Название | Die letzte Nacht des Muammar al-Gaddafi |
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Автор произведения | Yasmina Khadra |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788711449028 |
Ich drehe mich um.
Es ist nur die Ordonnanz, die in stocksteifer Ergebenheit im Rahmen dessen steht, was in glücklicheren Zeiten einmal eine Wohnzimmertür war.
»Ja?«
»Ihr Abendessen ist bereit, Herr Präsident.«
»Bring’s mir hierher.«
»Mit Verlaub, es wäre besser, wenn Sie es im Nebenzimmer einnehmen würden. Wir haben die Fenster verdunkelt und Kerzen angezündet. Hier würde das geringste Licht Ihre Anwesenheit verraten. Es ist nicht auszuschließen, dass im Gebäude gegenüber Scharfschützen postiert sind.«
1
Die Ordonnanz geht mir voran in den Nebenraum. Im düster flackernden Kerzenschein, dem die zugezogenen Fenstervorhänge etwas Beklemmendes verleihen, wirkt der Ort noch deprimierender auf mich. Ein Schrank liegt umgestürzt mit zersplittertem Spiegel am Boden. Aus einer aufgeschlitzten Polsterbank quellen die Eingeweide hervor. Überall liegen aufgebrochene Schubladen herum, und von der Wand blickt das demolierte, von Kugeln zersiebte Porträt eines Familienvaters.
Mein Sohn Mutassim, dem das Oberkommando für die Verteidigung von Sirte obliegt, hat als Hauptquartier für meine Soldaten eine verlassene Schule im Herzen des 2. Distrikts gewählt. Der Feind wähnt mich garantiert in einer meiner befestigten Palastanlagen verschanzt, weil er mich für unfähig hält, mich in einer derart rudimentären Umgebung zurechtzufinden. Er käme nie auf den Gedanken, mich an einem derart tristen Ort zu suchen. Hat er vergessen, dass ich Beduine bin, der Herrscher der Genügsamen und der genügsamste aller Herrscher, der den Charme des kargen Lebens zu schätzen weiß und den Komfort einer schlichten Sandbank? Als ich ein Junge war, war der Hunger mein ständiger Begleiter; ich lief in geflickten Hosen und löchrigen Sandalen umher oder gleich barfuß im Staub, auf vor Hitze glühendem Geröll. Die Armut war mein Element. Ich aß nur ein über das andere Mal, und immer war es die gleiche Speise aus Erdmandeln, wenn es keinen Reis mehr gab. Nachts lag ich oft mit angewinkelten Knien unter meiner Decke und träumte so lange von einem Hähnchenschenkel, bis mir das Wasser im Mund zusammenlief. Zwar schwelgte ich später im Luxus, aber doch nur, um mich über ihn zu erheben und demonstrativ zu beweisen, dass Dinge, die etwas kosten, es nicht wert sind, verherrlicht zu werden, dass der heiligste Gral aus einem Schluck Wein noch lange keinen Zaubertrank macht und man immer nur man selber ist, egal ob in Lumpen oder im seidenen Gewand ... Und ich bin Gaddafi und im Vollbesitz meiner Macht, unabhängig davon, ob ich auf einem Thron oder einem Kilometerstein sitze.
Ich habe keine Ahnung, wem dieses Anwesen einmal gehörte, das unmittelbar an die Schule angrenzt und in dem ich seit einigen Tagen nun residiere – vermutlich einem meiner mir treu ergebenen Landsleute, wie sonst wäre es zu erklären, dass es derart verwüstet ist. Die Spuren der Gewalt sind frisch, aber das Gebäude wirkt bereits wie eine Ruine. Vandalen sind des Weges gekommen, haben alles Wertvolle geplündert und zerstört, was sie nicht mitnehmen konnten.
Die Ordonnanz hat sich gewaltig angestrengt, einen Sessel vom Staub zu befreien und einen Tisch so herzurichten, dass er meiner würdig ist. Über beide sind Laken gebreitet, um die »Blessuren« zu kaschieren. Auf einem Tablett, das von wer weiß woher stammt, erwartet mich ein Porzellanteller mit einer Art Mahlzeit: Corned Beef in Gelee, sorgfältig aufgeschnitten, ein Viertel Schmelzkäse, Feldzwieback, Tomatenscheiben, dazu ein Schälchen mit saftigen Orangenschnitzen. Die Logistik kommt nicht mehr nach, und die Alltagskost reicht mit knapper Not für meine Prätorianergarde.
