Der Dreißigjährige Krieg. Peter H. Wilson

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Название Der Dreißigjährige Krieg
Автор произведения Peter H. Wilson
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783806241372



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– ein Schlag ins Gesicht. Schließlich war dieser Heinrich nicht nur ein „Ketzer“, sondern befand sich bereits in einer Auseinandersetzung mit den Spaniern, die 1512 die Hälfte seines Königreichs Navarra besetzt hatten. Nachdem er sich bislang der Liga und Savoyens bedient hatte, um einen Stellvertreterkrieg gegen Navarra zu führen, griff Philipp II. nun direkt in die französische Politik ein, indem er 1590 dem Herzog von Parma befahl, mit seiner Flandernarmee im Artois einzumarschieren. Wie wir bereits gesehen haben, sollte dieser Schritt erheblichen Einfluss auf den weiteren Verlauf des Krieges in den Niederlanden haben. Der sächsische und der pfälzische Kurfürst stellten 1591/92 das siebte und letzte deutsche Expeditionsheer zur Unterstützung Heinrichs von Navarra auf, doch die französische Königskrone verdankte dieser wohl zum größten Teil seinem im Juli 1593 erfolgten Übertritt zum Katholizismus – ein Entschluss, den Heinrich in den berühmten Worten geäußert haben soll: „Paris vaut bien une messe“ – „Paris ist eine Messe wert!“ Während Heinrichs Konversion die radikaleren Hugenotten vor den Kopf stieß, erlaubte sie den – wesentlich zahlreicheren – moderaten Katholiken, sich ihm anzuschließen, und so konnte auf seine förmliche Krönung als Heinrich IV. von Frankreich im Februar 1594 einen Monat später sein Einzug nach Paris folgen. Philipp II. befand sich zu dieser Zeit schon nicht mehr bei bester Gesundheit, weshalb er sich – nach etlichen anderen Rückschlägen – im August 1595 außerstande sah, Papst Clemens VIII. von einem Treffen mit Heinrich abzuhalten, bei dem der französische König gewissermaßen offiziell in den Schoß der Kirche aufgenommen werden sollte. Heinrich IV. hatte offenbar einiges von den Spaniern gelernt, was deren Umgang mit den Päpsten betraf, denn er gab sich einerseits nachsichtig in puncto päpstlicher Einflussnahme und Jurisdiktion in der französischen Kirche, schuf sich im Gegenzug aber rasch eine „Eingreiftruppe“ von etwa 20 Kardinälen, die sich in Rom für Frankreichs Interessen einsetzten. Obwohl Spanien in Rom die dominierende Macht blieb, war es nun doch nicht mehr die einzige, insbesondere da der wachsende französische Einfluss es dem Papst erlaubte, die eine Macht gegen die andere auszuspielen und auf diese Weise größeren Handlungsspielraum zu erlangen.

      Nachdem Heinrich IV. erst einmal als König von Frankreich anerkannt war, wirkte die Heilige Liga immer mehr wie eine Marionette der Spanier, und so setzten sich ihre Anführer einer nach dem anderen ab, bis Spanien mit seinen Interessen allein zurückblieb. Im Januar 1595 erklärte Heinrich der spanischen Krone offiziell den Krieg, marschierte in Burgund ein und schnitt damit die Spanische Straße ab. Spanien musste auf diesem Streckenabschnitt also für eine „Umleitung“ sorgen, die weiter im Osten über Saarbrücken verlief – und damit über Reichsgebiet. Zwei Jahre später vertrieb der Feldmarschall Lesdiguières die Savoyer aus der Dauphiné und eroberte die Täler der Maurienne und der Tarantaise für Frankreich, wodurch die Heerstraße auch in ihrem südlichen Abschnitt unterbrochen wurde. Der spanische Gegenangriff erfolgte aus den Niederlanden und endete nach erbitterten Kämpfen mit der Einnahme von Amiens; dennoch war klar, dass die Intervention der Spanier in Frankreich sich alles in allem als kontraproduktiv erwiesen hatte. Beide Seiten akzeptierten ein Vermittlungsangebot des Papstes, das schließlich im Mai 1598 in den Frieden von Vervins mündete, in dem Spanien den Anspruch Heinrichs IV. auf den französischen Thron anerkannte, Amiens und Calais an Frankreich zurückgab und Lothringen zwang, die von ihm besetzten Städte Metz, Toul und Verdun aufzugeben. Die Franzosen zogen als Gegenleistung aus Savoyen ab und willigten ein, die strittige Frage der Markgrafschaft Saluzzo durch ein päpstliches Schiedsgericht klären zu lassen.125

