Die Totenbändiger - Äquinoktium - Die gesamte erste Staffel. Nadine Erdmann

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Название Die Totenbändiger - Äquinoktium - Die gesamte erste Staffel
Автор произведения Nadine Erdmann
Жанр Языкознание
Серия Die Totenbändiger - Die gesamte Staffel
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783958344105



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wie ihr geheißen, und ignorierte Blaine. Um sich nicht von ihm provozieren zu lassen, kramte sie zur Ablenkung ihr Buch aus der Schultasche und tröstete sich mit dem Gedanken, dass sie den Mistkerl nur noch bis zum Mittagessen ertragen musste – und danach nie wieder.

      »Schlagt eure Bücher auf Seite 53 auf. Wir beginnen heute mit einem Sonett. Wer kann mir die typischen Merkmale dieser Gedichtform nennen?«

      Jaz dankte allen guten Sternen, als die Glocke zur Mittagspause läutete. Ms Green entließ die anderen in den Speisesaal, Jaz dagegen hielt sie zurück, um ihr einen Schnellhefter mit ihren Leistungsplänen sowie eine Lektüreliste für die nächsten Wochen zu geben und beides kurz mit ihr durchzusprechen.

      »Bis gleich! Wir warten im Speisesaal auf dich.« Jessica verzog mitleidig das Gesicht, als sie zusammen mit David das Klassenzimmer verließ.

      Doch Jaz kam es eigentlich ganz gelegen, dass Ms Green sie aufhielt. So würden die anderen vielleicht erst in einer Stunde misstrauisch werden, wenn Jaz nicht zum Nachmittagsunterricht erschien. Sie hoffte nur, dass Ms Green sie nicht wirklich so lange zutextete.

      Tatsächlich dauerte das gesamte Gespräch dann nicht länger als fünf Minuten, da Ms Green wegen einer Besprechung ins Lehrerzimmer musste. Erleichtert darüber, endlich wegzukönnen, wandte Jaz sich Richtung Speisesaal.

      Die Gänge waren leer. Alle Schüler befanden sich mittlerweile beim Essen und der Duft von Sheppard’s Pie hing in der Luft. Jaz fand vieles in der Akademie ziemlich übel – das Essen zählte allerdings nicht dazu. Glenda und Rosie waren tolle Köchinnen und liebe Menschen. Nur wer in der Akademie Dienste leistete, bekam Taschengeld, und Jaz hatte sich ihres bei den beiden in der Küche immer gerne verdient.

      Sie ließ den Gang zum Speisesaal links liegen und bog in den Korridor ab, der zur Bibliothek führte. Die alte Eichentür knarzte, als sie sie aufzog. Ähnlich wie der Versammlungssaal war auch die Bibliothek mit dunklem Holz vertäfelt. Mannshohe Regale standen an den Wänden und in Reihen in den Raum hinein und es roch nach Büchern und Papier. Vor den großen Fenstern reihten sich Lesetische nebeneinander und direkt am Eingang befand sich ein kleiner abgetrennter Bereich, der als Ausleihe diente.

      Der Raum war leer. Es gab keine Angestellten, die sich um die Organisation kümmerten. Die oblag den Schülerinnen und Schülern der zehnten Klasse der Akademie. Jaz hatte diese Arbeit vor zwei Jahren sehr gemocht, auch wenn sie komplett an ihr, Jessica und David hängen geblieben war. Kronprinz Blaine und seine Lakaien sahen es grundsätzlich unter ihrer Würde, Pflichten in der Akademie zu übernehmen. Das schien auch für alle okay zu sein – außer für Jaz. Sie hasste dieses Standesdenken.

      Am äußersten Ende der Bibliothek lag halb verborgen hinter einem Regal mit längst überholten Naturwissenschaftsbüchern eine Tür, die in ein kleines separates Studierzimmer führte. Jaz hatte keine Ahnung, ob außer ihr jemals irgendjemand dieses Zimmer genutzt hatte. Die meisten setzten sich an die Fenster im Lesesaal, nahmen die Bücher mit in die Klassenräume oder auf ihre Zimmer. Jaz hatte das kleine Studierzimmer daher oft als eine Art Geheimversteck benutzt, wenn sie allein sein wollte, aber nicht aus der Akademie herauskam, weil es zu dunkel oder neblig war oder es wie aus Eimern geschüttet hatte.

      Sie zwängte sich an einem Regal mit Geschichtsbüchern vorbei, als ihr Blick auf den kleinen silbernen Briefbeschwerer fiel, der auf einem der Tische in der Ausleihe lag. Er war geformt wie eine Walnusshälfte und ein Stapel Zettel lag darunter. Ausleihnotizen, die von der neuen zehnten Klasse noch in den Computer eingearbeitet werden mussten.

