Название | Der Eistaucher |
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Автор произведения | Lars Andersson |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788711504628 |
Vielleicht hatte der Pilgerpfad mich doch dorthin geführt, wohin ich sollte. Eine Landesschule in Nord-Trøndelag, zwei Landeskinder um die siebzehn, die Saft als Wein tranken!
Wir entkorkten unsererseits eine Flasche Weißwein und redeten uns halbwegs in den Morgen hinein.
Ich lief dort wie ein Beobachter von einem anderen Planeten herum, dessen Position ich vergessen hatte.
Der Schultag begann mit einer Morgenandacht. Kirchenlied von Grundtvig. Der Direktor, einer dieser kleinen, kräftigen, barsch humorvollen Männer, die schon durch ihre Physiognomie viel pädagogisches Kopfzerbrechen überflüssig machen, sprach einige Worte. Dieser Wind, der stets durch eine Versammlung von Fünfzehn-, Sechzehn-, Siebzehnjährigen geht, wie durch einen Laubwald: hier war er klar, knisternd, mehr von Sauerstoff gesättigt als von Sensationen.
Auf dem Fußballplatz feuerten sie ihre Mannschaft zu einem haarscharfen Sieg über die Lehrermannschaft an.
Im Speisesaal konnten sie aufstehen und das Wort ergreifen: irgendwelche Dinge, die abends erledigt werden mußten, das eine oder andere, was mitzuteilen war.
Teils spielerisch, teils unter hitzigen Auseinandersetzungen räumten sie die Baracken des Internats auf. Durch die offenen Fenster donnerte Nina Hagen von der Kassette übers Tal hin.
Einer von den Weintrinkern, ein kleiner blonder Typ mit blaßblauen Augen und muskulösen Händen, suchte mich nach meiner Lesung auf, schnorrte eine Prise Schnupftabak und erkundigte sich, wie es eigentlich käme, daß ich Bücher schrieb. Er wollte sich im Sommer einer Gruppe von Mineralogen anschließen, um Gold zu suchen.
Abends, während die Halbstarken in ihren Amischlitten langsam den Sportplatz umkreisten, spielten wir »Eins, zwei, drei, das letzte Paar vorbei«, solange es noch hell genug war.
Das Unterrichtsniveau sei nicht hoch, sagte A. Es gebe keine literarische Neigung in den Klassen. Einige würden zwar später aufs Gymnasium gehen, die allermeisten jedoch würden eine Berufsausbildung wählen oder Aufgaben in einem Bauernhof übernehmen.
Der Kollege, der Sunnmörer, hatte sich zurückgezogen, um an seiner Schulabschlußrede zu schreiben.
Spät abends machte ich einen einsamen Spaziergang am Fluß hinunter. Der abnehmende Mond tauchte ein zitterndes Licht ins seichte Wasser. Ich war schwer wie ein Stein, verzagt.
Ich ging auf eine schmale Landzunge mit rundgeschliffenen Steinen hinaus, hüpfte auf einigen größeren vorwärts, bis ich auf allen Seiten von Wasser umgeben war. Die Wasseroberfläche war gekräuselt, der Fluß knisterte wie schwarze Seide.
Kühler, schleichender Wind. Ich sah dem Mond ins Auge und blieb regungslos stehen.
Irgendwas passierte mit mir, während ich da stand. Ich habe nie den Versuch gemacht zu erklären, was es war.
Nach geraumer Zeit spürte ich, wie mein Gesicht sich entspannte und gleichsam wieder in seine Form hineinschmolz. Das, was geschehen war, verhallte und verließ den Körper.
Ich ging rasch und still wieder hinauf zu den Menschen.
Der Sunnmörer hatte ein paar Cohen-Texte. Nachts versuchte ich mich an einem davon.
Und wer durch Feuer, wer durch Wasser,
wer im Sonnenschein, wer in der Nacht allein
Wer durch Gottes Fluch, wer durch Richterspruch,
wer in des Frühlings grünem Schwall,
wer durch herbstlichen Zerfall,
und von wem darf ich grüßen?
Wer es im Traume tat, wer durch Barbiturat,
wer beim Liebesspiel, wer als der Kugeln Ziel
Wer im Lawinengrab, wer ohne Stock und Stab,
wer durch seine Gier, wer durch Hunger schier,
und von wem darf ich grüßen?
