1904 Geschichten. Группа авторов

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Название 1904 Geschichten
Автор произведения Группа авторов
Жанр Сделай Сам
Серия
Издательство Сделай Сам
Год выпуска 0
isbn 9783895338281



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auch da mich meine Mutter und meine Frau darin bestärkten und vor allem, da ich wusste, dass mir mein Vater das Gleiche gesagt hätte: „Junge, sieh zu, dass du ins Stadion kommst!“ Für mich begann also sicherlich eines der emotionalsten Derbys meines bisherigen und zukünftigen Lebens. Und als Ivan den Ball zum 2:1 in den Winkel setze, schaute ich unwillkürlich nach oben, und ich wusste, wer hier heute zugesehen hatte! Und meine Gedanken waren: „Danke, Papa, für die Weitergabe des Feuers!“

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      Berliner Erwachen

      image CHRISTOPH HÜMMELER

      Mein Pokalfinale 2005: Über das Spiel selbst gibt es ja nicht viel zu berichten, das war eher langweilig. Höhepunkt der 90 Minuten war ein außer der Reihe anspringender Rasensprenger.

      Nach Berlin war ich mit dem Motorrad angereist, zuvor war ich einige Tage bei einem Motorradtreffen in Mecklenburg-Vorpommern gewesen. Daher war das Moped beladen mit einer fetten Gepäckrolle samt Zelt und Schlafsack. Die Idee war, das Gepäck irgendwo an einem Bahnhof ins Schließfach zu stecken und dann das Moped abzustellen und zum Spiel zu gehen. Aber ein leeres Gepäckfach war nicht aufzutreiben. Daher habe ich mir ein sicheres Plätzchen gesucht, um das Motorrad samt Gepäck während des Spiels und über Nacht abstellen zu können, denn völlig außerhalb der Norm pflege ich während eines Fußballspiels Bier zu trinken, an eine abendliche Abreise war also nicht zu denken …

      Nachdem ich hier und dort gesucht hatte, hatte ich einen geeigneten Platz entdeckt. Auf dem Grünstreifen in einem nahe am Stadion gelegenen Wohngebiet. Hier schien die Haute-Volée zu residieren, und eine massive Polizeipräsenz im Straßenbild suggerierte Sicherheit für Motorrad und Gepäck. Also stellte ich das Motorrad dort ab, betrachtete den Platz näher und stellte fest: Ja, hier war nicht nur mein Moped gut geparkt, nein, nach Spiel und anschließendem Biergenuss in der Stadt würde auch ich hier einen perfekten Platz für meinen Schlafsack vorfinden.

      Nun ging es aber erst mal vor und dann später in das Stadion. 90 Minuten geringen Unterhaltungswerts, immerhin gab der Schalker Block die geschätzt letzten 20 Minuten durchgängig „Ein Leben lang“ zum Besten, in Verbindung mit ein paar Bier eine hervorragende Möglichkeit, mal wieder eine erotisch heisere Stimme zu bekommen. Immerhin etwas, wenn mit den Blau-Weißen auf dem Platz nicht allzu viel los ist.

      Nach dem Spiel ging es hinein ins Berliner Nachtleben. Gemeinsam mit einem Freund, wir hatten uns im Stadion getroffen und noch eine Menge Bier getrunken. Er musste einen Zug früh morgens nehmen, fünf oder sechs Uhr, so genau weiß das niemand mehr, da blieb ausreichend Zeit, die Nacht zu rocken. Irgendwann morgens ging es also zurück zum Motorradparkplatz, Schlafsack rauskramen, ablegen, schlafen.

      Morgens um elf Uhr, es war immer noch herrliches Wetter, weckte mich ein Polizist. Jajaja, dachte ich, natürlich, ich weiß, ich darf hier nicht schlafen, ja, ich werde gleich weggehen, ja doch, ich mach das auch nie wieder … „Sie sollten sich ein Stück dort rüber in den Schatten legen, hier in der Sonne ist es nicht so angenehm!“ Wie bitte? Hier lag ein nicht ganz nüchterner Schalker im Schlafsack im Edelwohngebiet neben seinem Motorrad, und der Polizist empfahl mir, der Sonne zu weichen und den Schatten aufzusuchen? Sachen gibt’s … „Oh, ähm, danke. Nein, nein, ich bin ja jetzt wach und rolle mal den Schlafsack ein. Danke, das ist ja toll.“

      Ich schälte mich also aus dem Schlafsack, zur allgemeinen Erheiterung im Wesentlichen nur mit einem Schalke-Trikot bekleidet. Der Rest meiner Kleidung war fein säuberlich auf dem Motorrad drapiert. Während ich noch darüber nachdachte, ob ich nach einer langen Nacht selbst meine Sachen so ordentlich auf das Moped gehängt hatte oder ob da auch der Polizist dahintersteckte, öffnete sich gegenüber die Tür einer zugegebenermaßen sehr schönen Villa, die Frau des Hauses erschien, und es kam die nächste Überraschung: „Guten Morgen, möchten Sie vielleicht einen Kaffee?“ „Ähm, ja, also, ein Kaffee, ein Kaffee wäre brillant.“ Drei Minuten später hatte ich einen Kaffee, ein Glas Orangensaft und ein paar Stullen neben mir stehen. Und jede Menge sehr netter Gesprächspartner, die sich um mich sammelten. Hätten sie mich nicht andauernd auf die Niederlage von Schalke angesprochen, ich glaube, ich wäre auf dem Grünstreifen eingezogen.

