Название | Guy de Maupassant – Gesammelte Werke |
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Автор произведения | Guy de Maupassant |
Жанр | Языкознание |
Серия | Gesammelte Werke bei Null Papier |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783962817695 |
Korsika! mit seinen Makis! seinen Räubern! seinen Bergen! Das Vaterland Napoleons! Es kam Johanna vor, als verliesse sie die Welt der Wirklichkeit, um wachenden Sinnes das Land der Träume zu betreten.
Auf dem Verdeck nebeneinander sitzend sahen sie die Küste der Provence an ihren Augen vorüberziehen. Ruhig, unbeweglich, in prächtig azurner Färbung lag das Meer, wie zu einer festen Masse erstarrt, unter den heissen Sonnenstrahlen, die von dem tiefblauen Himmel herniedersanken.
»Erinnerst Du Dich noch unserer Fahrt damals im Boote des Papa Lastique?« fragte sie ihn.
Statt aller Antwort drückte er einen Kuss auf ihre Wange.
Die Schaufeln der Räder weckten das Wasser aus seinem stillen Traume. Ein langer schäumender Streifen erstreckte sich vom Hinterteil des Schiffes aus soweit das Auge reichte, und das geteilte Wasser brauste zu beiden Seiten auf wie Champagner.
Plötzlich schnellte vorn, nur einige Fadenlängen vor dem Schiff, ein riesiger Fisch aus dem Wasser, tauchte dann den Kopf unter und verschwand wieder gänzlich. Johanna war so erschreckt, dass sie mit einem Angstruf ihr Gesicht an Julius’ Brust verbarg. Dann musste sie selbst über ihre Furcht lachen und wartete gespannt, ob das Tier nicht wieder zum Vorschein kam. Nach einigen Minuten tauchte es wieder auf wie ein großes künstliches Spielzeug. Jetzt verschwand es wieder, kam abermals herauf; dann waren es ihrer zwei, dann drei, endlich sechs, welche um das Schiff herumzuhüpfen schienen, als wollten sie dem grösseren Gefährten, dem hölzernen Fisch mit den eisernen Flossen, das Geleit geben. Bald waren sie rechts, bald links, bald einzeln, bald zusammen, dann einer hinter dem anderen wie in lustiger Verfolgung beim tändelnden Spiel. Zuweilen schnellten sie sich mit einem großen Sprung in die Luft, um dann eins nach dem anderen wieder in einem großen Bogen ins Wasser zurückzufallen.
Johanna klatschte vor Vergnügen in die Hände, trotzdem sie jedes Mal beim Erscheinen der großen Fische aufs neue schauderte.
Plötzlich verschwanden sie. Man sah sie noch einmal ziemlich weit in der offenen See; dann kehrten sie nicht wieder. Johanna wurde eine Zeit lang ganz traurig über ihr Verschwinden.
Der Abend kam heran, ein ruhiger, milder, strahlender Abend voll Glanz und süssem Frieden. Luft und Wasser waren in stiller Ruhe, und diese unbegrenzte Ruhe des Meeres und des Himmels teilte sich auch dem Herzen mit.
Langsam versank die Sonne da drüben in der Gegend von Afrika, dem unsichtbaren heissen Afrika, dessen Glut man schon zu spüren glaubte, wenn nicht ein schmeichelnder kühler Luftzug, der jedoch keineswegs einem Windhauche glich, die Gesichter der Reisenden umspielt hätte, nachdem die Sonne untergegangen war.
Sie hatten keine Lust, in ihre Kabine herunterzugehen, die mit allen Düften eines Packetbootes angefüllt war. So wickelten sie sich denn beide dicht in ihre Mäntel ein und legten sich nebeneinander aufs Verdeck. Julius schlief sofort ein, während Johanna noch eine Weile unter den ungewohnten Reise-Eindrücken wach blieb.
Das gleichförmige Geräusch der Schaufelräder hielt sie wach, und sie betrachtete mit Interesse die Legion von Sternen, so hell, so klar und funkelnd, wie man sie eben nur am südlichen Himmel erblickt.
Gegen Morgen schlief sie indessen ein, bis ein Geräusch von Stimmen sie weckte. Die Matrosen reinigten unter einförmigem Gesange das Schiff. Sie rüttelte ihren immer noch regungslos schlafenden Mann und beide erhoben sich.
Mit Entzücken sog sie den salzigen Duft ein, der ihr bis in die Fingerspitzen drang. Rings umher sah sie nichts als Meer. Indessen da vorn zeigte sich etwas graues, noch unbestimmt in der Morgendämmerung; es sah aus wie einzelne aufgetürmte zackige zerrissene Wolken, die auf den Wogen zu lagern schienen.
Dann konnte man genauer unterscheiden; die Formen traten mehr hervor, je mehr der Himmel sich aufklärte. Eine lange Reihe sonderbar gezackter Berge erhob sich aus dem Meere. Es war Corsika, noch verhüllt in einer Art leichtem Nebelschleier.
Dahinter stieg langsam die Sonne auf. Anfangs lagen die Kämme der Berge noch in tiefem Schatten, dann schien es, als ob auf allen Gipfeln strahlende Lichter entzündet würden, während der untere Teil der Insel noch in dichtem Nebel lag.
Der Kapitän, ein altes gelbliches, von den scharfen salzhaltigen Winden vertrocknetes, verschrumpftes und ausgedörrtes, aber zähes Männchen wurde auf der Steuerbrücke sichtbar.
»Riechen Sie das, diesen Duft?« sagte er mit seiner durch dreissigjähriges Kommandieren rau gewordenen und im Gebrüll der Stürme verschlissenen Stimme.
In der Tat nahm sie einen eigentümlichen seltsamen Pflanzenduft von ungewöhnlicher Würze wahr.
»Das ist Corsika in der Blüte, Madame«, fuhr der Kapitän fort. »Es ist wie der Duft einer hübschen jungen Frau. Ich würde ihn noch nach zwanzig Jahren auf fünf Meilen Entfernung wiedererkennen. Ich stamme von dort. Er, da unten auf St. Helena, spricht wie es heisst, stets von dem Dufte seines Vaterlandes. Wir sind mit ihm verwandt.«
Und der Kapitän lüftete seinen Hut, grüsste Corsika und grüsste da unten, weit im Ozean den großen gefangenen Kaiser, der zu seiner Familie gehörte.
Johanna fühlte sich so bewegt, dass sie beinahe geweint hätte.
Dann breitete der Seemann die Arme gegen den Horizont aus.
»Die Blutsteine!« sagte er.
Julius stand neben seiner Frau und hielt sie umschlungen; beide schauten in die Ferne, um den angedeuteten Punkt zu erkennen.
Endlich bemerkten sie einige Felsen in Gestalt von Pyramiden, welche bald darauf das Schiff umfuhr, um in einen ungeheuren ruhigen Golf einzulaufen, der von zahlreichen hohen Gipfeln umsäumt war, deren grüne Hänge mit Moos bedeckt schienen.
»Die Makis!«1 sagte der Kapitän, auf die grünen Hänge deutend.
Je näher man kam, desto mehr schien sich der Kreis von Bergen hinter dem Schiff zusammenzuschliessen, welches langsam dahin glitt. Die azurblaue Flut war so klar, dass man fast bis auf den Grund sehen konnte.
Und plötzlich zeigte sich im Hintergrunde der Bucht am Rande der Wogen zu Füssen der Berge die weißschimmernde Stadt.
Einige kleine italienische Schiffe lagen im Hafen vor Anker. Vier oder fünf Barken umkreisten den »König Ludwig«,