Sommer, in dem Kerstin nicht berufstätig war, weil sie die Zwillinge Maria und Magdalena erwartete, die im Herbst zur Welt kamen. Da sie sich um ihr Töchterchen Inger zu kümmern hatte, fand sie genug zu tun.

      Kerstin ging oft mit Inger spazieren. Sie wollte die schönen Tage ausnutzen. Sie war gern an der frischen Luft.

      Auch Inger liebte es, im Freien zu sein.

      Zu ihrem Haus gehörte zwar ein Garten mit Rasen und zwei Bäumen, aber die hohen Häuser ringsum schlossen die Sonne fast vollständig aus.

      Gegenüber der verkehrsreichen Straße lag der Stadtpark.

      Dort hielten sich Kerstin und Inger häufig auf.

      Es gab Rasenflächen, die man betreten durfte, ringsum Bäume und Sträucher, viele farbenprächtige Blumen, einen kleinen Teich mit richtigem Vogelleben, Bänke zum Ausruhen und Kinderspielplätze.

      Es fiel Kerstin auf, daß eine ungefähr gleichaltrige Frau oft auf einer der Bänke saß.

      Kerstin war schlank und langbeinig, hatte lange, grazile Hände und dichtes dunkles Haar. Sie war unbedingt eine schöne Frau. Die Männer drehten sich nach ihr um und musterten ihre Beine und Hüften. Ihre Blicke verloren die erotische Begeisterung etwas, wenn sie die Schwangerschaftsrundung gewahrten.

      Manche dachten dann: Eine solche Frau sollte niemals Mutter werden.

      Ihr selbst bekam es ausgezeichnet, Mutter zu sein.

      Inger war nicht ihr erstes Kind.

      Eine jugendliche Verliebtheit mit siebzehn Jahren hatte einen Sohn zur Folge gehabt, den sie hatte adoptieren lassen müssen.

      Sie