Название | Guy de Maupassant – Gesammelte Werke |
---|---|
Автор произведения | Guy de Maupassant |
Жанр | Языкознание |
Серия | Gesammelte Werke bei Null Papier |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783962817695 |
Obschon sie ihm den Rücken drehte, schloss er sie doch in seine Arme und küsste sie heftig auf den Nacken, wobei er die Bänder ihrer Nachthaube und den Spitzenbesatz ihres Hemdes zurückschob.
Selbst als sie bemerkte, wie seine Hand begierig nach ihrem Busen tastete, regte sie sich nicht, von einer entsetzlichen Furcht gelähmt. Sie atmete schwer unter dieser ungewohnten Berührung, bei der sie am liebsten aus dem Zimmer geflüchtet wäre, um sich irgendwo, fern von diesem Manne, einzuschliessen.
Er aber wich nicht von der Stelle. Sie fühlte die Wärme seines Körpers, sie bemerkte, wie er seine Zärtlichkeiten verdoppelte und schliesslich merkte sie, dass ihr doch nichts übrig bleiben würde, als sich umzuwenden und ihn wieder zu küssen.
Denn er begann bereits ungeduldig zu werden und sagte mit traurigem Tone:
»Sie wollen also nicht meine kleine liebe Frau sein?«
»Bin ich das denn nicht schon?« murmelte sie kaum hörbar.
»Nein, durchaus nicht,« antwortete er mit einem Anflug von Herbheit, »ich glaube, Sie halten mich zum Besten.«
Ganz ergriffen vom Ton seiner Stimme wandte sie sich plötzlich zu ihm um und bat ihn um Verzeihung.
Er nahm sie nun vollends in seine Arme und begann wie ein Rasender sie mit Küssen zu bedecken. Keine Stelle an ihrem ganzen Gesicht blieb von diesen heisshungrigen, verzehrenden, wütenden Küssen unberührt. Sie hatte die Hände zurückgezogen und ergab sich widerstandslos, ohne selbst zu wissen, was sie tat, seinen stürmischen Liebkosungen. Ein tiefer Schmerz durchdrang ihren Körper, sie begann zu seufzen und erwiderte lebhaft die Küsse, vor denen sie vorhin noch so sehr zurückgeschreckt war. Jetzt war sie Julius seine Frau.
Was dann noch geschah, entzog sich ihrem Gedächtnisse, ihr Bewusstsein war ziemlich geschwunden; nur dunkel erinnerte sie sich noch, wie ihr Julius einen langen innigen dankbaren Kuss auf die Lippen drückte.
Dann sprach er mit ihr und sie musste ihm antworten. Nach einiger Zeit begann er seine Zärtlichkeiten aufs Neue; aber sie sträubte sich voll Scham, und während sie seine Umarmung abwehrte, fühlte sie auf seiner Brust die dichten Haare, die sie schon vorhin an seinen Beinen gespürt hatte. Entsetzt drehte sie sich um.
Er schien es schliesslich leid zu sein, sich vergeblich mit ihr zu bemühen und blieb ruhig liegen.
Dann dachte sie nach. »Das also heisst seine Frau sein; das also, nur das!« und die tiefste Verzweiflung ergriff ihr Herz, als sie ihre Träume von innigster Zärtlichkeit so zerstört, ihre teuersten Erwartungen enttäuscht, ihr Glück vernichtet sah.
Lange lag sie so mit ihrem Schmerze da, während ihre Augen über die Stickereien an der Wand flogen, über die alte Liebesgeschichte, mit der das ganze Zimmer sozusagen bedeckt war.
Aber als Julius nichts mehr sprach und ganz regungslos dalag, wandte sie langsam ihren Blick zu ihm und bemerkte, dass er schlief. Er schlief mit halboffenem Munde, sein Antlitz zeigte einen ruhigen, zufriedenen Ausdruck. Er schlief also!
Sie konnte es kaum glauben; sie fühlte sich verletzt. Dieser Schlaf befremdete sie noch mehr als sein Ungestüm, sie fühlte sich rücksichtslos behandelt. Konnte er denn wirklich in dieser Nacht schlafen? Für ihn hatte also das, was zwischen ihnen vorgefallen war, nichts Aussergewöhnliches? Ach, sie hätte sich lieber noch schlagen lassen, so fühlte sie sich verletzt und entrüstet über die sonderbaren Zärtlichkeiten; und er schlief ganz ruhig danach.
Auf einen Ellenbogen gestützt schaute sie unbeweglich zu ihm herüber und horchte auf die tiefen Atemzüge, welche über seine Lippen kamen und schliesslich in ein ziemlich lautes Schnarchen übergingen.
Der Tag brach an, anfangs unbestimmt dämmernd, dann lichter, rosiger und endlich hellstrahlend. Julius öffnete die Augen, gähnte, streckte die Arme, sah seine Frau an und fragte lächelnd: »Hast Du gut geschlafen, mein Herz?«
Sie bemerkte, dass er jetzt »Du« zu ihr sagte und antwortete etwas verwirrt: »O ja, und Sie?«
»Ach, ausgezeichnet« sagte er. Und er wandte sich zu ihr und küsste sie; dann fing er ruhig an zu plaudern. Er setzte ihr seine Zukunftspläne auseinander und seine Ansichten über Sparen; letzteres Wort kam in seinen Ausführungen öfters vor und machte Johanna etwas erstaunt. Sie horchte auf seine Worte, ohne den Sinn richtig zu verstehen, sah ihn an, dachte an tausend vergangene Dinge, die ihm doch viel näher liegen mussten und ihn dabei gar nicht zu berühren schienen.
Es schlug acht Uhr.
»Jetzt müssen wir aber aufstehen«, sagte er, »man könnte sich sonst lustig machen, wenn wir so spät herunterkämen.«
Er stand zuerst auf. Als er seine Toilette beendet hatte, half er sorgfältig seiner Frau bei der ihrigen und duldete nicht, dass Rosalie gerufen wurde.
Schon im Begriff, herauszugehen, blieb er nochmals stehen:
»Wenn wir allein sind,« sagte er, »können wir uns schon duzen, weißt Du; aber in Gegenwart der Eltern wollen wir lieber noch etwas damit warten. Es macht sich von selbst, wenn wir von der Hochzeitsreise zurückkehren.«
Sie zeigte sich erst zur Stunde des Frühstücks.
Der Tag verlief im Übrigen, als hätte sich inzwischen nichts neues zugetragen. Nur eine Person mehr war im Hause; das war alles.
*
V.
Vier Tage später fuhr die Postkutsche vor, in der sie die Reise nach Marseille antreten wollten.
Nach dem Schrecken der ersten Nacht hatte Johanna sich schon mehr und mehr an das Zusammenleben mit Julius, an seine Küsse und zärtlichen Liebesbezeugungen gewöhnt, wenn auch ihr Widerstreben gegen intimere Beziehungen sich immer noch nicht verloren hatte.
Sie fand ihn sehr schön und gut; sie liebte ihn von Herzen. Im Ganzen fühlte sie sich glücklich und zufrieden.
Der Abschied war kurz und verlief ziemlich schmerzlos. Nur die Baronin schien bewegt. Im Augenblick der Abfahrt drückte sie eine große wohlgefüllte Börse ihrer Tochter in die Hände.
»Für Deine kleinen Nebenausgaben« sagte sie.
Johanna steckte die Börse ein und die Pferde zogen an.
»Wie viel hat Dir Deine Mutter in der Börse zugesteckt?« fragte Julius sie gegen Abend.