WattenAngst. Andreas Schmidt

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Название WattenAngst
Автор произведения Andreas Schmidt
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783827184030



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Schmerztabletten aus der Apotheke und Zitronen aus dem Supermarkt besorgen.

      Doch jetzt gab es Arbeit. Wiebke wollte keine Zeit verlieren, denn alles deutete darauf hin, dass Kerstin Möller entführt worden war.

      Eilig durchschritt sie den Vorgarten, nahm die drei breiten Stufen und fand sich unter einem schmalen Vordach wieder, das sie mehr schlecht als recht vor dem Nieselregen schützte. Fröstelnd schlug Wiebke den Kragen ihrer hüftlangen Jacke hoch und versenkte die Hände tief in den Taschen, während sie sich orientierte. Es gab ein in die Fassade eingearbeitetes Klingelbrett. „Brütsch“ stand in vergilbten Lettern darauf. Darunter befand sich eine nachträglich montierte Funkklingel mit der Aufschrift „K. Möller“.

      Wiebke betätigte den oberen Knopf und lauschte dem tiefen Gong, der drinnen ertönte.

      Die anderthalb Minuten, die Wiebke wartete, fühlten sich an wie eine Ewigkeit, dann wurde die Tür einen Spaltbreit geöffnet.

      „Ja bitte?“ Misstrauen lag im Blick der alten Dame, die durch den Spalt spähte. Eine Panzerkette zwischen Tür und Rahmen verhinderte, dass ungebetene Gäste sich Zugang zum Haus verschaffen konnten.

      „Frau Brütsch? Erika Brütsch?“ Wiebke blickte in das rundliche Gesicht einer älteren Dame, die sie auf Ende siebzig, vielleicht sogar auf Anfang achtzig schätzte. Die blauen Augen der Frau waren wachsam auf die Besucherin gerichtet.

      Wiebke zog den Dienstausweis hervor und stellte sich vor.

      „Polizei?“ Die Miene der alten Dame hellte sich auf. Die Tür wurde geschlossen. Wiebke hörte innen das Rasseln der Kette, dann wurde ihr die Haustür wieder geöffnet.

      Wiebke ließ den Ausweis verschwinden und lächelte die alte Dame freundlich an. „Sie haben uns angerufen.“

      „Weil ich mir große Sorgen um Frau Möller mache.“

      Wiebke folgte der Frau in einen schummrigen Flur. Eine altmodische Deckenlampe mit rauchigem Glas verbreitete einen diffusen Lichtschein. Neben der Haustür gab es eine antiquierte Garderobe mit wetterfesten Jacken, überwiegend in Grau- und Brauntönen, daneben ein ovaler Ankleidespiegel. Auf einer Hutablage entdeckte Wiebke einen dunkelbraunen Cordhut, der von einer feinen Staubschicht überzogen war.

      „Der gehörte Knut, meinem Mann“, sagte Erika Brütsch, die Wiebkes Blick gefolgt war. Ein wehmütiges Lächeln umspielte ihre Mundwinkel. „Ich habe es nicht übers Herz gebracht, ihn dort wegzunehmen, nachdem er …“ Die alte Dame brach ab und senkte den Blick, dann machte sie eine wegwerfende Handbewegung, so, als könne sie die Erinnerung an ihren verstorbenen Mann damit zu Seite schieben. „Kommen Sie.“

      Nacheinander betraten sie die Stube des kleinen Hauses. Wiebke blickte sich um. Auch hier alte, schwere Möbel, die den nicht allzu großen Raum förmlich erdrückten.

      Eine Fensterfront in den Garten hinter dem Haus sorgte bei dem trüben Wetter mehr schlecht als recht für Licht.

      „Nehmen Sie Platz.“ Erika Brütsch deutete auf den großen Sessel vor dem gekachelten Sofatisch.

      Wiebke nahm die Einladung an und beobachtete die alte Dame, die gedankenverloren an das große Fenster trat und hinausblickte. Eine hölzerne Pergola mit Plexi-

      glasdach bot einen Freisitz auch bei schlechtem Wetter. Die Terrasse selbst bestand aus einer rissigen Betonplatte, die an den Rändern mit Grünspan bedeckt war.

      „Sie haben uns angerufen, weil Sie Ihre Mieterin vermissen“, begann Wiebke das Gespräch.

