Название | Die Totenbändiger - Äquinoktium - Die gesamte erste Staffel |
---|---|
Автор произведения | Nadine Erdmann |
Жанр | Языкознание |
Серия | Die Totenbändiger - Die gesamte Staffel |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783958344105 |
»Guten Morgen, Oberstufe!« Master Carlton hatte die Stühle des Versammlungssaals zu einem Kreis stellen lassen und lud seine beiden Gäste ein, Platz zu nehmen. Cornelius Carlton war ein hochgewachsener, gutaussehender Mann Mitte vierzig, der die Leitung der Akademie vor zwölf Jahren nach dem Tod seines Vaters übernommen hatte. Er blieb als Einziger im Kreis stehen und bedachte seine Schülerinnen und Schüler mit einem Lächeln.
»Für die einen von euch ist dies das letzte Schuljahr.« Er sah zu seinem Sohn, Leroy, Asha, David, Jaz und Jessica. »Für die anderen startet heute der erste Tag eurer freiwilligen Schulbildung.« Er blickte zu Sarah und den anderen sechs aus der elften Klasse. »Und für euch alle ist es damit Zeit, euch Gedanken um eure Zukunft zu machen.«
Jaz pustete sich eine burgunderfarbene Haarsträhne aus der Stirn, die sich aus ihrem Pferdeschwanz gelöst hatte, und widerstand nur mit Mühe dem Drang, genervt ihre Arme vor der Brust zu verschränken. Sie hatte solche Planungsgespräche über ihre Zukunft mit ihrem Schulleiter in diesem Jahr schon zwei Mal geführt. Mit mäßigem Erfolg. Master Carlton akzeptierte nicht, dass man andere Pläne hatte als die, die er für einen vorsah, deshalb hatte Jaz so ihre Schwierigkeiten mit ihrem Schulleiter. Und die Tatsache, dass zu der heutigen Versammlung nur zwei Leute aus Newfield hier waren und keinerlei alternative Berufsberater, ließ sie ahnen, wie einseitig dieses Planungsgespräch laufen würde.
Prinzipiell konnte Jaz verstehen, dass für viele ihrer Leute die Vorstellung eines Ortes, an dem nur Totenbändiger lebten und man nicht schief angeguckt und vorverurteilt wurde, sehr verlockend war. Wenn sie durch London streifte, nervten sie die Anfeindungen und misstrauischen Blicke auch tierisch. Doch ein Rückzug aus der Gesellschaft auf irgendeine abgelegene Farm in Yorkshire änderte daran ja nichts. Im Gegenteil. Wenn Totenbändiger sich rund um diese Farm ein eigenes Dorf aufbauten und sich darin vor dem Rest der Bevölkerung abschotteten, dachten die Menschen doch gleich wer weiß was und das würde Vorurteile und Misstrauen gegenüber Totenbändigern nur verstärken.
Die viel bessere Lösung war doch Sichtbarkeit. Für Jaz mussten Totenbändiger in der Gesellschaft noch viel präsenter werden als bisher.
»Einige von euch wollen hier in London bleiben und sich gemeinsam mit unserer Gilde für die Gleichstellung der Totenbändiger einsetzen«, sprach Carlton weiter und bedachte seinen Sohn und dessen Freunde mit einem wohlwollenden Blick.
Blaine lächelte selbstgefällig in die Runde und Jaz konnte sich ein Augenrollen nicht verkneifen. Klar durfte der Kronprinz an Daddys Seite bleiben. Vermutlich spekulierte er schon darauf, eines Tages die Leitung der Akademie von seinem Vater zu übernehmen, genauso wie Carlton sie von seinem Vater übernommen hatte.
Jaz wollte auch in London bleiben und sich für ein besseres Ansehen der Totenbändiger hier in der Stadt einsetzen. Nach ihrem Anschluss wollte sie auf die Polizeiakademie gehen und sich später für eine der Spuk Squads bewerben. Gemeinsam mit Nicht-Totenbändigern gegen Geister und Wiedergänger kämpfen und so ihren Mitbürgern zeigen, wie gut zusammenarbeiten und zusammenleben funktionierte. Doch Master Carlton war mit ihren Plänen nicht einverstanden.
»Für andere könnte unsere Farm in Newfield eine Alternative sein.« Carlton blickte zu Sarah, Bethany, Sally und Paula, dann auch kurz zu Jessica und Jaz. »Deshalb freue ich mich sehr, dass heute Anya und Drew bei uns sind. Sie leben schon seit einigen Jahren in Newfield und sind maßgeblich mit am Aufbau und der stetigen Erweiterung beteiligt. Bitte begrüßt sie.«
Carlton begann zu klatschen und setzte sich auf den letzten noch freien Platz, während alle gehorsam in seinen Applaus einfielen. Auch Jaz. Sie hatte auf die harte Tour gelernt, dass das Leben in der Akademie einfacher war, wenn man gute Miene zu bösem Spiel und die Faust nur in der Tasche machte.
