Название | Die letzte Nacht des Muammar al-Gaddafi |
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Автор произведения | Yasmina Khadra |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788711449028 |
»Das glaube ich dir nicht.«
»Ich schwöre es, Bruder Führer. Niemand in meiner Familie hat Sie je kritisiert.«
»Das ist nicht möglich. Sogar der Prophet Mohammed wird kritisiert.«
»Sie aber nicht ... jedenfalls nicht in meiner Familie.«
Ich verschränke die Arme vor der Brust und mustere ihn schweigend, ziemlich lange.
Dann lege ich nach:
»Warum rebellieren sie gegen mich?«
»Ich weiß es nicht, Bruder Führer.«
»Ja, läufst du denn mit Scheuklappen durch die Welt?«
»Ich bin nur ein einfacher Fuhrparkwärter.«
»Das ist kein Hinderungsgrund, eine eigene Meinung zu haben.«
Er beginnt zu schwitzen und nach Luft zu ringen.
»Antworte mir. Warum rebellieren sie gegen mich?«
Er sucht nach Worten, wie man im Bombenhagel nach einem Schutzraum sucht. Er hat sich die Finger fast wundgekratzt, und sein Adamsapfel wippt hektisch auf und ab. Er hat das Gefühl, in der Falle zu sitzen, und dass jetzt sein ganzes Schicksal von seiner Antwort abhängt.
Er sagt aufs Geratewohl:
»Wenn es allzu ruhig zugeht, wird es manchen langweilig, und dann brechen sie vielleicht Streit vom Zaun, damit mal wieder was los ist.«
»Indem sie mich angreifen?«
»Sie denken, um erwachsen zu werden, muss man erst mal den Vater töten.«
»Sprich nur weiter.«
»Sie erkennen das Recht des Älteren nicht an ...«
»Nein, komm auf den Vater zurück ... Man müsse ihn töten, hast du gesagt. Ich möchte, dass du deinen Gedanken weiter ausführst.«
»Dazu fehlt es mir an Bildung.«
»Man muss doch kein Genie sein, um zu begreifen, dass man seinen Vater nicht tötet, egal, was er tut!«, brülle ich, außer mir. »Bei uns ist der Vater ebenso heilig wie der Prophet.«
Eine Explosion lässt die wenigen Glasscheiben klirren, die noch in ihren Fensterkarrees sitzen. Vermutlich eine Bombe. Es hört sich an, als drehe in der Ferne ein Kampfjet ab. Gleich danach die Grabesstille der Ruinen.
Im Raum nebenan nimmt das Leben langsam wieder Fahrt auf. Ich höre, wie ein Offizier Anweisungen gibt, eine Tür quietscht, Geräusche hier und dort ...
»Jetzt iss endlich!«, befehle ich dem Burschen.
Diesmal schiebt er den Zwieback weit von sich weg und schüttelt entschieden den Kopf.
»Ich bekomme nichts herunter, Bruder Führer.«
»Dann geh nach Hause zurück, zurück zu deinen Töchtern. Ich will dich hier nicht mehr sehen.«
»Habe ich irgendetwas gesagt, dass Ihr Missfallen erregt hat?«
»Geh jetzt. Ich muss beten.«
Der Bursche schickt sich an zu gehen.
»Aber vorher räumst du noch den Tisch ab«, herrsche ich ihn an. »Nimm dieses elende Essen da weg und teil es mit denen, die glauben, sie müssten erst ihren Vater töten, um erwachsen zu werden.«
»Ich wollte Sie nicht beleidigen.«
»Geh mir aus den Augen!«
»Ich ...«
»Verschwinde!«
Sein Gesicht verwandelt sich jäh. Von der Krieger- zur Totenmaske. Dieser Mann ist am Ende. Er hat kein Leben mehr, das er mir geben könnte. Er weiß, dass seine Existenz, sein ganzes Wesen, sein Glauben, seine Tapferkeit, alles, was er an Gutem zu verkörpern glaubte, jetzt nichts mehr wert ist, nachdem mein Zorn ihn aus dem innersten Kreis meines Vertrauens geschasst hat.
Ich hasse ihn.
Er hat mich verletzt.
