Der Dreißigjährige Krieg. Peter H. Wilson

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Название Der Dreißigjährige Krieg
Автор произведения Peter H. Wilson
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783806241372



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Bereits im April 1562 hatten sich die Anführer der Hugenotten mit der Bitte um Unterstützung an die protestantischen Reichsstände gewandt – und diese auch prompt erhalten: 4000 Mann Kavallerie waren nach Frankreich gezogen, das erste von sieben deutschen Expeditionsheeren, die in den Hugenottenkriegen zum Einsatz kamen und insgesamt über 70 000 Soldaten umfassten. Auch den aufständischen Niederländern leisteten die protestantischen Fürsten des Reiches militärische Unterstützung, was nicht heißen soll, dass die katholischen Reichsstände in dieser Hinsicht weniger aktiv gewesen wären: Allein zwischen 1567 und 1575 stellten sie den Spaniern 57 200 Mann zur Verfügung, während im sogenannten Dreikronenkrieg zwischen Schweden und Dänemark (1563–70) auf beiden Seiten rund 25 000 Deutsche dienten. Diese Zahlen belegen das große Gewicht, das den Interventionen der Reichsfürsten in auswärtigen Konflikten zukam; insgesamt stellten sie mehr Truppen für die Kriege in Frankreich und den Niederlanden zur Verfügung als irgendeine andere „inoffizielle“ Konfliktpartei.

      Zwischen 1562 und 1591 dienten in den Heeren der Hugenotten und der Niederländer rund 20 000 Briten, im (annähernd) selben Zeitraum 50 000 Schweizer für die französische Krone und 20 000 weitere aufseiten der hugenottischen Aufrührer. Treibende Kraft hinter den deutschen Rekrutierungsanstrengungen für die Sache der Hugenotten war die Kurpfalz, deren Landesfürst ja 1560 zum Calvinismus konvertiert war und die zudem mit Teilen ihres Territoriums direkt an die „Endstation“ der Spanischen Straße angrenzte. Das Bevölkerungswachstum in Deutschland sorgte dafür, dass den Fürsten die Rekruten nicht ausgingen; für die Finanzierung der benötigten Truppen hingegen waren die Hugenotten selbst sowie deren internationale Gönner zuständig. Allerdings trafen diese Gelder stets verspätet ein und deckten die entstandenen Kosten niemals ganz. Aus diesem Grund beschränkte sich die deutsche Intervention in die Hugenottenkriege denn auch auf ein sporadisches Eingreifen von höchstens einigen Monaten am Stück, wonach die meisten dieser kurzlebigen Expeditionen in blutigem Chaos endeten.

      Lothringen und Savoyen Ihre Einmischung trug den protestantischen Reichsfürsten die Feindschaft und damit potenzielle Vergeltung der französischen Katholiken ein, die 1584 eine – wie sie selbst sagten – „Heilige“ Liga (Sainte Ligue) gegründet hatten, als klar wurde, dass der einzig plausible Erbe Heinrichs III., des letzten Valois, kein anderer als Heinrich von Bourbon sein würde, König von Navarra und Anführer der Hugenotten. Die Liga war ein Vehikel für das mächtige Haus Guise, das mit den Valois verwandt war und neben der Champagne und ihrem Umland im Nordosten Frankreichs auch über das größtenteils frankophone Herzogtum Lothringen herrschte, das formell zum Heiligen Römischen Reich gehörte. Die Herzöge von Guise betrachteten sich als Hüter des französischen Katholizismus und waren zu allem bereit, damit nur kein König auf Frankreichs Thron komme, der womöglich ihre politische Autonomie hätte beschneiden wollen. Durch die Lage ihrer Territorien spielten sie im strategischen Denken der Habsburger eine zentrale Rolle, denn wenn es darum ging, den letzten Streckenabschnitt der Spanischen Straße zu sichern oder französische Aggressionen in Richtung Elsass und Rhein zu kontern, war die Kooperation der Guise unerlässlich. Die Entscheidung Philipps II., die Liga ab Dezember 1584 mit Geldzahlungen zu unterstützen, verwandelte eine Abfolge von sieben heftigen, aber kurzen Bürgerkriegen in einen langwierigen, internationalen Konflikt, der bis 1598 andauern sollte. Die Situation innerhalb Frankreichs wurde allerdings überschaubarer, weil die diversen Splittergruppen sich rasch zu zwei verfeindeten Lagern formierten, die jeweils auf mächtige Verbündete im Ausland bauen konnten. England ergänzte sein Engagement im Niederländischen Aufstand 1585 durch eine Allianz mit Heinrich von Bourbon-Navarra und finanzierte außerdem das bislang größte deutsche Expeditionsheer, das ab August 1587 fünf Monate lang gegen die Liga der französischen Katholiken ins Feld zog. Diese wiederum rächten sich, indem sie in die protestantischen Territorien westlich des Rheins einfielen und allein in der Grafschaft Württemberg-Mömpelgard 62 Dörfer niederbrannten.