»Danke, Master Carlton.« Drew nickte ihm zu und wandte sich dann an die Jugendlichen. »Und danke an euch, dass ihr uns so herzlich willkommen heißt. Es tut sehr gut, eine Gruppe so fähiger junger Leute unseres Schlages hier versammelt zu sehen, und ich bin mir sicher, ihr wisst, wie glücklich ihr euch schätzen könnt. Mit der Akademie gibt es hier in London einen Ort, an dem diejenigen, die von ihren leiblichen Eltern verstoßen wurden, geschützt aufwachsen können. Und diejenigen von euch, die aus Totenbändigerfamilien stammen, haben hier die Möglichkeit, gemeinsam zur Schule zu gehen und eine gute Ausbildung zu genießen. Eure Gemeinschaft konnte hier eine Gilde aufbauen und bekommt in einigen Wochen sogar die Chance, für eine offizielle Vertretung im Stadtrat zu kämpfen. Das ist großartig und wir in Newfield danken euch für den Beitrag, den ihr hier leistet.«
Jetzt klatschte er und Anya fiel mit ein. Master Carlton bedachte die beiden mit einem seiner jovialen Lächeln, bei denen Jaz immer unwillkürlich mit den Zähnen knirschen musste.
»Im Rest des Landes sieht es für uns Totenbändiger jedoch leider weiterhin sehr düster aus«, sprach Drew weiter. »In größeren Städten wie Manchester oder Birmingham haben sich zwar kleinere Gemeinden zusammengefunden, doch da die Bereitschaft der Bevölkerung gering ist, uns auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt eine Chance zu geben, bleibt vielen nur ein Leben als Selbstversorger auf dem Land. Dort wachsen Kinder und Jugendliche oft isoliert auf, weil sie nicht in öffentliche Schulen gehen dürfen und nur Zuhause unterrichtet werden können. Nicht alle Eltern haben dazu aber die nötige Kompetenz, sodass dort viel Potenzial verloren geht oder unentdeckt bleibt.«
Drew deutete zu Master Carlton und machte dann eine ausladende Handbewegung in den Versammlungssaal. »Natürlich hätten all diese Kinder die Möglichkeit, hier in der Akademie unterrichtet zu werden. Doch nur wenige Eltern bringen es übers Herz, ihre Kinder in ein Internat zu geben. Besonders, wenn die Kleinen noch Grundschüler sind.«
»Newfield soll deshalb zu einer Alternative werden«, übernahm nun Anya. »Alle Familien, die sich im Moment alleine als Selbstversorger durchschlagen, sollen bei uns den Rückhalt einer größeren Gemeinschaft bekommen. Sie bringen ihr Wissen und ihre Fähigkeiten in Newfield ein und dafür erhalten sie in Newfield Sicherheit und das Gefühl, nicht mehr mit allem alleine zu sein. Newfield ist das Versprechen auf eine Heimat für alle Ausgegrenzten und Verstoßenen, in der wir einander wertschätzen und so sein können, wie wir sind. Ohne dass wir uns erklären oder für Dinge rechtfertigen müssen, die wir oft gar nicht getan haben. Ohne Angst, dass sich jemand von uns bedroht fühlt und uns ohne Bestrafung quälen oder gar töten darf.«
»Oh Mann, das klingt sooo toll«, seufzte Sarah hingerissen.
Anya schenkte ihr ein warmherziges Lächeln. »Es freut mich sehr, dass du unsere Vision einer besseren Zukunft teilst.« Dann blickte sie von einem zum anderen. »Wir sind heute zu euch in die Akademie gekommen, weil ihr hier in den letzten Jahren eine anspruchsvolle Bildung genießen konntet. Und solche Leute brauchen wir in Newfield. Ihr habt sicher mitbekommen, dass einige der älteren Newfieldkinder hierher zu euch in die Akademie geschickt wurden, um ihnen ebenfalls eine erstklassige Schulbildung zu ermöglichen.«
Ein paar der Schüler nickten bestätigend.
»Umgekehrt hat Newfield in den letzten Jahren Babys und Kindergartenkinder aus London aufgenommen, denn unsere Farm bietet die perfekte Möglichkeit, sie in behüteter Umgebung aufwachsen zu lassen. Auch einige eurer jüngeren Grundschulkinder sind zu uns gekommen, wenn sie hier keine eigenen Familien hatten, oder wenn ihre Familien London den Rücken zugekehrt haben, um in Newfield ein neues Leben anzufangen.«
»Momentan leben dreiundzwanzig Kinder im Grundschulalter bei uns«, berichtete Drew. »Deshalb haben wir im Sommer auf der Farm eine kleine Schule mit zwei Klassen eingerichtet. Doch uns fehlen Leute, die diese Kinder unterrichten. Gerade jetzt, zur Erntezeit, werden unsere Erwachsenen und die älteren Jugendlichen auf den Feldern gebraucht. Außerdem