WattenAngst. Andreas Schmidt

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Название WattenAngst
Автор произведения Andreas Schmidt
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783827184030



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      Ich bin gut, sagte er sich immer wieder. Verdammt gut.

      Seine Hand zitterte ein wenig, als er den unauffälligen Schalter unter dem Armaturenbrett betätigte, ohne den Blick von der Landstraße zu nehmen. Ein gelbes Lämpchen im Armaturenbrett zeigte ihm, dass seine Erfindung funktionierte. Durch den Knopfdruck hatte sich ein geheimes Ventil im Wagenboden geöffnet, durch das die unbrauchbar gewordene Flüssigkeit ins Freie rann.

      Zwei Stunden waren vergangen, seitdem er die Anlage erstmals in Betrieb genommen hatte. Bisher hatte sie tadellos funktioniert. Die Brühe, die durch das komplexe Rohrleitungssystem unter dem fahrenden Wagen auf die Straße sickerte, war farb- und geruchsneutral. Und sie war biologisch abbaubar und nicht nachzuweisen. Kein noch so abgedrehter Umweltfreak konnte ihm etwas ans Zeug flicken – vorausgesetzt, sie hatten überhaupt auf dem Schirm, was hier gerade vor sich ging.

      Ich bin gut …

      Unter anderen Umständen hätte er sich für die geniale Erfindung feiern lassen. Doch dann wäre er für den Rest seines Lebens in den Bau gewandert. Und er hatte noch ganz andere Pläne. Nein, der Knast war keine Option für ihn.

      Erst einmal musste er seine Mission fortsetzen.

      Ein Zeichen setzen, ihr zeigen, wie mächtig er sein konnte, und ihr beweisen, wie sehr er sie liebte. Doch noch war es nicht so weit. Er musste sich in Geduld üben, um sie zu überzeugen. Doch je länger er darüber nachdachte, umso sicherer wurde er, auf dem richtigen Weg zu sein. Abgesehen davon gab es keinen Weg zurück mehr. Jetzt galt es, aufs Ganze zu gehen.

      Die Nachrichten überschlugen sich förmlich: Zu dem rätselhaften Mord an Hans Olaf Berger war eine vermisste Frau gekommen – die Polizei hatte reichlich Arbeit. Da würde ihm so schnell niemand auf die Schliche kommen.

      Ein Lichtreflex im Rückspiegel riss ihn aus den Gedanken. Er beugte sich vor und sah einen silbernen VW Passat, der ihm dicht auffuhr und immer wieder die Lichthupe betätigte.

      Sein Herzschlag schien einen Moment lang auszusetzen. Die Gedanken in seinem Kopf überschlugen sich. Stimmte etwas mit der Maschine nicht? War man ihm doch auf die Schliche gekommen?

      Das war unmöglich, denn er hatte alles gut vorbereitet.

      Doch was wollte der verdammte Typ in der Vertreterkarre, der ihm seit einigen Kilometern schon im Kofferraum hing?

      „Überhol doch, du Arschloch“, zischte er, nahm den Fuß vom Gas und zog den Wagen so weit an den rechten Fahrbahnrand wie möglich.

      Der Fahrer hinter ihm nutzte die Gelegenheit, um noch dichter aufzufahren. Doch er überholte nicht.

      Jetzt drang das Dröhnen einer Hupe an seine Ohren.

      „Fahr vorbei“, brüllte er wütend. Ich muss cool bleiben, mahnte er sich. Was will der blöde Arsch von mir?, fuhr es ihm durch den Kopf.

      Kurz spürte er Unsicherheit aufkommen. Er war versucht, das Ventil im Fahrzeugboden zu schießen, entschied sich aber dagegen. Der nervige Passat-Fahrer konnte unmöglich bemerkt haben, was hier gerade abging. Während er den Wagen mit knapp hundert Stundenkilometern über die Bundesstraße in Richtung Westen rollen ließ, entsorgte er, völlig unbemerkt von der Außenwelt, die Altlasten. Dabei spielte ihm der Nieselregen sogar in die Karten, denn er spülte die Flüssigkeit im Nu von der Fahrbahn.

      Bleib locker, mahnte er sich zur Ruhe. Der Typ hat keine Ahnung, was hier gerade läuft. Er warf einen irritierten Blick in den Außenspiegel. Doch nichts wies darauf hin, was gerade passierte, keine auffällige Spur, die er hinter sich herzog, nichts. Wer auch immer ihm da bis auf die Stoßstange aufrückte, er konnte nicht ahnen, was hier gerade geschah. Langsam beruhigten sich seine Nerven. Er atmete zwei-, dreimal tief durch und lehnte sich entspannt im Fahrersitz zurück.

      Gut so, dachte er zufrieden. Ich befinde mich mitten unter euch, und ihr bemerkt nicht die Blutspur, die ich durchs Land ziehe. Gut so.

      Der Regen tat sein Übriges: Durch die nasse Fahrbahn war der Flüssigkeitsfilm, den er hinterließ, unsichtbar für den Rest der Welt.

