Die Oslo-Connection - Thriller. Olav Njølstad

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Название Die Oslo-Connection - Thriller
Автор произведения Olav Njølstad
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788726344127



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hast du unten am Anleger gemacht, Gerhard? Du weißt, ich will nicht, dass du dich da unten allein rumtreibst, besonders nicht jetzt, wo das Wasser so kalt ist.«

      »Äh, ich war nur ganz kurz da unten.«

      »Aber du sollst da nicht hin.«

      »Äh, ich weiß, Vater, hatt ich vergessen.«

      »Du hättest ins Wasser fallen können, und dann wäre niemand dort gewesen, um dir zu helfen.«

      »Doch, da war jemand.«

      Die kleine Falte zwischen seinen Augenbrauen verriet, dass er dieses Mal entschlossen war, sich zu verteidigen.

      »Widersprich mir nicht, bitte. Ich habe dich durch das Fenster gesehen. Du warst mutterseelenallein. Und länger als nur einen kurzen Moment.«

      »Ich war nicht allein, Vater.«

      »Red keinen Unsinn.«

      Mutter kam herein.

      »Was ist jetzt schon wieder los?«

      »Gerhards Fantasien«, sagte Vater kurz. »Ich habe ihn daran erinnert, dass er nicht allein unten zum Anleger gehen soll, und er hat mir geantwortet, dass er nicht allein gewesen wäre. Dabei haben wir deutlich gesehen, dass da außer ihm niemand war.«

      »Das stimmt, Gerhard«, sagte die Mutter mild. »Wir haben am Fenster gestanden.«

      »Da war aber trotzdem ein Mann«, wiederholte er hartnäckig. »Nur dass ihr ihn nicht sehen konntet.«

      Der Vater seufzte laut, wie er es immer tat, wenn er langsam die Geduld verlor. Arnfinn kicherte erwartungsvoll am Kopfende des Tisches. Nur Mutter war unverändert ruhig. Sie lächelte, als sie die Vanillesoße in die Schale goss. Sie dachte sicher, dass es irgendwie auch schön war, einen mit Fantasie in der Familie zu haben.

      »Was für ein Mann? Erzähl doch, Gerhard.«

      »Na, der im Wasser.«

      Es wurde vollkommen still am Tisch.

      »Mein Gott«, sagte Vater schließlich. »Willst du damit sagen, dass da wirklich ein Mann im Wasser lag?«

      Gerhard nickte eifrig. Endlich glaubten sie ihm. Und keiner dachte mehr daran, nach seinem Messer zu fragen.

      »Ja, so ein alter mit weißen Händen. Und mit einem Bart.«

      »Und das sagst du uns erst jetzt? Das ist nicht klug, Gerhard. Warum hast du nicht um Hilfe gerufen?«

      Sein Vater nahm sich nicht die Zeit, die Antwort abzuwarten. Er war längst vom Stuhl aufgesprungen und nach draußen gerannt – mit Arnfinn im Schlepptau.

      Gerhard blickte unglücklich zu seiner Mutter.

      »Der war doch erwachsen. Und Erwachsene können doch schwimmen und auf sich selbst aufpassen, oder?«

      »Ja, doch«, sagte Mutter. »Aber nicht, wenn sie im Winter ins Wasser fallen. Wir sind hier in der Finnmark, weißt du. Nicht auf den Kanarischen Inseln.«

      Sie stand am Fenster und sah ihrem Ehemann nach, der mit langen Schritten zum Anleger hinunterlief. Ein Blick ins Wasser reichte. Er richtete sich auf und rief seinem ältesten Sohn etwas zu. Der Junge machte kehrt und rannte, so schnell ihn seine dünnen Beine durch den Schnee trugen, zurück zum Haus.

      Sie verstand.

      Sie mussten die Polizei anrufen. Und dann sollte sie sich wohl warme Sachen anziehen und nach unten gehen, um den Unglücklichen an Land zu ziehen.

      »Du, Mama«, rief Gerhard ihr nach. »Darf ich aufstehen?«

      3

      »Fechten ist ein fantastischer Sport«, erklärte der Außenminister, während der dunkelblaue Quattro aus dem Stadtzentrum in Richtung Bygdøy rauschte. Es war ein schöner Wintertag: Die Sonne strahlte auf dick verschneite Hausdächer, Bäume und Wiesenflächen herab. Mitten auf dem vereisten Frognerkil räumten ein paar Jugendliche eine Eishockeyfläche frei, und über die Promenade zwischen Fjord und Autobahn schob sich ein Strom zufriedener Spaziergänger.

      Aber jetzt ging es also ums Fechten!