Er verdient es nicht, seine Schritte in meine zu setzen.
Mein Schatten wäre für ihn nur ein bodenloses Tal der Finsternis.
2
Ich gehe zu meinen Getreuen ins Erdgeschoss hinunter.
General Abu Bakr Yunis Jaber, mein Verteidigungsminister, blickt so düster drein wie eine Fahne auf Halbmast.
Noch vorige Woche hatte er mit der Faust auf den Tisch gehauen und geschworen, dass wir die Situation zu unseren Gunsten wenden und die wilden Horden im Handumdrehen davonjagen würden. Auf der Generalstabskarte zeigte er die strategischen Schwachstellen des Gegners auf, sprach von den internen Zerwürfnissen, die die Allianz der Verräter unterminierten, lobte die Tausenden von Patrioten, die in hellen Scharen zu uns stießen, die großartigen Gefechte, die sie nonstop führten und die die Festungswälle unserer letzten Bastion sicherten.
Mein Sohn Mutassim hörte ihm zu und nickte zustimmend, mit entschlossenen Fäusten und wildem Blick.
Ich hörte nur mit einem Ohr hin, mit dem anderen lauschte ich auf die Geräusche, die aus der Stadt heraufdrangen.
Der Enthusiasmus des Generals sollte rasch einen Dämpfer erfahren und wachsender Verunsicherung weichen. Manche meiner Offiziere sind desertiert, andere wurden gefangen genommen und öffentlich gelyncht. Ihre Köpfe wurden auf Lanzen aufgespießt, ihre Körper an die Anhängerkupplungen der Pick-ups gehängt und durch die Straßen geschleift. Einige habe ich gesehen, die man wie düstere Trophäen auf den Mauern der Stadt zur Schau stellte.
Seit drei Tagen schweigt Abu Bakr, während die Rebellen im Distrikt gegenüber uns das Leben schwer machen. Sein Gesicht wirkt wie eine Kugel aus Pappmaché. Er verweigert die Nahrungsaufnahme, sitzt schmollend in seiner Ecke und ist außerstande, seine Leutnants zur Ordnung zu rufen, er, dessen Gebrüll für gewöhnlich lauter als Kanonendonner tönte.
Ich weiß nicht, warum es ihm trotz seiner Ergebenheit nie so recht gelang, mich hundertprozentig von seiner Zuverlässigkeit zu überzeugen. Er war mit mir an der Militärakademie von Bengasi, noch dazu im selben Examensjahrgang, stand mir 1969 beim Staatsstreich zur Seite und gehörte zu den zwölf Mitgliedern des Revolutionsrats. Kein einziges Mal hat er mich enttäuscht, geschweige denn betrogen, und doch genügt ein Blick in seine Augen, um in ihm nichts als den armen Teufel zu sehen, das verschreckte Haustier, dem meine Protektion mehr bedeutet als sämtliche Privilegien, die ich ihm je zugestanden habe.
Abu Bakr fürchtet mich wie einen bösen Fluch, wohl wissend, dass ich ihn beim leisesten Verdacht ohne jeden Skrupel liquidieren würde – nicht anders, als ich es seinerzeit mit meinen einstigen Waffenbrüdern und all jenen, die an meiner Legende gestrickt hatten, machte, als sie anfingen, insgeheim an meiner Legitimität zu zweifeln.
»Woran denkst du, General?«
Er hat Mühe, sein Kinn zu heben.
»An nichts.«
»Bist du sicher?«
Er rutscht auf seinem Sitz herum, ohne zu antworten.
»Willst du dich auch aus dem Staub machen?«, fahre ich ihn an.
»Der Gedanke wäre mir im Traum nicht gekommen.«
»Weil dir tatsächlich mal Gedanken kommen?«
Er runzelt die Stirn.
»Entspann dich, Mann«, beruhige ich ihn. »War nur ein Scherz.«
Ich würde gern die Atmosphäre auflockern, aber es klappt nicht so recht. Wenn ich mal einen Spaß machen will, denkt alle Welt, es sei mir todernst. Allen voran der General. Ein Führer hat keinen Humor. Seine Anspielungen sind Anweisungen, seine Anekdoten Warnungen.
»Glauben