Wer in der Einsamkeit, wer mutig und bereit,
wer durch ein Ungeschick, wer beim Spiegelblick
Wer durch der Liebe Band, wer durch eigne Hand,
wer von Angst bedroht, wer ganz ohne Not,
und von wem darf ich grüßen?
Der Schulabschluß: die Schüler waren zu Hause gewesen und hatten sich umgezogen, die Mädchen kamen in der Volkstracht, Familie und Verwandtschaft quollen aus dem Auto. Die kleine Aula war voll besetzt. Wieder wurde Grundtvig gesungen. Eine Schülergruppe spielte ein Stück von Molière, im Trondheimschen Dialekt. Die Rede, über der sich mein Gastgeber bis zuletzt die Haare gerauft hatte, war hartgesotten, präzise und sentimental wie ein Brief von Raymond Chandler.
Herzzerreißende, tränenreiche Szenen spielten sich ab, als die Mädchen der Abschlußklassen über den Hof hinausschauten, bevor sie sich in den Autos verstauten.
Die Nacht verstrich mit vielen Flaschen Weißwein.
Am Morgen des nächsten Tages quetschten wir uns in den Taunus und fuhren lange an dem ausgedehnten, silberweißen Snåsavatn-See entlang.
Die Stummheit. Wir waren einen Fjällhang hinaufgeklettert und hatten uns auf einen Stein gesetzt, in den Stunden vor der Abschlußfeier. Direkt unter uns, mitten im Fluß, lag eine eigentümliche, dicht und gleichmäßig hoch bewaldete, absolut elliptisch geformte Insel, und ich hatte träge mit dem Gedanken gespielt, daß dies der richtige Ort wäre, wenn man sich einmal radikal verstecken wollte: schräg stromaufwärts zur Insel hinschwimmen, den Strand hinaufklettern und zwischen den Bäumen verschwinden.
Ich hatte davon gesprochen, daß ich ein Buch über die Stummheit schreiben wollte. Es sollte eine Fortsetzung meines ersten Romans sein, und eine Erzählung von einem Moor sollte auf eine sehr listige Weise hineinverflochten werden, an der ich schon herumzubasteln versucht hatte. A. hatte zum Schnee eines weit entfernten Gipfels hingeblinzelt und war abwartend interessiert gewesen.
»Ich habe auch daran gedacht, ein Buch über dieses Frühjahr zu schreiben«, hatte ich gesagt. »Einfach die Banalitäten, wie sie sich ereignet haben, und die Eintönigkeit, und es soll Arild Andersson 1980 heißen.«
A. hatte plötzlich breit gegrinst und gesagt:
»Nein, verdammt nochmal, das traust du dich nicht.«
Dann waren wir unten bei einem mächtigen Wasserfall gewesen und hatten über dies und jenes geredet, doch es war die Stummheit, über die ich nachgedacht hatte.
Es muß möglich sein, sie auszusprechen, wie man Laute in ein Horn bläst.
Später am Abend bogen wir vor dem Hof von A.s Eltern ein. Wir wollten noch am selben Abend weiter nach Trondheim, tags darauf würden sämtliche Zufahrten wegen des Russefests gesperrt sein, der etwas bizarren norwegischen Abiturientenfeier. Ich war verteufelt melancholisch und zugleich froh, und ich sah den Sommer vor mir.
Am dritten Tag im Juni kam ich zum Moor. Ich sollte die ganze Woche dort bleiben. Es ging ums Abstechen der Kanten: Herbert zeigte ohne viel Worte auf die Reihen, mit denen ich anfangen konnte.
Die Sonne waberte wie ein Butterklumpen in einer heißen Eisenpfanne, doch ein leiser, beständiger Wind hielt die Insekten fern. Fünf oder zehn Moorgräben weiter ging der Gräber, man sah seinen Rücken sich beugen und wieder aufrichten, beugen und aufrichten, in einem ruhigen, fließenden Rhythmus. Wir sahen ihm zu, Eivind und ich, als wir in irgendeinem Torfschuppen Pause machten und aus einem Saftkanister tranken. Der Gräber pausierte nicht