Название | Guy de Maupassant – Gesammelte Werke |
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Автор произведения | Guy de Maupassant |
Жанр | Языкознание |
Серия | Gesammelte Werke bei Null Papier |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783962817695 |
Es war dies ein gutmütig aussehender großer Mann; er ging etwas vornüber gebeugt und hatte den finsteren Ausdruck eines Schwindsüchtigen. Er führte sie in ihr Zimmer; freilich ein ödes Gemach mit nackten Wänden, aber luxuriös für dieses Land, wo jede Eleganz unbekannt ist. Gerade drückte er in seinem korsischen Platt mit französischen und italienischen Worten vermischt, seine lebhafte Freude aus, sie bei sich zu sehen, als er von einer hellen Stimme unterbrochen wurde, und eine kleine lebhafte Frau mit großen dunklen Augen, sonnengebräuntem Gesicht, von schlanker Taille und mit einem ewigen Lächeln zwischen den sichtbaren weißen Zähnen sich vorschob, Johanna umarmte und Julius die Hand drückte, während sie wiederholt »Guten Tag, Madame, guten Tag Monsieur; wie geht’s?« rief.
Sie nahm Hüte und Shawls ab, wobei sie sich nur eines Armes bediente, weil sie den anderen in der Binde trug; hierauf nötigte sie alle, das Zimmer zu verlassen, indem sie zu ihrem Manne sagte: »Führe die Herrschaften bis zum Diner etwas herum, Paoli.«
Herr Palabretti gehorchte ohne Zögern, nahm seinen Platz zwischen dem jungen Paare ein und zeigte ihnen das Dorf. Sein Schritt war schleppend wie seine Sprache; alle fünf Minuten hatte er einen Husten-Anfall, wobei er jedes Mal sagte:
»Das kommt von der frischen Luft unten im Tale; sie ist mir auf die Brust geschlagen.«
Er führte sie jetzt auf einem verlorenen Pfade unter riesigen Kastanienbäumen. Plötzlich blieb er stehen und sagte mit seiner einförmigen Stimme:
»Hier wurde mein Vetter Giovanni Rinaldi durch Matteo Lori ermordet. Denken Sie, ich war auch dabei; ganz nahe bei Giovanni, als Matteo plötzlich auf zehn Schritt vor uns stand.
›Giovanni‹, rief er, ›geh nicht nach Albertacco; geh nicht hin, oder ich bringe Dich um; das sage ich Dir.‹ – ›Geh nicht hin, Giovanni!‹ rief ich, ihn am Arme fassend. Es handelte sich um ein Mädchen, Paulina Sinacupi, der sie beide nachgingen. Aber Giovanni schrie erbost: – ›Ich werde doch gehen, und Du sollst mich nicht daran hindern.‹ – Da legte Matteo sein Gewehr an, bevor ich das meinige hatte spannen können und drückte ab. Giovanni machte mit beiden Füssen zugleich einen großen Satz, wie ein Kind, das Seilchen springt, mein Herr! und stürzte dann rückwärts mit solcher Gewalt auf mich, dass mir mein Gewehr entfiel und bis zum großen Kastanienbaum da unten rollte. Sein Mund stand weit offen; aber er sprach kein Wort mehr. Er war tot.«
Erschüttert sah das junge Paar den ruhigen Zeugen dieser grausigen Tat an.
»Und der Mörder?« fragte Johanna.
Paoli Palabretti hustete lange, ehe er antwortete:
»Es gelang ihm, das Gebirge zu erreichen. Mein Bruder hat ihn später getötet. Nämlich mein Bruder Philippi Palabretti, der Bandito.«
»Ihr Bruder?« fragte Johanna schaudernd. »Ein Bandit?«
»Jawohl, Madame«, entgegnete der sanfte Korse mit stolzem Aufblitzen des Auges, »es war sogar ein ganz berühmter. Sechs Gensdarmen hat er niedergestreckt. Er starb mit Nicola Morali zusammen, als sie nach achttägigem Kampfe im Niolo umzingelt waren und beinahe vor Hunger umgekommen wären. – Das ist nun mal hierzulande nicht anders«, fügte er mit gleichgültigem Tone hinzu, ebenso wie er sagte: »Es ist die Luft im Tale, die einen erkältet.«
Sie kehrten hierauf zum Essen heim und die kleine Korsin behandelte sie, als ob sie schon seit zwanzig Jahren mit ihnen bekannt wäre.