Die Ordonnanz bittet mich, im Sessel Platz zu nehmen, und baut sich mir gegenüber auf. Kerzengerade. Der steife Ernst des jungen Mannes könnte lächerlich wirken angesichts der Zerstörung ringsum, käme der Ausdruck, der auf seinen sonnenverbrannten Zügen liegt, nicht schon für sich allein den unantastbaren Klauseln eines Treueschwurs gleich. Dieser Mann liebt mich mehr als alles auf der Welt – er gäbe sein Leben für das meine dahin.
»Sag, wie heißt du?«
Meine Frage überrascht ihn. Sein Adamsapfel hüpft in seinem bartstoppligen Hals auf und ab.
»Mostefa, Bruder Führer.«
»Und wie alt bist du?«
»Dreiunddreißig.«
»Dreiunddreißig«, wiederhole ich, gerührt von seiner Jugend. »Vor einer Ewigkeit war ich auch einmal so alt wie du. Das ist so lange her, dass ich mich kaum noch daran erinnern kann.«
Unschlüssig, ob er antworten oder lieber schweigen soll, macht er sich daran, rings um das Tablett den Tisch abzuwischen.
»Seit wann stehst du in meinen Diensten, Mostefa?«
»Seit dreizehn Jahren, Bruder Führer.«
»Mir scheint nicht, dass ich dich schon einmal gesehen habe.«
»Ich bin ein Ersatzmann ... Ich war früher für den Fuhrpark zuständig.«
»Und was ist aus dem anderen geworden, dem Rotschopf? Wie hieß er doch gleich?«
»Maher.«
»Nein, nicht Maher. Der große Rothaarige, der seine Mutter bei einem Flugzeugabsturz verloren hat.«
»Saber?«
»Ja, Sabri. Ich sehe ihn gar nicht mehr.«
»Er ist tot, Bruder Führer. Vor einem Monat ist er in einen Hinterhalt geraten. Er hat gekämpft wie ein Löwe. Er hat sogar mehrere seiner Angreifer getötet, bevor er gefallen ist. Sein Fahrzeug wurde von einer Rakete getroffen. Wir haben seine Leiche nicht bergen können.«
»Und Maher?«
Die Ordonnanz senkt den Kopf.
»Ist er auch tot?«
»Übergelaufen ist er. Freiwillig hat er sich dem Feind gestellt, vor drei Tagen, als wir im Rahmen einer Versorgungsoperation unterwegs waren.«
»Er war doch ein tapferer Junge, immer gut aufgelegt und nicht kleinzukriegen. Wir meinen bestimmt nicht dieselbe Person.«
»Ich war bei ihm, Bruder Führer. Als unser LKW vor einer Straßensperre der Rebellen abdrehte, sprang Maher aus der Fahrerkabine und ist mit hocherhobenen Händen zu den Verrätern übergelaufen. Der Unteroffizier hat noch auf ihn geschossen, aber er hat ihn verfehlt. Maher ist erledigt. Die Rebellen machen keine Gefangenen. Sie foltern sie, und dann exekutieren sie sie. Maher dürfte zur Stunde schon im Massengrab vermodern.«
Er wagt noch immer nicht, wieder aufzusehen.
»Aus welchem Stamm bist du, mein Junge?«
»Geboren bin ich in ... Bengasi, Bruder Führer.«
Bengasi! Wenn ich den Namen nur höre, wird mir derart speiübel, dass ich auf der Stelle loskotzen könnte, aber so heftig, dass es einen Tsunami auslöste, der diese gottverdammte Stadt mit sämtlichen Vororten ein für allemal hinwegschwemmte mit sich. Alles ist von dort ausgegangen, als wär’s eine sich rasant ausbreitende Pandemie. Hat sich wie ein Dämon aller Seelen bemächtigt. Ich hätte Bengasi gleich am ersten Tag ausradieren sollen, hätte die Aufständischen in jedem Haus, jeder Gasse aufspüren und den räudigen Hunden vor aller Augen das Fell abziehen sollen, damit jeder, der sich mit bösen Absichten trägt, nachdenklich wird und sich umbesinnt.
Der junge Mann spürt die Wut, die in mir gärt. Täte sich jetzt die Erde zu seinen Füßen auf, er würde sich ohne zu zögern in den Abgrund stürzen.
»Ich bin untröstlich, Bruder Führer. Ich wünschte, ich wäre im Straßengraben zur Welt gekommen, oder auf einer Feluke. Es ist eine Schande, dass ich in dieser Unglücksstadt geboren wurde, und mit diesen Undankbaren im Café am selben Tisch gesessen habe.«
»Dafür kannst du doch nichts. Was macht denn dein Vater?«
»Heute ist er im Ruhestand. Früher war er Briefträger.«
»Hast du Nachrichten von ihm?«
»Nein, Bruder Führer. Ich weiß nur, dass er aus