      Die alte Dame nickte, ohne sich zu ihrer Besucherin umzudrehen. „Das kenne ich von ihr nicht. Frau Möller ist eine sehr ordentliche und eine höfliche Frau. Sie meldet sich immer kurz ab, wenn sie das Haus verlässt. So auch gestern Abend. Jeden Abend geht sie joggen, auch sonntags.“

      Wiebke schwieg. Sie wollte den Redefluss der alten Dame nicht unterbrechen. Erst als Erika Brütsch verstummte, hakte sie nach: „Immer dieselbe Strecke?“

      „Meistens. Entweder in dem Wäldchen bei Mild-

      stedtfeld oder draußen, am Dockkoog.“

      „Wann ist sie gestern aufgebrochen?“

      „Gegen sechs Uhr abends.“

      „Gibt es eine gute Freundin, einen Freund oder Familienangehörige, zu denen sie anschließend gefahren sein könnte?“ Obwohl Wiebke wusste, dass der Wagen von Kerstin Möller auf dem Wanderparkplatz stand, stellte sie diese Fragen. Sie erhoffte sich einen Hinweis auf das soziale Umfeld der jungen Frau.

      „Es gibt eine gute Freundin, ja. Und seit einigen Wochen sogar einen Mann in ihrem Leben.“ Jetzt drehte sich Erika Brütsch zu Wiebke um. Ein Lächeln lag auf ihren Lippen. „Die junge Liebe ist so schön“, schwärmte sie mit geröteten Wangen. „Aber ich denke nicht, dass Frau Möller einfach so zu ihm gefahren ist. Sie wollte einkaufen – abgesehen davon hätte sie angerufen, um mir Bescheid zu sagen.“

      Wiebke zog einen Notizblick aus der Tasche und machte sich Notizen. „Sicher haben Sie den Namen der Freundin und des jungen Mannes?“

      „Aber sicher.“ Erika Brütsch trat an ein Beistelltischchen neben dem großen Sofa. Ihre Hände zitterten, als sie ein kleines, altmodisches Telefonregister nahm und darin blätterte. „Hier“, sagte sie schließlich und zeigte Wiebke ihre krakeligen Notizen. „Sven Gerissen heißt der junge Mann. Er wohnt wohl in der Husumer Neustadt, arbeitet als Verkäufer in einem Autohaus im Industriegebiet.“ Erika Brütsch nannte Wiebke Gerissens Adresse und die Nummer sowie den Namen des Autohauses, bei dem er arbeitete, danach blätterte sie weiter und fand den Eintrag von Kerstin Möllers bester Freundin. „Das ist Christiane Vollmer, sie wohnt in Treia.“ Auch hier diktierte sie Wiebke Adresse und Telefonnummer.

      „Haben Sie schon versucht, dort anzurufen?“

      „Aber sicher.“ Erika Brütsch nickte. „Leider vergeblich. Sie hat sich weder bei Christiane Vollmer, noch bei ihrem Freund gemeldet. Auch die beiden sind in größter Sorge, haben mich aber gebeten, noch abzuwarten, bevor ich die Polizei einschalte.“

      Wiebke horchte auf. „Warum das?“

      „Nun ja …“ Die alte Dame legte das Telefonbüchlein zurück und druckste herum. „Weil ich mir wohl zu oft und zu schnell Sorgen mache.“

      „Sie haben alles richtig gemacht, als Sie uns angerufen haben“, versicherte Wiebke ihr und deutete auf das Telefonbuch. „Bestimmt haben Sie auch die Nummer von Kerstin Möller notiert?“

      „Aber ja.“ Erika Brütsch nahm das Register wieder in die Hände und nannte Wiebke die Nummer. Wiebke zückte das Smartphone und wählte die Nummer. Schon nach dem ersten Freizeichen meldete sich die Mailbox. Wiebke unterbrach den Anruf, erhob sich aus dem bequemen Fernsehsessel und rief die Galerie ihres Handys auf. Schweigend zeigte sie Erika Brütsch das Bild, das sie bei der Grabstätte aufgenommen hatte.

      „Ist das ihre Kleidung?“

      Die alte Dame betrachtete das Bild auf dem Display. Ihre Augen schimmerten feucht, als sie Wiebke ansah und langsam nickte. „Ja“, sagte sie mit brüchiger Stimme. „Das sind ihre Sachen.“ Sie räusperte sich. „Wurde sie vergewaltigt?“

      Wiebke fand, dass die alte Dame bei aller Emotionalität abgeklärt klang. „Das wissen wir nicht. Spaziergänger fanden die Kleidung bei der Grabstätte bei Mildstedtfeld, von Kerstin Möller fehlt uns jede Spur. Um sicherzugehen, würde ich gern einen DNA-Vergleich anordnen“, erklärte Wiebke. „Dürfte ich mich in Kerstin Möllers Wohnung umsehen?“

      „Aber sicher doch.“ Sie ging voran zum Flur. „Kommen Sie, ich zeige Ihnen ihr Apartment.“

      ZEHN

      Bundesstraße 201 bei Schuby

      Es war ein Kinderspiel gewesen, die Überreste von Kers-

      tin Möller zu entsorgen. Niemand beobachtete ihn dabei. Obwohl, wenn man es ganz genau nahm, dann sahen ihm sogar Gott und die Welt dabei zu – ohne