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      Heiliger Rasen

      image MARIUS FRYE

      Ich kann trotz meines zarten Alters von 19 Jahren schon behaupten, bei vielen großen Momenten der Schalker Geschichte live dabei gewesen zu sein. Den 34. Spieltag der Saison 2000/2001 habe ich gesehen, ich war beim 19:04-Minuten-Schweigen gegen die Bayern dabei oder auch beim 3:3 bei den SchwachGelben. Ein Erlebnis, welches mir aber ganz besonders im Gedächtnis bleibt, spielte sich am 22. Mai 1999 ab. An diesem Tag fand der 33. Spieltag statt. Das letzte Heimspiel unserer Blauen gegen Eintracht Frankfurt. Aber von Anfang an …

      Mein Vater, der schon seit fast 30 Jahren auf Schalke fährt, hat mir die blauen Gene quasi in die Wiege gelegt. Dies versichert er auch deshalb, weil bei meiner Geburt die Nabelschnur um meinen Hals gewickelt war und ich dadurch mit königsblauem Gesicht zur Welt kam. Von Anfang an nahm mein Vater mich mit ins Parkstadion. Noch heute bedauere ich, dass er mich aus Sicherheits- und/oder Sichtgründen nie mit in die Nordkurve nahm, sondern immer nur auf einen Sitzplatz. Da mein Vater nicht nur mich zum Blauen machte, sondern bis heute noch als königsblauer Missionar agiert, kam es dazu, dass er im Jahr 1999 auch meine Tante überredete, einmal mit auf Schalke zu fahren.

      Das Besondere war, dass meine Tante viele Reisen gemacht und so auch einen Freund in Jamaika kennengelernt hatte, der sie zu eben dieser Zeit in Deutschland besuchte. Dieser Freund musste nun natürlich auch mit auf Schalke. So kam es am 22. Mai 1999 dazu, dass mein Vater seine Frau, seine Tochter, mich und seine Schwägerin inklusive des Jamaikaners Jerry ins Auto packte und vom beschaulichen Nordhessen gen Gelsenkirchen aufbrach.

      An alle Einzelheiten dieses Tages kann ich mich nicht genau erinnern, da ich damals erst acht Jahre alt war. Ein paar Dinge sind mir aber nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Zum Beispiel werde ich nie vergessen, wie wir da so mit der ganzen Familie auf den harten Holzbänken der Haupttribüne saßen und Jerry auf einmal eine Machete aus seiner Tasche zog. Mein Vater erschrak und fragte sich, wie Jerry ein so großes Messer unbemerkt an den Ordnern hatte vorbeischmuggeln können. Na ja, denn … Das Spiel lief so dahin, wie wir es von den Schalkern kennen. Wir lagen schnell nach 15 Minuten mit 2:0 in Führung, durch Oliver Held und durch einen Hammerfreistoß von Hami Mandirali. Am Ende aber verloren wir das Spiel doch noch mit 2:3.

      Mich beeindruckte total, wie am Ende des Spiels fast alle Schalker unter den 51.000 Zuschauern aufs Spielfeld rannten, um sich ein Stück „Heiligen Rasens“, wie es mein Vater nannte, oder etwas vom Tornetz mitzunehmen. Ich wollte unbedingt auch „Heiligen Rasen“ bekommen. Meine Mutter erlaubte mir allerdings nicht, auf den Platz zu rennen, da sie Angst hatte, mich nicht mehr wiederzufinden.

      Nun gut. Wir gingen alle zusammen zurück Richtung Parkplatz, und ich war ziemlich bedrückt, dass ich keinen Rasen bekommen hatte. Auch wenn der Jamaikaner Jerry nur Englisch konnte, hatte er mitbekommen, wie enttäuscht ich war. Plötzlich sprach er einen Schalker an, der ein großes Stück Rasen mit sich trug. Dieser verstand zwar nicht viel Englisch, konnte aber durch Zeichensprache (ohne Einsatz der Machete!) von Jerry erfahren, dass er ihm doch bitte etwas von seinem Rasen abgeben solle.

      Unter Schalkern ist das natürlich kein Problem, so dass Jerry mir tatsächlich ein Stück „Heiligen Rasens“ schenkte und mich damit superglücklich machte. In diesem Moment war ich wahrscheinlich der glücklichste Schalker, den es nach dieser 2:3-Niederlage gab.

      Jerry reiste wieder zurück nach Jamaika, und ich sah ihn nie wieder, aber meinen „Heiligen Rasen“ pflanzte ich bei mir zuhause in einen Topf ein und pflegte ihn jeden Tag. So wurde dieses Stück Rasen von nun an auch jeden Samstag mein Glücksbringer, wenn unsere Blauen wieder um drei Punkte kämpften.