      Savoyen bot an, seine frankophonen Territorien zwischen Rhône und Saône aufzugeben, wenn es im Gegenzug Saluzzo behalten dürfte – denn dieses war ein wesentliches Puzzlestück des savoyischen Herrschaftsbereichs im Westalpenraum. Der Vorschlag beunruhigte die Spanier, weil die Spanische Straße damit nach der Alpenquerung ungeschützt daliegen würde, und das ausgerechnet in der Nähe des calvinistischen Genf. Heimlich redete man Karl Emanuel von Savoyen zu, er solle auf besseren Konditionen bestehen, und versprach ihm dafür spanische Militärhilfe. Heinrich IV. verlor die Geduld und entsandte erneut Truppen nach Savoyen, 20 000 Mann, bevor die versprochene Unterstützung aus Spanien eintreffen konnte. Am 17. Januar 1601 besiegelte Karl Emanuel seine Abmachung mit Heinrich im Vertrag von Lyon und überließ dem französischen König das frankophone Savoyen im Gegenzug für Saluzzo. Die Spanische Straße verengte sich nun auf das Tal von Chézery zwischen dem Monte Cenisio und der zweibogigen Rhônebrücke von Grésin, westlich von Genf; ihre Anfälligkeit wurde deutlich, als Frankreich sie im Juli 1602 vorübergehend sperrte. Die Spanier versuchten, die Route nach Genf tiefer in das Gebirge hinein zu verlegen, und stellten im Dezember desselben Jahres Karl Emanuel die nötigen Mittel für einen Angriff auf die calvinistische Stadtrepublik zur Verfügung. Die berühmt gewordene „Escalade de Genève“ – eine Anspielung auf die Ersteigung der Stadtmauern mittels Leitern – scheiterte jedoch, Genf blieb unabhängig und die Beziehungen zwischen Spanien und Savoyen verschlechterten sich rapide. Da den Savoyern vor allem an einem guten Verhältnis zu dem erstarkenden Frankreich gelegen war, schränkten sie die spanische Nutzung der Route über Grésin immer weiter ein und verwiesen schließlich 1609 die permanenten Streckenposten der Spanier des Landes. Im Jahr darauf wurde die Neuausrichtung in der savoyischen Außenpolitik durch den Abschluss eines formellen Bündnisses mit den Franzosen abgeschlossen. Die Spanier mussten sich also einen anderen Weg über die Alpen suchen.

      Die Schweizer Pässe Die Sorge um ihre westliche Marschroute hatte die Spanier bereits im Mai 1587 dazu veranlasst, mit fünf der sieben katholischen Kantone der Eidgenossenschaft einen Vertrag über die Nutzung des Gotthardpasses zu schließen. Auf diese Weise sicherten sie sich den einzig praktikablen Weg durch das schweizerische Mittelland, der durch die katholischen Kantone an den östlichen Ufern des Vierwaldstätter und des Zuger Sees verlief, dann von Luzern aus dem Tal der Reuss hinunter zur Aare folgte und vor dort aus hinab zum Rhein. Ab hier marschierten die spanischen Truppen durch die oberrheinischen Besitzungen der verbündeten Österreicher, den Breisgau und die Landgrafschaft Oberelsass, bevor sie auf der ursprünglichen Strecke der Spanischen Straße durch das nördliche Lothringen nach Luxemburg gelangten. Die einzige Alternativstrecke durch die Innerschweiz – über den Simplonpass an den Oberlauf der Rhône – war lang und beschwerlich und konnte zudem durch den mächtigen (und protestantischen) Kanton Bern versperrt werden. Dem spanischen Gouverneur von Mailand gelang es 1604, den 1587 geschlossenen Vertrag zu erneuern, aber die katholischen Schweizer wurden langsam unruhig, was den wiedererstarkten Einfluss der französischen Krone betraf, und so verweigerte einer der ursprünglich beteiligten Kantone die Erneuerung des Abkommens. Zwar hatten die katholischen Kantone 1586 ihre eigene Liga geschlossen; einen Krieg gegen ihre protestantischen Eidgenossen wollten sie indes nicht beginnen. Die Schweizer Politik war ein Gewirr lokaler Beziehungen, vergleichbar den Verhältnissen im Reich, wobei der vielfältige Widerstreit der Interessen einen Ausbruch konfessioneller Gewalt zumindest hemmte. Der neue Vertrag verpflichtete die Spanier, ihre Soldaten in Trupps von höchstens 200 Mann mit zwei Tagen Abstand marschieren zu lassen. Ihre Waffen durften sie nicht am Leib tragen, sondern mussten diese gesondert auf Wagen transportieren. Zwischen 1604 und 1619 nutzten die Spanier die Gotthardroute sechs Mal, aber die katholischen Kantone Uri und Schwyz sperrten die Durchfahrt 1613 vorübergehend, was den Gouverneur von Mailand daran hinderte, in seinem Krieg gegen Savoyen deutsche Söldner einzusetzen. Das war kein Zustand, den eine Großmacht lange hinnehmen konnte.126

      Es war durchaus möglich, Truppen auf dem Seeweg über die Adria nach Triest und dann über Innerösterreich und Tirol an den Rhein zu bringen. Allerdings war dies nicht nur ein riesiger Umweg, sondern hatte auch den Nachteil, dass die Venezianer den Truppentransport stören konnten – und Venedig stand der spanischen Italienpolitik oft feindselig gegenüber. Außerdem kontrollierten die Venezianer den Brennerpass und damit den besten Zugang nach Tirol von Italien aus. Zwischen diesen östlichen Varianten und den Pässen durch das schweizerische Mittelland verblieben nur drei mögliche Routen: Eine Straße verlief von Mailand aus nach Norden, über den (östlich des Gotthardpasses gelegenen) Splügenpass und durch das Hinterrheintal hinab, an Chur und dem Bodensee vorbei in den Breisgau. Östlich des Splügen wiederum lag das Engadin, ein Hochtal, durch das der Oberlauf des Inn nach Tirol hineinführte. Schließlich gab es noch das Veltlin, ein 120 Kilometer langes Tal, das vom Comer See aus in Richtung Nordosten ebenfalls nach Tirol führte, entweder über das Stilfser Joch (begehbar von Juni bis September) oder den etwas tiefer gelegenen Umbrailpass