Der Dreißigjährige Krieg. Peter H. Wilson

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Название Der Dreißigjährige Krieg
Автор произведения Peter H. Wilson
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783806241372



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Raum trafen, sondern sich mit bestimmten Rahmenbedingungen zu arrangieren hatten, die sich ihrer Kontrolle entzogen. Sobald Schweden seine ersten Schritte in Richtung Großmachtstellung getan hatte, verlief die weitere Entwicklung zudem nach einer gewissen inneren Logik, der man sich nur mit Mühe entziehen konnte. Da dem Land die nötigen Ressourcen für einen langwierigen Krieg eigentlich fehlten, musste es seine Truppen „auf Pump“ mobilisieren und dann hoffen, einen raschen Sieg zu erringen, um mit der Kriegsbeute seine Schulden begleichen zu können. Allerdings reichten die Anfangserfolge der Schweden nie aus, um langfristig die benötigten Mittel für eine Fortsetzung des Konflikts oder auch nur die Absicherung der bereits eroberten Gebiete zu beschaffen. So wurden immer weitere Kriegszüge erforderlich, um ein Reich zu erhalten, das sich ein Stehenbleiben schlicht nicht leisten konnte. Solche strukturellen Faktoren traten zeitgenössisch nur dann ins Bewusstsein, wenn der König und seine Berater von Verteidigung sprachen und ihre Sorge über die feindseligen Absichten fremder Mächte äußerten. Denn Verteidigung war in ihren Augen ein legitimes Anliegen, hatten sie doch als Diener Gottes auf Erden den wahren Glauben und die Rechte des Königs als eines Herrschers von Gottes Gnaden zu beschützen.

      Schweden und das Reich Den Ausschlag gaben dynastische Erwägungen. Sowohl Gustav Adolf als auch jene Adligen, die ihn als schwedischen König akzeptiert hatten, konnten nur verlieren, falls Sigismund eine Rückeroberung des Landes gelingen sollte. Die Besorgnis Gustav Adolfs über eine mögliche Verschwörung schwedischer Katholiken im polnischen Exil mag uns aus heutiger Sicht an den Haaren herbeigezogen erscheinen, war aber letztlich nichts anderes als die frühneuzeitliche Entsprechung des heutigen Glaubens an die Allgegenwart terroristischer Netzwerke. Die Polen, glaubte man, steckten mit den Habsburgern und dem französischen Adel unter einer Decke, um einen neuen katholischen Ritterorden zu begründen, der einen Kreuzzug gegen die lutherischen Wasa führen sollte. Auf dem Reichstag von Örebro wurde 1617 den schwedischen Katholiken ein Ultimatum gestellt: Sie sollten innerhalb von drei Monaten das Land verlassen, andernfalls hätten sie ihr Leben verwirkt. Der Katholizismus als solcher wurde mit dem verräterischen Kontakt zu Sigismund gleichgesetzt. Trotz intensiver Überwachungsmaßnahmen gelang es der schwedischen Obrigkeit jedoch nicht, mehr als drei ihrer Untertanen vor Gericht zu bringen; diese hatten einem deutschen Jesuiten dabei geholfen, katholisches Schriftgut zu verbreiten.

      Internationalen Verschwörungen, so viel war sicher, musste man mit einer ähnlich breit aufgestellten Allianz der Gerechten entgegentreten. Gustav Adolf war bereits mit mehreren bedeutenden Familien des protestantischen deutschen Adels verwandt. Seine Mutter (die zweite Frau Karls IX.) war Christina von Holstein-Gottorf, eine Enkelin des Reformationshelden Landgraf Philipp von Hessen. Über Anna Maria von der Pfalz, die älteste Tochter von Kurfürst Ludwig VI. und erste Frau Karls IX., stand Gustav Adolf zudem in einem Verwandtschaftsverhältnis zu der mächtigsten calvinistischen Familie des Reiches. Gustav Adolfs ältere Halbschwester Katharina, das einzige Kind aus der ersten Ehe seines Vaters, das bis ins Erwachsenenalter überlebte, heiratete den Pfalzgrafen Johann Casimir von Zweibrücken-Kleeburg, was die Verbindung zwischen Schweden und der Calvinisten-Dynastie aus der Pfalz noch enger werden ließ. Bald stand auch die Frage von Gustav Adolfs eigener Verehelichung auf der Tagesordnung; schließlich musste er dringend einen legitimen Thronfolger zeugen, um die Gefahr einer polnischen Restauration zu bannen. Seine Familie zeigte sich tief beunruhigt über sein Verhältnis mit Margareta Slots, der niederländischen Ehefrau eines Offiziers der schwedischen Armee, die ihm 1616 einen unehelichen Sohn namens Gustav Gustavsson gebar.

