Der Dreißigjährige Krieg. Peter H. Wilson

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Название Der Dreißigjährige Krieg
Автор произведения Peter H. Wilson
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783806241372



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war schlicht noch nicht in der Position, als strahlender Verteidiger des Protestantismus aufzutreten – dieser Ehrentitel gebührte noch immer Dänemark.

      Polen-Litauen

      Die polnisch-litauische Adelsrepublik (Rzeczpospolita) war der größte – und potenziell mächtigste – der drei Konkurrenten um die Vorherrschaft im Ostseeraum. Bis 1618 hatte sie sich auf rund 900 000 Quadratkilometer ausgedehnt, war also zweimal so groß wie Frankreich, und umfasste nicht nur das Gebiet der heutigen Staaten Polen und Litauen, sondern auch Lettlands und Weißrusslands sowie die westliche Hälfte der Ukraine. Obgleich sie nur dünn besiedelt war, brachte sie doch elf Millionen Einwohner auf – etwa dreimal so viele wie ihre Rivalen Dänemark und Schweden zusammen. Wie diese war die Adelsrepublik ein Unionsstaat, aber einer, in dem die einzelnen Bestandteile ein höheres Maß an Autonomie behielten und in dem die monarchische Zentralgewalt erheblich schwächer war als in den skandinavischen Ländern.157

      Auch nach der Union von Lublin 1569 blieben das Königreich Polen und das Großfürstentum Litauen als eigene Staatsgebilde erhalten; sie einigten sich jedoch auf einen gemeinsamen Monarchen, den die Ständeversammlung des Sejm wählte, der alle zwei Jahre auf einem Feld in der Nähe von Warschau zusammentrat. Wie auch im Heiligen Römischen Reich schloss das Wahlprinzip eine Defacto-Erbmonarchie nicht aus. Die Dynastie der Jagiellonen hatte von 1386 bis 1572 die polnischen Könige gestellt; nach einer kurzen Unterbrechung folgte ihr von 1587 bis 1668 das Haus Wasa nach. Allerdings entwickelte sich das politische System in Polen-Litauen anders als in Mitteleuropa, wo die adlige Elite ihre verfassungsmäßigen Rechte durch den Besitz ererbter Ländereien und Titel legitimierte. Die Angehörigen des polnischen Kleinadels, der szlachta, verstanden sich als Abkömmlinge der Lachiten, eines ehrwürdigen Stammes von Kriegern, und regierten ihr Land gemeinsam und als Gleiche. Von einigen wenigen Litauern abgesehen führten sie keine Titel, sondern ihr Status beruhte allein auf dem (erblichen) Besitz bestimmter Ämter, die unterhalb der beiden Provinzen Großpolen und Kleinpolen angesiedelt waren: als Palatin oder Woiwode einer Woiwodschaft, Starost (etwa: Landvogt) eines Bezirks (powiat) oder Kastellan einer Stadt oder Burg. Während einige Posten in der Verfügungsgewalt des Königs verblieben, wurden andere – wie etwa das Amt des Großhetmans, der die polnische Armee kommandierte – dem einmal zum Zuge gekommenen Kandidaten auf Lebenszeit übertragen. Die Beteiligung des polnischen Adels an der Regierung entzog sich somit weitgehend dem königlichen Einfluss. Was ihr Vermögen betraf, bestanden unter den Angehörigen der szlachta große Unterschiede. Einige wenige Familien, wie etwa die Radziwills, besaßen riesige Landgüter, während die große Mehrheit der polnischen Adligen vergleichsweise arm war und mitunter eher wie bessere Bauern lebte. Unabhängig von ihrem Vermögen betrachteten jedoch alle Angehörigen des Adels sich selbst als „die Nation“ und die polnisch-litauische Verfassung als Ausdruck ihrer ständischen Freiheiten. Ehrgeizige Adlige nutzten ihren Landbesitz, um sich über den Sejm eine Rolle in der Landespolitik zu erspielen, oder bildeten regionale Allianzen oder Konföderationen, die bei einem rokosz genannten Adelstreffen geschlossen werden konnten. Das Recht, im rokosz zusammenzutreten, sah die polnisch-litauische Verfassung zum Schutz gegen einen tyrannischen König vor.

      Die inneren Konflikte der Adelsrepublik waren eher politischer als religiöser Natur. Ihre dezentralisierte Struktur und konsensorientierte politische Kultur begünstigten eine entspanntere Haltung in Sachen religiöser Pluralismus, als diese in Mittel- oder Westeuropa verbreitet war. Wie die Obrigkeit in Siebenbürgen, so waren die Verantwortlichen in der Rzeczpospolita bestrebt, den Ausbruch konfessioneller Gewalt durch Vereinbarungen zu verhindern, welche die Gleichheit aller beteiligten Parteien sowie deren Jurisdiktionen und Rechte festschrieben. Den politischen Konsens begleitete das irenische, also auf die Sicherung des Friedens gerichtete Bestreben, theologische Differenzen zu überwinden und Gemeinsamkeiten zwischen den Konfessionen zu betonen. So wurde etwa die griechisch-orthodoxe Glaubensgemeinschaft in Litauen nach 1563 den Katholiken völlig gleichgestellt, und 1596 fusionierten beide sogar zur unierten oder griechisch-katholischen Kirche, die den orthodoxen Ritus beibehielt, zugleich aber die Autorität des Papstes anerkannte. Insbesondere in den deutschsprachigen Städten des Königlichen Preußen verbreitete sich auch das Luthertum; allerdings distanzierten sich diese Lutheraner bewusst von ihren Glaubensbrüdern im römisch-deutschen Reich, indem sie das Konkordienbuch von 1580 ablehnten und stattdessen lieber engere Beziehungen zu den polnischen Protestanten knüpften. Zu Letzteren zählten neben Calvinisten und Böhmischen Brüdern auch Lutheraner. Ihre Vertreter schlossen 1570 den Consensus von Sandomir, in dem eine überkonfessionell akzeptable Formulierung wesentlicher Glaubensinhalte festgehalten wurde, um künftige dogmatische Streitigkeiten zu vermeiden. Die polnische Krone bestätigte den Consensus trotz gewisser Bedenken der katholischen Bischöfe, womit die Protestanten und deren Rechte in die Verfassung der Adelsrepublik aufgenommen waren.158