      Während ihrer Bibliotheksdienste hatte Jaz den Briefbeschwerer etliche Male in der Hand gehabt. Für seine recht überschaubare Größe war er ziemlich schwer, und er war auf der Unterseite gestempelt, also musste das Silber echt sein. Da man als Totenbändiger nicht auf Silber zum Schutz vor Geistern und Wiedergängern angewiesen war, spielte das Material für sie keine besonders große Rolle.

      Für unbegabte Menschen aber schon.

      Bei einem Pfandleiher ließ sich für die kleine Walnusshälfte daher bestimmt ein bisschen was bekommen.

      Jaz steckte den Briefbeschwerer ein.

      Stehlen war nicht okay. Aber sie gegen ihren Willen nach Newfield zu verfrachten auch nicht, daher entschied sie, dass das hier eine dieser berühmten Grauzonen war, mit denen man eben leben musste.

      Sie eilte weiter. Das Studierzimmer war nicht abgeschlossen. Rasch schlüpfte sie in den kleinen Raum und zog die Tür hinter sich zu. In alten Regalen stapelten sich aussortierte Bücher, in einer der Ecken standen zwei Lesesessel mit verschlissenen Polstern, in einer anderen lagen eingerollte Landkarten, die selbst vor dem letzten Jahrtausendwechsel schon lange nicht mehr aktuell gewesen waren. Vor dem Fenster stand ein altes Schreibtischungetüm und an der Wand daneben stapelten sich ungenutzte Stühle. Das Studierzimmer war eher eine Rumpelkammer, was wohl erklärte, warum niemand es benutzte.

      Jaz hatte es hier trotzdem immer gemocht. Und die Lesesessel waren echt bequem. Doch in denen würde sie nie wieder sitzen.

      Sie kletterte auf den Schreibtisch und öffnete das Fenster. Wildes Buschwerk, das bis an die Fensterbank heran wucherte, empfing sie. Die Nordseite der Akademie grenzte direkt an den Wald des Richmond Parks und bis zur Grundstücksmauer waren es keine zehn Meter. Da lohnte sich Gartenpflege nicht und alles durfte so wachsen, wie es wollte. Jaz sprang aus dem Fenster und zog es so gut sie konnte hinter sich zu. Dann zwängte sie sich durch die Sträucher an der Hauswand entlang. Ihr Zimmer lag gute zwanzig Meter entfernt.

      Es dauerte nicht lange, bis sie Boots und Rucksack gefunden und in Windeseile die Schuluniform gegen ihre eigenen Klamotten getauscht hatte. Wenn sie sich quer durch den Wald zur Hauptstraße durchschlagen wollte, ging das nicht in Rock und Ballerinas. Außerdem war die Uniform viel zu auffällig.

      Sie versteckte Rock, Blazer und Bluse unter den Sträuchern, packte einen Collegeblock, ihr Federmäppchen und das bisschen, was sie an Proviant in ihrem Zimmer gehabt hatte, von ihrer Schultasche in ihren Rucksack und legte die Tasche mit zur Uniform.

      Bloß keinen unnützen Kram mitschleppen.

      Vorsichtig blickte sie zu den Fenstern.

      Niemand war zu sehen.

      Das Mittagessen dauerte noch an und die meisten hielten sich mit Sicherheit gerade im Speisesaal auf.

      Jaz wandte sich um.

      Jenseits der Sträucher ragte die Grundstücksmauer in die Höhe. Gute drei Meter hoch. Plus Eisenstreben auf ihrer Spitze.

      Zu hoch zum Drüberklettern.

      Aber es gab ein altes Eisentor, das in den Wald führte. Vor Ewigkeiten hatte es dazu gedient, Feuerholz und erlegtes Wild aufs Grundstück zu bringen, ohne dass man sich erst mühsam und zeitaufwendig um das halbe Anwesen herum zum Haupttor begeben musste. Mittlerweile wurde das Tor nicht mehr genutzt und der Weg, der einmal hingeführt hatte, existierte schon lange nicht mehr.

      Bemüht, keine zu offensichtlichen Spuren zu hinterlassen, schob Jaz sich durchs Gestrüpp hin zur Mauer und folgte ihr, bis sie das Tor erreichte. Es bot erfreulich viele Schnörkel, die das Drüberklettern leicht machten. Leider war es aber auch ziemlich rostig. Zwei der Verzierungen brachen unter ihren Füßen ab. Doch Jaz war sportlich und schaffte es trotzdem auf die andere Seite. Sie sprang auf den Waldboden und schaute zurück zum Haus.

      Nichts regte sich.

      Ihr Herz klopfte freudig gegen ihre Rippen.

      Geschafft!

      Zumindest die erste, enorm wichtige Etappe.

      Als Nächstes musste sie so viel Abstand wie nur irgendwie möglich zwischen sich und die Akademie bringen – und dabei überlegen, wie zum Teufel es jetzt weitergehen sollte.

      Sie warf einen letzten Blick auf das