DER MODDETEKTIV BESIEGT CORONA. Christopher Just

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Название DER MODDETEKTIV BESIEGT CORONA
Автор произведения Christopher Just
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783903184718



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auch diese so lang ersehnten Wiedersehen in den meisten Fällen zum endgültig letzten Mal stattfanden … Denn: Nach kaum zwei Monaten kehrte die Seuche zurück und brach als »Corona 2.0 – THE SECOND WAVE« über die Welt herein. Und gegen diese zweite Welle war Corona Phase 1 bloß ein Gruß aus der Küche, ein Easy-Peasy-Lemon-Squeezy-Frühlingsspaziergang gewesen. Corona 2.0 schlug eine beinharte Bresche ungekannter Breite in die Bevölkerung, es schien, als hätte das verdammte Virus aus seinen Anfängerfehlern gelernt, sämtliche seiner Kinderkrankheiten ausgemerzt, um nun, flügge geworden, aus dem Ärmel zu schütteln, was es wirklich draufhatte.

      Zuvörderst wurden die endlich wieder besucht werden gedurften Omas und Opas lückenlos dahingerafft, dicht gefolgt von den Betreibern, Angestellten und Kunden von Bau- und Gartenmärkten sowie den Inhabern der kleinen Läden, sprich: flinke Friseure, niedliche Nagelstudios, intime Waxingwerkstätten und Zeugs, also die, die als Erste wieder aufgesperrt hatten.

      Dann waren die Gastronomen, Hoteliers samt ihrer freudig herbeigereisten Gäste sowie die Immobilienbranche an der Reihe; vom irrigen Gerücht, stark gefallener Miet- und Kaufpreise in Scharen angelockt, gaben die Makler den Interessenten bei Wohnungs- und Hausbesichtigungen das Virus im wahrsten Sinn des Wortes über die Türklinke in die Hand. Dicht gefolgt von den Schülern, Studenten und Lehrkräften. Im naiven Glauben, der Peak der Krise sei überwunden, und nicht zuletzt auf massiven Druck genervter Eltern waren die Tore der Bildungsanstalten nach kaum sechswöchiger Pause wieder geöffnet worden. Aus Maturaklassen Maturacluster machend, bediente sich die Seuche ungeniert an den als Speerspitze zurück an die Front geschickten Abiturienten sowie deren weiblichen Pendants. Das Resultat: Ein ganzer Maturajahrgang wurde ausgelöscht.

      Enorme Verluste klarerweise auch im öffentlichen Dienst: Polizisten, Bus- und U-Bahnfahrer, Beamte, Müllmänner, Politiker, Ärzte und Krankenhauspersonal, klarerweise allesamt jedweden Geschlechts: zu Abertausenden von Corona 2.0 niedergestreckt.

      Es folgte der Sport: Unter dem unglückseligen Begriff »Geisterspiele« wurden die ersten Teams und Athleten verfeinstofflicht, und als dessen ungeachtet auch die Fans wieder in die Stadien Einlass fanden, konnte das Virus nach Herzenslust aus dem Vollen schöpfen.

      Wer daraufhin die blauäugige Hoffnung hegte, Corona würde zumindest im Bereich der schönen Künste Milde walten lassen, wurde bitter enttäuscht: Die Seuche entpuppte sich als wahrer Kulturbanause und verlustierte sich genüsslich an Künstlern, Publikum, Personal, Kritikern und Journalisten, kaum dass die Opernhäuser, Theater, Galerien, Museen, Kinos, Clubs und all die übrige bunte Kurzweil wieder in Betrieb genommen worden war.

      Hatte er was vergessen? Ach ja, klar: Die Bauarbeiter, die waren schon sehr früh dran gewesen, die Baustellen hatten – sehr zu seinem Leidwesen – kaum eine Woche stillgestanden.

      Fazit: Die zweite Coronawelle hatte die Bevölkerung Wiens um mehr als die Hälfte dezimiert.

      Dementsprechend rigoros fielen die neuen Bestimmungen aus: Statt Masken (das Virus hatte, während es auf Urlaub war, nicht bloß faul am Strand rumgelegen, sondern die Auszeit genutzt, um ein paar von seinen Andockungsfitzelchen zu optimieren, und konnte nun mühelos durch Zellstoff- und Baumwollgewebe dringen) wurde nun das Tragen von Plexiglasniesschutzkugeln zur Pflicht, wenn man die eigenen vier Wände verlassen wollte.

      Den Moddetektiv zog es ohnehin nicht nach draußen, er ekelte sich vor den Menschen. Immer schon war er den in der Überzahl ungepflegten Bewohnern dieser Stadt großräumig ausgewichen und hatte sich stets mit angehaltenem Atem nah an eine Hauswand gequetscht, oder war mit abgewandtem Gesicht an den Gehsteigrand geflüchtet, um an dessen äußerster Kante entlangbalancierend dem Geruchsradius eines dumpf stinkend auf ihn zusteuernden Passanten zu entkommen. Abstand halten war für ihn also nichts Neues. Und die Hände hatte er sich im Gegensatz zu den meisten Einheimischen, denen diese exotische Hygienemaßnahme erst via TV nahegebracht werden musste, auch immer schon gewaschen. Überhaupt hatte sich trotz des Ausnahmezustands für ihn nicht allzu viel verändert, lebte er doch seit der Trennung von Birgit ein Leben, das dem eines Einsiedlers um nichts nachstand. Seine kurzen Spaziergänge beschränkten sich auf die notwendigsten Erledigungen wie Friseurbesuche und Lebensmitteleinkäufe sowie ein gelegentliches Vertreten der unteren Extremitäten. Nur in Ausnahmefällen begab er sich zur Mariahilfer Straße, um ein Eis zu erstehen – doch auch das hatte sich mittlerweile erübrigt, Bortolotti sowie auch der Friseur hatten ebenfalls längst geschlossen.

