Название | Guy de Maupassant – Gesammelte Werke |
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Автор произведения | Guy de Maupassant |
Жанр | Языкознание |
Серия | Gesammelte Werke bei Null Papier |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783962817695 |
Man schrieb den 15. Oktober; seit ihrer Abreise von Peuples waren zwei Monate vergangen.
Johanna fühlte sich traurig; der heftige kalte Wind erinnerte sie an ihre Heimat, die Normandie. Julius schien seit einiger Zeit sehr verändert, müde und gleichgültig. Sie hatte Furcht, ohne zu wissen wovor.
Sie verzögerte ihre Heimreise noch um vier Tage, weil sie sich nicht entschliessen konnte, dies schöne sonnige Land zu verlassen. Es war ihr, als ob mit der Reise auch ihr Glück zu Ende ging.
Schliesslich fuhren sie ab.
Sie mussten noch in Paris alle ihre Einkäufe für ihren endgültigen Aufenthalt in Peuples besorgen. Johanna freute sich darauf, dank der wohlgefüllten Börse von ihrer Mutter, allerhand Wunderdinge mit heim zu bringen. Das erste aber, woran sie dachte, war die Pistole für die kleine Korsin in Evisa.
»Möchtest Du mir das Geld von Mama zurückgeben, Herz, damit ich meine Einkäufe machen kann?« sagte sie am Tage nach ihrer Ankunft zu Julius.
»Wie viel brauchst Du?« wandte er sich stirnrunzelnd zu ihr.
»Aber … so viel Du meinst,« stammelte sie überrascht.
»Ich werde Dir hundert Francs geben, aber verschleudere sie nicht« entgegnete er.
Sie war so überrascht und verwirrt, dass sie anfangs keine Worte fand; endlich sagte sie zögernd:
»Aber … ich … ich hatte Dir doch das Geld gegeben, um …«
»Ich weiß schon« unterbrach er sie. »Es ist doch ganz egal, wer von uns beiden es in der Tasche hat, da wir doch von jetzt ab gemeinsame Kasse führen. Du kannst haben, was Du willst, aber ich meine, hundert Franks wäre vorläufig genug.«
Ohne weiter ein Wort zu sagen, nahm sie die fünf Goldstücke; aber sie wagte nicht, noch um mehr zu bitten und kaufte nur die Pistole.
Acht Tage später traten sie die Rückreise nach Peuples an.
*
1 Eine speziell auf Corsika gebräuchliche Bezeichnung für unkultivierte wilde, mit dichtem Gestrüpp bedeckte Strecken. (Anm. d. Übers.) <<<
VI.
Bei dem weißen Tor, welches zwischen den Ständern aus Backstein hing, wurden sie von der Familie und der Dienerschaft empfangen. Der Postwagen hielt an und es erfolgten lange herzliche Umarmungen. Mütterchen weinte, und auch Johanna wischte sich einige Tränen; der Papa ging aufgeregt hin und her.
Dann erfolgte im Salon vor dem Kaminfeuer die Aufzählung der Reiseerlebnisse, während draussen das Gepäck abgeladen wurde. Unaufhörlich flossen die Worte von Johannas Lippen und alles wurde erzählt, die ganze Reise, in einer halben Stunde. Einige Kleinigkeiten vielleicht wurden übergangen.
Dann ging die junge Frau daran, ihre Pakete und Paketchen auszukramen, wobei Rosalie voll tiefer Bewegung mithalf. Als dies zu Ende war, als das Leinenzeug, die Kleider und alle möglichen Toilettegegenstände an ihrem Platze lagen, verliess die Kammerjungfer ihre Herrin, und Johanna, allein gelassen, setzte sich nieder.
Sie fragte sich, was sie jetzt machen sollte, indem sie sich ebenso nach geistiger wie nach körperlicher Beschäftigung umschaute. In den Salon zu ihrer schlafenden Mutter zurückzukehren, dazu hatte sie keine Lust; sie hätte lieber einen Spaziergang gemacht. Aber draussen schien es so öde zu sein, dass sie schon beim Betrachten der Umgebung vom Fenster aus eine Zentnerlast von Melancholie auf sich herabsinken fühlte.
Da kam ihr denn so recht zum Bewusstsein, dass es für sie nichts mehr, auch niemals mehr zu tun gab. Ihre ganze Jugendzeit über im Kloster hatte sie sich mit der Zukunft beschäftigt und Pläne geschmiedet. Unter dieser fortgesetzten Träumerei war ihr damals die Zeit vergangen, ohne dass sie es merkte. Dann kaum den engen Schranken des Klosters entwachsen, in dem ihre Jugendträume entsprungen waren, fühlte sie schon gar bald Herz und Sinn durch die Regungen der Liebe in Anspruch genommen. Den erhofften Mann sehen, ihn lieben, in kurzer Zeit heiraten, wie es bei solchen schnellen Entschliessungen üblich, in seinen Armen ruhen, ohne erst recht zur Besinnung zu kommen, das alles hatte sich wie im Fluge vollzogen.
Aber nun trat statt der sanften Gewohnheit der ersten Tage die raue Wirklichkeit des alltäglichen Lebens in ihre Rechte ein, welche allen undefinierbaren Hoffnungen, jener angenehmen aufregenden Erwartung des Unbekannten für immer die Tür schloss. Ja, jetzt war es aus mit allen Erwartungen.
Also weiter nichts mehr zu tun! heute nicht, morgen nicht und übermorgen nicht. Sie empfand das alles wie eine bittere Enttäuschung, eine langsame Vernichtung ihrer Hoffnungen.
Dann sprang sie auf und lehnte die Stirn an die kühlen Fensterscheiben. Nachdem sie eine Weile den Himmel betrachtet, an welchem düstere Wolken dahinzogen, entschloss sie sich, auszugehen.
War das dieselbe Flur, dasselbe Gras, dieselben Bäume wie im Mai? Wo war das sonnige Leuchten auf den Blättern, wo das poetische Grün des Rasens geblieben, auf dem der Löwenzahn emporflammte, die Klatschrose ihr blutrotes Haupt erhob, die Margheriten sprossten und die großen gelben Schmetterlinge zierlich von Blüte zu Blüte gaukelten? Auch dieses freudige Leben der Natur mit ihrem würzigen Duft, mit ihrer wohltuenden Fruchtbarkeit war dahin.
Da lagen die von anhaltenden Herbststürmen zerzausten Alleen vor ihr; die Pappeln streckten ihre nackten Zweige zum Himmel empor, während fahles gelbes Laub den Boden unter ihnen wie ein Teppich bedeckte. Ihre dünnen Äste zitterten im Winde, der die letzten dürren Blätter abriss und im wilden Tanze durch die Luft wirbelte. Unaufhörlich wie ein anhaltender trostloser Regen fielen die Blätter nieder, gelb wie große Goldstücke, bald hierhin, bald dorthin, fuhren vom Winde wieder aufgestöbert, nochmals empor, schleppten sich über den Boden hin, um endlich ihr letztes Ruheplätzchen zu finden.
Sie ging zum Bosquet; es machte einen traurigen Eindruck, wie ein Sterbezimmer. Die grüne Mauer, welche die lieblichen gewundenen Pfade voneinander trennte und ihnen etwas geheimnisvolles verlieh, war entblättert. Hier und dort streckten die Ziersträucher, welche sonst das Gehölz belebt hatten, ihre mageren Zweige empor. Das Geräusch fallender Blätter, welche der Wind schüttelte, abriss und in Haufen auf die Erde streute, klang wie das schmerzhafte Stöhnen eines langsam Dahinsterbenden.