      Ähnlich engagiert wie die Lothringer zeigte sich das Herzogtum Savoyen, ein weiteres auf seine gefährdete Autonomie bedachtes Territorium an der westlichen Peripherie des Reiches.124 Im früheren 16. Jahrhundert war Savoyen um Haaresbreite dem französischen Expansionsdrang entgangen – dank einer habsburgischen Intervention, die die Franzosen 1559, nach einer Besatzungszeit von 23 Jahren, zur Rückgabe des Territoriums zwang. Herzog Emanuel Philibert von Savoyen sah in den anschließenden inneren Wirren Frankreichs eine Chance, endlich der Bevormundung durch fremde Könige zu entfliehen. Er verlegte 1560 seine Residenz von Chambéry in Savoyen auf die andere Seite der Alpen, in das vergleichsweise sichere Turin im Piemont, und begann in der Folge, die Herausbildung einer eigenen, deutlicher savoyischen Identität zu befördern. Italienisch wurde zur offiziellen Sprache des Herzogtums erklärt, und 1578 kam das kostbare Heilige Grabtuch nach Turin (weshalb es heute als Turiner Grabtuch bekannt ist). Schriftstellern zahlte man ein hübsches Sümmchen dafür, dass sie einen Gründungsmythos des Herzogtums Savoyen ausfabulierten – so sei die neue Hauptstadt Turin etwa, wie es nun hieß, von einem umherwandernden ägyptischen Prinzen gegründet worden und somit älter als Rom und Troja. All diese Aspekte überzogen die savoyischen Autoren des 19. Jahrhunderts dann noch mit einer gehörigen Schicht von nationalistischem Zuckerguss, insbesondere nachdem das Haus Savoyen 1860 die Krone des frisch vereinten Königreiches Italien erlangt hatte. Im 16. Jahrhundert hatte die Familie freilich noch keine ganz so hochfliegenden Pläne, sondern konzentrierte sich zunächst voll und ganz darauf, von den anderen Herrscherhäusern Europas als ebenbürtig anerkannt zu werden und ein ausreichend großes Territorium zu gewinnen, um die Unabhängigkeit Savoyens auch in Zukunft wahren zu können. Die Rückeroberung Genfs wurde den Herzögen von Savoyen zu einer Frage der Ehre. Die Stadt war während der französischen Invasion 1536 verloren gegangen und zur unabhängigen calvinistischen Republik Genf geworden, während ihre abhängigen Gebiete im umliegenden Waadtland sich der Schweizerischen Eidgenossenschaft angeschlossen hatten. Außerdem plante man in Turin, über den ligurischen Apennin nach Süden vorzustoßen, Genua einzunehmen und damit Zugang zum Mittelmeer zu erlangen. Auch auf mögliche Vorstöße nach Westen, in die Provence und die Dauphiné, sowie nach Osten, auf das Territorium des Herzogtums Mailand, setzte man gewisse Hoffnungen. Derart ambitionierte Pläne ließen sich allein jedoch nicht umsetzen, und das politische Kalkül der Herzöge von Savoyen bestand vor allem darin, aus ihrer strategischen Position als „Torhüter der Alpen“ Kapital zu schlagen: Neben dem Tendapass zwischen Nizza und dem südlichen Piemont kontrollierte Savoyen auch den südlichen Abschnitt der Spanischen Straße, die in allen drei Streckenvarianten über savoyisches Territorium führte.

      Als 1580 Karl Emanuel I. Herzog von Savoyen wurde, war das der Startschuss für eine aggressivere Politik des kleinen Herzogtums. Man hat diesen Herzog als einen Opportunisten abgetan, der sich über die nächsten 40 Jahre hinweg immer dort – und nur dort – in die Kriege Europas einmischte, wo es für ihn etwas zu holen gab. Allerdings muss man auch sehen, dass dem Herzog seine häufigen Kurswechsel auf dem internationalen Parkett gewissermaßen aufgezwungen wurden, denn er konnte es sich schlicht nicht leisten, die stets gefährdete Selbstständigkeit seines Territoriums allzu eng an das Schicksal einer einzigen Großmacht zu binden, zumal er dabei ja fortwährend noch auf einen Machtzuwachs für das Haus Savoyen spekulierte. Ein gescheiterter Versuch, Genf zurückzuerobern, überzeugte Karl Emanuel 1582 von der Notwendigkeit eines mächtigen Bündnispartners, und so heiratete er 1585 die spanische Infantin Katharina Michaela, eine Tochter Philipps II., dem der frischgebackene Schwiegersohn versprach, im Rahmen seiner Möglichkeiten die spanische Intervention in Frankreich zu unterstützen. 1588 eroberte Savoyen die im oberen Po-Tal am Ostrand der Cottischen Alpen gelegene Markgrafschaft Saluzzo zurück, die 40 Jahre zuvor an Frankreich gefallen war. Im Jahr darauf marschierten savoyische Truppen im Waadtland ein; eine erneute Belagerung Genfs scheiterte wie zuvor, was Karl Emanuel veranlasste, seine Aufmerksamkeit auf die Provence und die Dauphiné zu lenken, von denen er annahm, dass sie eine leichtere Beute sein würden.

      Unterstützt durch eine savoyische Invasion aus Richtung Süden gelang es der Heiligen Liga im Mai 1588 – gegen den ausdrücklichen Befehl Heinrichs III. –, Paris einzunehmen. Die Ermordung des Königs durch einen katholischen Extremisten am 2. August 1589 beseitigte das letzte Hemmnis der Liga, die nun eine grausame Hugenottenverfolgung begann. Jedoch war der vermeintliche Sieg für die Liga zugleich der Anfang vom Ende, denn einen eigenen Kandidaten für den nun verwaisten französischen Thron hatte sie nicht. Die meisten moderaten Katholiken