Johanna wurde von peinlicher Unruhe gequält, ob sie auch in Julius’ Armen jene seltsame und heftige Liebe wiederfinden würde, die sie auf dem Moosteppich bei der Quelle am Morgen empfunden hatte.
Als sie allein im Zimmer waren, zitterte sie bei dem Gedanken an eine Enttäuschung. Aber es kam anders, und diese Nacht wurde im wahren Sinne des Wortes ihre Brautnacht.
Am anderen Morgen, als die Stunde der Abreise nahte, konnte sie sich kaum entschliessen, das kleine Haus zu verlassen, wo ihr ein neues Glück für sie aufgegangen zu sein schien.
Sie zog die kleine Frau ihres freundlichen Gastgebers ins Zimmer und versicherte ihr, dass sie ihr durchaus kein Geschenk machen wolle, sich aber glücklich fühlen würde, wenn sie ihr nach ihrer Rückkehr von Paris aus ein kleines Andenken schicken dürfte. Fast mit abergläubischer Hartnäckigkeit bestand sie auf der Übersendung dieses Andenkens.
Die junge Korsin sträubte sich lange und wollte absolut nichts annehmen.
»Nun gut«, sagte sie endlich, »schicken Sie mir eine kleine Pistole, eine ganz kleine.«
Johanna machte große Augen.
»Ich möchte meinen Schwager töten«, sagte sie ganz leise, ihr ins Ohr flüsternd, wie man Jemanden ein süsses Geheimnis anvertraut. Und unter fortwährendem Lächeln löste sie hastig die Binde von ihrem Arm und zeigte ihre runde weiße Hand, welche deutlich die Spuren von mehrfachen Dolchstichen aufwies.
»Wenn ich nicht ebenso stark wäre wie er, so hätte er mich umgebracht. Mein Mann ist nicht eifersüchtig; er kennt mich. Und zudem ist er krank, wissen Sie, und das lässt sein Blut nicht aufwallen. Übrigens bin ich eine ehrbare Frau, Madame! Aber mein Schwager glaubt alles, was man ihm sagt. Er ist eifersüchtig für meinen Mann und er wird sicher wieder von Neuem anfangen. Wenn ich indessen eine kleine Pistole hätte, wäre ich beruhigt und könnte mich vor ihm schützen.«
Johanna versprach, ihr die Waffe zu senden, küsste zärtlich ihre neue Freundin und setzte ihren Weg mit Julius fort.
Der Rest ihrer Reise verging ihnen wie ein Traum, wie ein endloser Liebesrausch. Sie hatte kein Auge mehr für Land und Leute; sie sah nur noch Julius.
Von nun an begann für sie jene kindliche liebliche Zeit der Liebeständelei, kleiner zarter Kosenamen, scherzhafter Neckereien, die Zeit, wo sie alles, was sie umgab und was sie genossen, mit einer besonderen Bezeichnung belegten.
Da Johanna auf der rechten Seite schlief, so war ihre linke Brust beim Erwachen zuweilen entblöst. Julius, der dies bemerkt hatte, nannte das den »Herrn Freischläfer«, während er die andere Seite als den »Herrn Verliebten« bezeichnete, weil dieselbe mit ihrer rosigen Knospe sich für seine Küsse empfindlicher erwies.
Jener Platz, wo Julius am liebsten und häufigsten bei ihr verweilte, wurde von ihnen »Mütterchens Allee« getauft; eine andere geheimnisvollere Stelle nannten