      Dennoch verstand er das ganze Geraunze wegen des Zu-Hause-bleiben-Müssens nicht, hatte es bereits bei der ersten Coronawelle nicht verstanden. Was war denn bloß mit den bescheuerten Leuten los? Da heulten sie fortwährend rum, ihr Leben nicht genießen zu können, weil sie von früh bis spät, tagein, tagaus bis zum Umfallen arbeiten gehen müssten, und wenn sie dann endlich mal daheimbleiben durften, fiel ihnen sogleich die Decke auf den Kopf. Okay, vielleicht war die Decke bei manchen ziemlich niedrig und man stieß sich bald einmal den Schädel an der hässlichen Halogendeckenleuchte an, zudem genoss nicht jeder den Luxus, allein in einer Hundertquadratmeteraltbauwohnung zu logieren, dennoch: Wussten die Leute denn gar nichts mit sich anzufangen? Ein Buch lesen, Musik hören, Schnaps brennen, geschlechtlich verkehren, Bomben bauen, Filme schauen, oder sonst irgendwas tun, was man immer schon hatte tun wollen, wozu einem bisher jedoch die Zeit gefehlt hatte. Nein, die – wie ihnen von der Regierung großzügig beschieden wurde – ach so freiheitsliebenden Bürger dieses Landes hatten mit von Gier geblähten Nüstern, unstet flackerndem Blick, derbei hufescharrend und an den zum Zerreißen gespannten Zügeln zerrend, unerträglich lange vier Wochen!! – das musste er sich mal auf der auf dem trockenen Gaumen klebenden Zunge zergehen lassen,v i e rW o c h e n!! – auf den erlösenden Startschuss gewartet, um, sobald dieser abgefeuert worden war, loszupreschen und zurück in ihre selbstauferlegte Knechtschaft des Kaufrauschs zu galoppieren.

      Kaum dass die heruntergelassenen Rollläden eines Bonbonladens, dessen tristes Abbild bei unzähligen TV-Berichterstattungen zur Illustration der Krise herhalten hatte müssen, abermals hochgekurbelt waren, enterten etliche Tausend Einheimische die Räumlichkeiten der nun wiederauferstandenen Confiserie, um sich mit Süßem einzudecken. Und dies nicht, weil es sie danach gelüstete (denn klebriges Konfekt vertilgt hatten sie während der Quarantänezeit vor den Fernsehgeräten bis zur Verstopfung (hihi, welche Ironie, wozu nun all die Tonnen von Klopapier, die sich in jedem Haushalt bis an die niedrige, auf den Kopf zu fallen drohende Decke stapelten?)), sondern: weil es wieder möglich war. Und so verhielt es sich mit allen Dingen: topfrisiert und von Kopf bis Fuß neu eingekleidet speiste man begeistert auswärts, nachdem man Opernhäuser, Theater und Kinos besucht hatte, zu welchen man mit frisch geleasten SUVs gebraust war – so als wäre die Seuche nichts als ein kurzes Intermezzo, ein bereits in Vergessenheit geratenes Event gewesen. Jene Traumtänzer, die während der Krise von der Chance einer nachhaltigen Veränderung der Welt fantasiert hatten, wurden flugs eines Besseren belehrt, denn wenn sich etwas aus der Geschichte lernen ließ, dann war es dies, dass der Mensch nichts aus der Geschichte lernte, aus dem einfachen Grund, weil die Menschen eben die Menschen waren, und es so lange bleiben würden, bis auch der Allerletzte von ihnen vom Riesenratzefummel Gottes von der Weltkugel wegradiert worden sein würde.

      Delfine in den Kanälen Venedigs, Rückgang der CO2-Emissionen um siebzig Prozent, erholsame Stille anstelle des Getöses von im Minutentakt über die Köpfe hinwegbrausenden Jumbojets? – Drauf geschissen! Was nützten einem die blöden Delfine, wenn man nicht hinfliegen konnte, um sie abzufotografieren …

      Ein aufforderndes »Mrauz« unterbrach den Moddetektiv in seinem inneren Monolog. Kater Christian war zu ihm auf das Bett und sogleich wieder hinabgesprungen, um, gelegentlich einen vorwurfsvollen Blick zu ihm hochschickend, sich nun in Form eines Unendlichzeichens um und zwischen seinen Unterschenkeln entlangzuschmieren. Das possierliche Gehabe des schneeweißen Tieres mit dem azurblauen Silberblick zwang dem Moddetektiv ein mildes Lächeln ab. Christian … Birgits unfreiwilliges Vermächtnis.