      »Es gibt drei Wettkampfformen beim Fechtsport«, dozierte Fridtjof Bremer in seiner leicht pompösen Art, »Säbel, Degen und Florett. Hier in Norwegen kämpfen wir nur mit dem Degen, leider. Eine Stichwaffe. Ich habe in meiner Jugend ein wenig Florett gefochten, als ich in Paris Wirtschaft studiert habe. Eine anspruchsvolle Waffe. Was für ein Gefühl, wenn man sie zu meistern versteht! Aber auch der Degen ist gut. Fechten Sie, Hartmann?«

      Polizeikommissar Jørgen Hartmann vom Polizeilichen Sicherheitsdienst, PST, antwortete höflich, dass er das nicht tat. Abgesehen von einer missglückten Boxkarriere in seiner Jugend und dem obligatorischen beruflichen Selbstverteidigungstraining, hatte er wenig Erfahrung mit Kampfsport. Er ritt im Sommer ein bisschen draußen in der Natur und spielte hin und wieder mit einem seiner Kollegen Tennis, doch dessen Returns waren genauso schwach wie seine. Und er hatte sich einmal im Bogenschießen versucht. Aber Degen, nein. Leider, sollte er vermutlich sagen?

      »Sie haben ja keine Ahnung, was Sie verpassen. Die ganze Zeit über volle Konzentration. Erst ein paar kleine, abwartende Bewegungen, während man den Gegner beobachtet und seine Angriffe pariert. Dann ein kleiner Scheinangriff. Und schließlich: Attacke!« Bremer warf sich nach vorne, aber der Gurt katapultierte ihn wieder zurück in den Sitz. »Habt ihr das gesehen, ein echter Siegesstoß!« Er lächelte aufgedreht. »Ein Siegesstoß«, wiederholte er, »setzt perfekte Balance, blitzschnelle Auffassungsgabe und den gnadenlosen Willen zum Angriff voraus. Verstehen Sie das Bild, Hartmann? Das ist Sicherheitspolitik, verkleidet als sportliche Ertüchtigung!«

      Hartmann murmelte eine undeutliche Antwort. Er war nicht wirklich am Fechten interessiert, und seine Gedanken kreisten schon seit Minuten um etwas anderes. Er hatte wieder von Rita geträumt. Sie war jetzt seit mehr als neun Jahren tot, doch er kämpfte noch immer darum, sie endlich zu vergessen. Jedes Mal, wenn er zu glauben begann, dass er es geschafft hatte, tauchte sie wieder in seinen Träumen auf. Es konnten helle, muntere Träume sein, reine Erotik, oder wie in dieser Nacht, eine einfache Fabel mit blauen, traurigen, sehnsüchtigen Untertönen. Der Effekt war immer der gleiche. Er wachte zwischen drei und vier Uhr mit klammen Händen auf und konnte nicht wieder einschlafen. Meistens endete es damit, dass er aufstand, sich den gestreiften Morgenmantel überwarf, sich ein Glas Scottish Pride eingoss und sich in den Sessel vor dem Fenster fallen ließ. Dort konnte er stundenlang sitzen, ohne das Licht oder das Radio einzuschalten, während er resigniert in die Winternacht starrte und darauf wartete, dass der Rest der Stadt endlich erwachte.

      Bremer redete unverdrossen weiter.

      »Ich war gestern Abend in der Oper, Hartmann, und habe dem Gekraxel der norwegischen Pantoffeltenöre zum hohen C beigewohnt. Mein lieber Gott! Jede Arie klang wie eine Studie über Höhenangst, ein unabsichtliches Vertigo aus Tönen! Und für diese Amateure bauen wir ein neues Opernhaus für 7 Milliarden Kronen!«

      Hartmann teilte Bremers Vorliebe für die Oper ganz und gar nicht (er hatte eher einen Hang zu Fred Astaire, Gene Hackman und den französischen Filmen der sechziger Jahre) und versuchte, sich stattdessen auf die Arbeit dieses Vormittags zu konzentrieren: die Sicherheit des Außenministers zu gewährleisten. In gewisser Weise eine absurde Situation. Hartmann verfolgte Bremers Karriere seit fünfundzwanzig Jahren aus nächster Nähe mit, seit der junge Radikale nach ein paar Steinwürfen vor der amerikanischen Botschaft im Drammensveien zum ersten Mal ins Visier des Sicherheitsdienstes geraten war. Während der christlich motivierte Sozialist Bremer gegen die amerikanische Bombardierung Nord-Vietnams protestierte, lautete der erste Überwachungsauftrag des Sozialdemokraten Hartmann, der gerade zum Kommissar des Überwachungsdienstes ernannt worden war, genau diesen Menschen unter Aufsicht zu halten. Jetzt waren die Rollen in vielerlei Hinsicht vertauscht: Bremer war der Anführer einer sehr amerikafreundlichen Auslandspolitik, während Hartmann mit den Jahren immer kritischer über das eigensinnige Auftreten der Amerikaner bei internationalen Konflikten dachte. Was das Steinewerfen anging, so war die längst in Vergessenheit geratene