Название | Das Anthropozän lernen und lehren |
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Автор произведения | Группа авторов |
Жанр | Документальная литература |
Серия | Pädagogik für Niederösterreich |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783706560832 |
Wie fast alle mythischen Geschichten über den Anfang der Welt weist aber auch die Theogonie ein vierstufiges Schema auf:
1. Am Beginn existiert eine Urmasse (wie das Wasser oder das Chaos), die belebt und gestaltend – göttlich – tätig wird.
2. Diese Urmasse spaltet sich und bildet ein erstes Gegensatzpaar, meist ein heterosexuelles Götterpaar, z.B. Himmel und Erde.
3. Weitere Göttergenerationen werden gezeugt.
4. Alle anderen Lebewesen, allen voran der Mensch, werden geschaffen. In jüngeren Mythen etabliert sich zuerst ein junger Götterkönig, indem er die alten Götter besiegt (Marduk; Zeus); dieser regiert fortan die Welt und nimmt die Erschaffung der Lebewesen vor.
Damit ist auch der fundamentale menschliche Zyklus beschrieben: Geburt – der heterosexuelle Gegensatz – Fortpflanzung – Generationenkonflikt.54
Exkurs: Die Meerschaumgeborene
Einer dieser grausamen Episoden, die zur Geburt der Aphrodite, einer Tochter des Uranos, führt (Hesiod: Theogonie, 173–200), hat Sandro Botticelli in einem weltbekannten Gemälde ein Denkmal gesetzt:
Abbildung 14: Sandro Botticelli (1445–1510, Florenz), Die Geburt der Venus, Uffizien, Florenz 55
Beim Betrachten der idyllischen Szene wird einem die blutige Vorgeschichte kaum bewusst:
Saturn hatte auf Geheiß seiner Mutter seinen eigenen Vater Uranos beim Liebesspiel überrascht und mithilfe einer Sichel entmannt. Um die ins Meer geworfenen Geschlechtsteile bildete sich eine gewaltige Menge Schaum, aus dem die Göttin der Liebe geboren wurde.56
Die Naturphilosophie der Antike
Die Entstehung der Welt und ihr gegenwärtiger Zustand, das war auch das weite Themenfeld der etwa anderthalb Jahrhunderte nach Hesiod einsetzenden „Naturforschung“57, die sich der Suche nach den Wurzeln alles Seienden, dem Werden und Vergehen der Welt, dem Urstoff aller Dinge, dem sogenannten Arché, widmete und später als „Vorsokratiker“ bezeichnet wurden. Ihre Schriften sind nur bruchstückhaft erhalten, allerdings haben spätere griechische Autoren, allen voran Aristoteles, über sie berichtet und die unverkennbaren Anfänge ersten echten wissenschaftlichen Denkens, das auf Beobachtung fußt und kausale Zusammenhänge sucht, dokumentiert.
Zu den Vertretern dieser ältesten griechischen Philosophen gehörte unter anderem Thales (624/23–548/44 v.Chr.), der aus der ionischen Hafenstadt Milet stammte, Angehöriger einer wohlhabenden, weltoffenen Kaufmannsschicht und aus diesem Grund wohl weit gereist war und – davon ist auszugehen – die vorderorientalischen Mythen kannte. Das Denken der Naturphilosophen weist überhaupt viele Gemeinsamkeiten auf, z.B. das göttliche Prinzip der Elemente als etwas zugleich Materielles und Geistiges. Eine entscheidende Neuerung besteht darin, dass sie sich in ihrem Wahrheitsanspruch nicht mehr auf göttliches Wissen beriefen. Die Götternamen verschwanden, vom Stromgott Okeanos und seiner Gattin, der Meeresgöttin Tethys, blieb bei Thales z.B. nichts als das Wasser, dem er als „Prinzip aller Dinge“ höchste Bedeutung zumaß.58
Aristoteles (384–322 v.Chr.) beleuchtete diesen Umstand in seiner Metaphysik:
Von denen, die zuerst philosophiert haben, haben die meisten geglaubt, dass es nur stoffliche Urgründe der Dinge gebe. Denn woraus alle Dinge bestehen, und woraus sie als Erstem (d.h. ursprünglich) entstehen und worein sie als Letztes (d.h. schließlich) vergehen, indem die Substanz zwar bestehen bleibt, aber in ihren Zuständen wechselt, das erklären sie für das Element und den Urgrund (Arché) der Dinge, und daher glauben sie, dass weder etwas (nur aus dem Nichts) entstehe noch (in das Nichts) vergehe, in der Meinung, dass eine solche Substanz (Physis) immer erhalten bleibt […] Denn es muss eine gewisse Substanz vorhanden sein, entweder eine einzige oder mehrere, aus denen alles übrige entsteht, während sie selbst erhalten bleibt. Über die Anzahl und die Art eines solchen Urgrundes haben freilich nicht alle dieselbe Meinung, sondern Thales, der Begründer von solcher Art Philosophie, erklärt als den Urgrund das Wasser (daher glaubt er auch, dass die Erde auf dem Wasser ruhe) […]59
Damit wies Aristoteles der Naturphilosophie von Thales ein entscheidendes neues, „materiales Prinzip“ zu, wonach alle Elemente und Naturkräfte nur spezifische Ausformungen des ewigen Urstoffes seien. Dieses Prinzip der unendlichen Verwandlung ist dem Mythos fremd, hier wird der Urstoff zwar als Ausgangselement der Weltentstehung, aber nicht beständiges Element des Kosmos verstanden, genauso wie jede neue Göttergeneration neu und machtvoll die alte ablöst.
Dagegen sei das Wasser bei Thales als Element eingestuft
• „aus dem alles Seiende (letztlich) besteht,
• in das alles Seiende schließlich vergeht,
• das selbst weder entsteht noch vergeht.“60
Daraus ergeben sich die Schlussfolgerungen:
• „Die Welt ist in ihrer gegenwärtigen Struktur einfacher, als sie zu sein scheint (‚Simplizität‘).
• Hinter den wahrnehmbaren Erscheinungen existiert eine mit den Erscheinungen nicht identische Realität (‚theoretische Tiefe‘).
• Entstehen und Vergehen ist Veränderung einer quantitativ und qualitativ beharrenden Substanz (‚elementarer Erhaltungssatz‘).“61
Die vier Elemente
Empedokles von Agrigent (483/82–424/23 v.Chr.), der sich unter die späten Vorsokratiker einreiht, wählte einen neuen, nämlich ausgesprochen eklektizistischen Zugang zur Naturphilosophie. In Anerkennung der vielen Bemühungen seiner Vorgänger baute er auf deren wesentlichen Erkenntnissen und Einsichtenn seine Vier-Elemente-Lehre auf und übernahm zu diesem Zweck von Tales von Milet die Theorie zum Wasser, von Anaximenes jene zur Luft und von Heraklit jene zum Feuer; die Erde fügte er als Element dazu bzw. kopierte er Xenophanes, der schon zu Wasser und Erde gearbeitet hatte. Empedokles vereinfachte den bisher verbreiteten radikalen philosophischen Zugang und gab vor allem die theoretische Frage auf nach dem Einen, das alles im Grunde ist.62 Er war Materialist, nahm den Bestand der Materie zur Kenntnis und widmete sich der sinnlich wahrnehmbaren Welt, um sie in ihrer Vielgestaltigkeit und Veränderlichkeit zu verstehen.63