      Er war so unendlich gut. Zufrieden lehnte er sich im Fahrersitz zurück, als er im Rückspiegel sah, wie der Passat noch dichter aufschloss. Jetzt würde es genügen, den Fuß vom Gas zu nehmen, und der Heini fuhr ihm in die Karre.

      „Dann überhol mich, du Arschloch!“, zischte er wütend und ließ den Wagen am rechten Fahrbahnrand weiterrollen. Es war, als hätte ihn der nervige Typ gehört, denn obwohl sich von vorn ein mächtiger Sattelzug näherte, setzte der Passatfahrer zu einem waghalsigen Überholmanöver an. Der Lkw-Fahrer von vorn blendete die Scheinwerfer auf und hupte. Das Quietschen der Bremsen überlagerte das Hupkonzert, dann war der Spuk vorüber.

      Im Augenwinkel konnte er noch sehen, wie der Lastwagenfahrer wild gestikulierte und ihm den Scheibenwischer zeigte, dann war er schon vorbei.

      Er atmete tief durch und sah, wie sich der Passat Variant in waghalsigem Tempo entfernte. Es war noch einmal gut gegangen. Jetzt wurde er sich darüber klar, dass ein Unfall, in den er, egal ob verschuldet oder unverschuldet, geriet, das Aus bedeuten würde. Doch es war noch lange nicht aus, denn jetzt würde er seine Mission fortsetzen. Davon konnte ihn auch der Typ in der Vertreterkarre von eben nicht abhalten. Gut so.

      Es dauerte ein paar Kilometer, bis sich sein Puls normalisiert hatte und er das Lied, das aus den Lautsprechern des Radios an seine Ohren drang, laut mitsang. Die Welt war in Ordnung, und bis er die Küste erreicht hatte, würde auch der Tank seiner Erfindung leergesickert sein. Ja, er war ein Genie.

      *

      Husum, Lundweg

      Das Apartment von Kerstin Möller war modern eingerichtet und sehr sauber. Auf wenigen Quadratmetern hatte sich die junge Frau ein kleines, gemütliches Nest unter dem Dach eingerichtet. In der aufgeräumten Küche befand sich nur eine einzige benutzte Teetasse in der Spüle.

      Im Schlafzimmer gab es einen zwei Meter breiten Schrank, in dem sich jedoch nur Frauenkleidung befand. Erst im Bad wurde Wiebke fündig: Auf der Ablage standen zwei Zahnputzbecher mit einer pinkfarbenen und einer tiefblauen Bürste, ein Nassrasierer mit Schaum, daneben zwei Haarbürsten und zwei Deos, einer mit dem Zusatz „For Men“ auf dem Etikett. Zufrieden zog sie Asservatenbeutel aus der Tasche und tütete die Zahn- und die Haarbürste ein.

      Auf dem Rückweg zur Diele machte Wiebke am Spiegel der Garderobe halt. Hier hingen einige Fotos, auf denen die Vermisste zu sehen war. Die Bilder zeigten eine lebensfrohe zierliche Frau mit schulterlangen blonden Haaren und lustigen Grübchen. Ihre blauen Augen strahlten Lebensfreude pur aus. Wiebke trat näher, um die Aufnahmen zu betrachten. Auf einigen Bildern, sah sie die Vermisste in Begleitung eines attraktiven Mannes mit einem Lächeln, das für den Werbespot einer Zahnpastamarke taugte. Er war braun gebrannt und breitschultrig, auf manchen Fotos betonte er sein maskulines Äußeres mit einem Dreitagebart.

      „Das ist ihr Freund“, kommentierte Erika Brütsch, die ihre Besucherin sehr aufmerksam beobachtete, „der Herr Gerissen. Ein netter junger Mann.“ Jetzt tippte die alte Dame auf ein Bild, auf dem eine dunkelhaarige Schönheit zu sehen war. „Und das hier“, sagte sie, „ist die beste Freundin von Frau Möller, Christiane Vollmer.“

      „Sicher darf ich die Bilder mitnehmen?“, fragte Wiebke.

      „Aber sicher.“ Erika Brütsch nickte. „Vielleicht erleichtern Ihnen die Fotos die Arbeit.“

      Die Zeit drängte, so musste Wiebke Erika Brütsch versprechen, sich zu melden, falls es eine Spur zu Kerstin Möller gab. Nachdem Wiebke sich bei Erika Brütsch für die Zusammenarbeit bedankt hatte, verabschiedete sie sich von der alten Dame. Die Nachbarin, die Wiebke bei ihrer Ankunft misstrauisch beobachtet hatte, war im Haus verschwunden. Jetzt stand sie hinter der Gardine ihres Küchenfensters. Wiebke ignorierte die neugierigen Blicke und wählte Jan Petersens Nummer, nachdem sich ihr Smartphone mit der Freisprech-

      einrichtung des Dienstwagens verbunden hatte. Mit wenigen Sätzen schilderte sie ihrem Partner die Situation. „Der Abgleich der DNA-Spuren wird beweisen, dass es sich bei der verschwundenen Besitzerin der Sportbekleidung um Kerstin