      Im Jahr 1615 begannen Verhandlungen über eine mögliche Heirat zwischen Gustav Adolf und Maria Eleonora von Brandenburg, der ältesten Tochter des brandenburgischen Kurfürsten Johann Sigismund. Die geplante Verbindung würde Schweden mit einem weiteren protestantischen Kurfürstentum verbinden und versprach deutliche strategische Vorteile: Brandenburg würde in absehbarer Zeit das Herzogtum Preußen erben (was 1618 dann auch geschah). Sobald dieses Territorium erst einmal in freundlichen Händen sein würde, befände sich das polnische Livland quasi in einer Zwickmühle, denn Schweden kontrollierte ja bereits Estland im Norden. Nach der Heirat Christians IV. von Dänemark mit Johann Sigismunds Schwester Anna Katharina bestand so außerdem die Möglichkeit, den dänischen Einfluss in Brandenburg zu neutralisieren. Allerdings brachte der schwedische Antrag den Kurfürsten in Bedrängnis: Eine Allianz mit Schweden mochte ihm Polen gegenüber zwar ein Druckmittel in Sachen Preußen an die Hand geben; zugleich wäre ihm damit aber die langfristige Feindschaft des polnischen Königs Sigismund sicher. Johann Sigismunds Gemahlin, Anna von Preußen, befürchtete, die Polen würden im Fall einer brandenburgisch-schwedischen Heiratsallianz ihre Heimat besetzen, und erklärte deshalb, sie sähe ihre Tochter lieber tot als in Schweden. Dann trafen weitere Heiratsanträge aus Dänemark und Polen ein, was den Entscheidungsdruck deutlich erhöhte. Offenbar überschätzten sämtliche beteiligten Parteien das brandenburgische Potenzial, denn von den vier weltlichen Kurfürstentümern war Brandenburg fraglos das schwächste. All die Aufregung um ihre Person stieg Maria Eleonora zu Kopf, und sie steigerte sich in eine leidenschaftliche Verliebtheit in Gustav Adolf hinein, mit dem sie freilich nicht unter vier Augen zusammentreffen durfte, bis ihr Schicksal entschieden war.

      Gustav Adolf verlor die Geduld und wurde – gegen den Rat seiner Familie und engsten Vertrauten – im April 1620 persönlich in Berlin vorstellig. Einen schlechteren Zeitpunkt hätte er sich kaum aussuchen können. Der Kurfürst Johann Sigismund war Monate zuvor gestorben, und sein Sohn und Erbe Georg Wilhelm weilte gerade in Königsberg, um sich die polnische Bestätigung seines preußischen Erbes zu sichern. Nach einem frostigen Empfang durch die Kurfürstinwitwe gab Gustav Adolf dem Drängen seines Schwagers Johann Casimir nach und reiste eilends nach Heidelberg ab, um sich lieber dort eine pfälzische Prinzessin vorstellen zu lassen, von der er schon viel Gutes gehört hatte. Kaum hatte der Schwede Berlin verlassen, änderte Anna ihre Meinung, weil ihr eine polnische Heirat plötzlich als die noch schlechtere Option für ihre Tochter erschien. Die brandenburgischen Eilboten waren erfolgreich, Gustav Adolf kehrte um und konnte bei einem privaten Zusammentreffen mit Maria Eleonora am 18. Juni seinen ganzen Charme spielen lassen. Tags darauf wurde die Verlobung bekannt gegeben, und im November reisten Gustav Adolfs Braut und seine künftige Schwiegermutter nach Stockholm, wo die Hochzeit sein sollte. Kurfürst Georg Wilhelm war klugerweise in Königsberg geblieben und hatte die ganze Zeit über verlautbaren lassen, er für seinen Teil habe mit dieser Sache nicht das Geringste zu tun.

      Die Ehe war ein Desaster für alle Beteiligten. Gustav Adolf hatte Maria Eleonora aus politischem Kalkül geheiratet und bezeichnete seine intelligente, empfindsame Frau als „ein schwaches Weib“. Maria Eleonora ihrerseits hasste ihr neues Zuhause zutiefst, da es nach ihren eigenen Worten nichts zu bieten hatte als „Felsen und Berge, eiskalte Luft und dergleichen“.156 Sie hatte einen Ehemann gewollt – und einen König bekommen. Der wiederum fand Maria Eleonoras eifersüchtige, besitzergreifende Art über die Maßen lästig. Schlimmer noch: Sie gebar ihm nicht den ersehnten Sohn und Erben, sondern stattdessen zwei Töchter, von denen nur die zweite, Christina, überlebte, um das Erbe ihres Vaters anzutreten. Die schwedische Thronfolgeregelung ließ eine weibliche Erbfolge zu, aber der Großteil der Bevölkerung fand allein die Vorstellung, eine Königin zu haben, überaus befremdlich. Gezielt wurde Gustav Adolfs Neffe Karl Gustav, ein Sohn Johann Casimirs von Pfalz-Zweibrücken, mit Christina zusammen erzogen, damit man auf ihn im Bedarfsfall würde als Ersatzthronfolger zurückgreifen können. Tatsächlich sollte er ihr nach ihrer Abdankung 1654 als Karl X. auf den schwedischen Thron folgen. Die erhofften politischen Vorteile aus der brandenburgisch-schwedischen Allianz blieben ebenfalls aus. Georg Wilhelm von Brandenburg vermied es tunlichst, den polnischen König zu verärgern, und erhielt von diesem denn auch das Herzogtum Preußen zum Lehen. Gustav Adolf sah das Verhalten seines Schwagers mit wachsender Verbitterung; als Schweden in den Dreißigjährigen Krieg eintrat, hatte er eigentlich nur noch Verachtung für ihn übrig.

      Obwohl die Heirat Gustav Adolfs mit Maria Eleonora von Brandenburg also nicht besonders glücklich war – weder in persönlicher noch in politischer Hinsicht –, ist sie doch aus zwei Gründen bedeutsam. Zum einen veranschaulicht sie, welch großes Gewicht dynastischen Erwägungen in der europäischen Politik zukam, in der so nicht allein die Männer, sondern auch deren weibliche Familienangehörige eine Rolle spielten. Insbesondere wird deutlich, wie beschränkt der schwedische Horizont zu der betreffenden Zeit noch war. Gustav Adolf hatte die Option