      Die Macht des polnisch-litauischen Wahlkönigs hing wesentlich davon ab, dass er auf dem langen Verfahrensweg durch die repräsentativen Institutionen das Vertrauen seiner führenden Adligen gewann. Die regionalen Adelsversammlungen (Sejmiki) entsandten Delegierte zum Sejm, wo die Zustimmung aller dieser „Landboten“ nötig war, um die gefassten Beschlüsse verbindlich werden zu lassen. Diese Regelung bedeutete in der Praxis, dass jedem einzelnen Adligen ein Vetorecht zukam, das sogenannte Liberum Veto, und so wurde der Sejm allein zwischen 1576 und 1606 sechsmal aufgelöst, ohne auch nur eine einzige Entscheidung getroffen zu haben. Nachdem er erfolglos versucht hatte, den polnischen Adel zur Unterstützung seiner Ambitionen auf die schwedische Krone zu bewegen, ging Sigismund III. immer mehr dazu über, im Verborgenen zu handeln. Aber anders als etwa Christian IV. von Dänemark hatte er eben keine unabhängigen Einnahmequellen, aus denen er sein Vorhaben hätte finanzieren können. Zuletzt verlegte er sich darauf – ähnlich wie die österreichischen Habsburger –, bei der Ämtervergabe Katholiken zu bevorzugen, um auf diese Weise eine loyalere Klientel innerhalb der Ständeversammlung aufzubauen. Nach der Vertreibung der Schweden aus Livland 1605 plante Sigismund die Einführung weitreichender Reformen, darunter ein Mehrheitswahlrecht für den Sejm und ein System regelmäßiger Besteuerung. Das Ergebnis war ein Adelsaufstand im Jahr 1606 (der „Rokosz“), der sich zeitlich mit dem ungarischen Bocskai-Aufstand überschnitt und wie dieser die Verteidigung von Adelsprivilegien zum Ziel hatte. Anders als in Ungarn fehlte dem polnischen Aufstand jedoch eine starke konfessionelle Prägung, denn die polnischen Protestanten waren zu wenige, als dass sie ohne katholische Unterstützung hätten einen Aufstand beginnen können. Ihren konfessionellen Unmut mussten sie vielmehr hinunterschlucken, um die Konföderation von Sandomir schließen zu können, deren Grundlage eine gemeinsame Abneigung gegen Sigismunds Reformpläne war. Diese Abneigung war allerdings nicht so weit verbreitet, wie die Aufständischen gehofft hatten: Die großen Grundbesitzer blieben ihrem König, trotz all seiner Fehler, treu ergeben, denn er hatte sie immer mit Respekt behandelt. Die Basis der Konföderation beschränkte sich somit weitgehend auf den unzufriedenen Kleinadel, der den Magnaten ihren wachsenden Reichtum verübelte. Schon 1607 brach der Aufstand in sich zusammen.

      Polens Stärke Dieses ungestüme Zwischenspiel scheint das Klischee von der chaotischen „Polenwirtschaft“ im politischen System der Adelsrepublik zu bestätigen. Wie das Alte Reich auch ist die Rzeczpospolita immer wieder als ineffizient und veraltet kritisiert worden – als Relikt in einem Europa, dessen politische Entwicklung hin zu einem stärkeren, vor allem auch stärker zentralisierten Staat tendierte. Letztlich zahlte der polnisch-litauische Adel einen hohen Preis für seine Freiheiten, als sein Königreich zwischen 1772 und 1795 von den drei absoluten Monarchien Österreich, Preußen und Russland „totgeteilt“ wurde. Jedoch sollte man das Polen des 17. Jahrhunderts nicht durch die Brille jener späteren Entwicklungen betrachten; vorerst nämlich blieb die Adelsrepublik einer der mächtigsten und erfolgreichsten Staaten in Europa. Nachdem Sigismund ab 1613 erst einmal das Vertrauen seiner Adligen zurückerlangt hatte, bewilligte der Sejm ihm regelmäßige – und regelmäßig ansteigende – Steuerzahlungen; nur bei einer Zusammenkunft im Jahr 1615 konnte keine Einigung erzielt werden. Im Gegensatz zu anderen Ländern der Zeit gelang es Polen-Litauen, seine Kriege ohne Überschuldung zu führen. Außerdem besiegte es so gut wie jeden Feind, auf den es traf – zumindest bis in den Jahren 1648–54 der große Aufstand der Saporoger Kosaken eine ganze Epoche einläutete, die als „Sintflut“ in die polnische Geschichte