Das Ministerium für Sprichwörter. Otto Grünmandl

Читать онлайн.
Название Das Ministerium für Sprichwörter
Автор произведения Otto Grünmandl
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783709939321



Скачать книгу

Präsident Schmidbruch“, stellte er sich mit tiefer Verbeugung vor.

      Er hatte richtig kalkuliert. Mit freudigem Befremden reichten ihm beide Damen ihre Hände. Schmidbruch drückte auf jedwede einen warmen Kuß und warf ihren Besitzerinnen heiße Blicke zu. Dann setzte er sich nieder und rief den Kellner.

      Podesta, dem ob solcher Verwegenheit beinahe die Sprache ausblieb, beobachtete, wie Schmidbruch bei dem diensteifrigst herbeigeeilten Kellner eine kostspielige Bestellung machte. Die beiden Damen protestierten zaghaft. Dieses hochstaplerische Benehmen Schmidbruchs ärgerte Podesta ungemein.

      „Ich kann den Jungen einwickeln, und er frißt und säuft und macht sogar noch Weiberbekanntschaften auf meine“, er blickte zu Pizarrini hinüber und verbesserte sich, „auf seine Kosten.“

      Ich werde mich, dachte er weiter, von dem feinen Herrn und den beiden Schachteln da drüben nicht lumpen lassen. Was die können, kann ich schon lange. Er rief nun ebenfalls den Kellner, und während er Kaviarbrötchen und eine Flasche Sekt bestellte, blickte er triumphierend zu Schmidbruch hinüber. Schmidbruch deutete auf Pizarrini. Podesta verstand sofort. Besorgt fragte er Pizarrini, ob er denn nicht auch noch etwas essen wolle.

      Pizarrini schüttelte ganz leicht seinen Kopf und sagte so leise „Danke“, daß Podesta es kaum hörte.

      „Danke“, sagte Pizarrini zu dem Chauffeur, der, als Pizarrini aus dem Friedhof herauskam, schnell aus der von Schmidbruch zur Verfügung gestellten Sechzehn-Zylinder-Luxuslimousine gesprungen war und mit einladender Geste zu Pizarrini hin den Wagenschlag geöffnet hatte, „danke, ich werde zu Fuß gehen.“

      Vor Pizarrini ging eine tief verschleierte junge Frau.

      Eine innere Stimme sagte ihm, daß er sie kannte. Ein mächtiges, unbestimmtes Gefühl zog ihn in ihre Nähe. Er beschleunigte seine Schritte, um sie einzuholen. Je näher er ihr kam, um so mehr wurden seine Augen von ihren ihm sehr gefälligen hinteren Proportionen gefesselt. Er schalt sich darob einen ehrfurchtslosen Wüstling. Und plötzlich, er wußte nicht, wie ihm geschehen, war er schon in tiefem Gespräch mit ihr befangen.

      „Gnädigste kannten den Verstorbenen?“

      „Ob ich ihn gekannt habe, er war mein treuester Freund.“

      „Erzählen Sie! Ich war, Sie müssen wissen, bevor ich Oberbuchhalter der ISAG und Präsident Schmidbruchs rechte Hand wurde, Buchhalter in seinem Geschäft und habe ein menschliches Interesse an seiner Freundin.“

      „Ach, wissen Sie“, sagte sie mit einer seltsam unpersönlichen Stimme, die so unpersönlich klang, daß sie daraus schon wieder einen ganz spezifischen, persönlichen Reiz gewann, „in meinem Beruf macht man mit Männern fast nur schlechte Erfahrungen. Aber er! Er war die große Ausnahme. Er war ein Mann mit Bildung, mit Herzensbildung und Herzenstakt. Er hat mich außerhalb des Etablissements kennengelernt und hat mich auch nie darin besucht. Er wußte, wer ich bin. Ich habe es ihm nie verheimlicht.“

      Sie schlug ihren schwarzen Schleier zurück: Es war Tonschi.

      „Er hat mich deshalb nie verachtet“, fuhr sie fort, „ich weiß es bestimmt, er hat mich nie – auch nur eine Sekunde lang – verachtet. Bemitleidet – mag sein –, aber verachtet hat er mich nie; das weiß ich. Obwohl er mich seit damals, als ich es ihm sagte, gemieden und nie mehr gesehen hat.“

      Sie hielt inne, blieb stehen, drehte sich um und warf einen Blick auf den Friedhof zurück und sagte mehr zu sich selbst als zu Pizarrini, leise, mit einer Stimme, die keine Antwort zuzulassen schien: „Er war halt ein sehr bürgerlicher Mensch. Sie haben ja sein Begräbnis gesehen. Ein schwacher – vielleicht, wahrscheinlich sogar –, aber ein guter Mensch, ein wahrer Freund! Der einzige, den ich je besessen habe.“ Pizarrini schwieg. Endlich sagte er: „Das alles tut mir sehr leid für Sie, Fräulein Tonschi, aber glauben Sie mir, auch ich habe Sie nie verachtet.“

      „Ich weiß, aber bei Ihnen hat das andere Gründe. Sie verachten mich nicht, weil Sie meinen Beruf nicht verachten, und meinen Beruf verachten Sie nicht, weil er sich ordnen läßt. Er aber, er hat mich nicht verachtet, obwohl er meinen Beruf und alles, was damit zu tun hat, verabscheute. Er hat mich nicht verachtet, weil er das in mir achtete, was sich nicht ordnen läßt, was immer von neuem aufbricht und immer wieder an altem stirbt. Und überhaupt, Sie sind ein ganz anderer Mensch als er. Daß Sie so viel jünger sind, wäre noch das wenigste. Sie sind Oberbuchhalter der ISAG und die rechte Hand des Präsidenten Schmidbruch. Sie sind ein ganz anderer Mensch.“

      „Fräulein Tonschi, glauben Sie mir, ich würde …“

      „Ach, es hat keinen Sinn“, unterbrach sie ihn, „unsere Begegnung war von Anfang an verkehrt, sonst, wer weiß, vielleicht … adieu, Herr Pizarrini, adieu!“

      Sie stieg in eine gerade vorüberkommende Straßenbahn und fuhr davon.

      „Tonschi!“ rief er und wollte ihr nachspringen.

      Da kam aus einer Nebengasse plötzlich mit großem Tempo der Mordial 22 herausgebraust, und Pizarrini konnte sich gerade noch auf das Trottoir zurückretten.

      Die wilden Kinder winkten ihm mit bunten Fähnchen zu und schrien: „Wieder keine, wieder keine.“

      Er blickte der immer kleiner werdenden Straßenbahn nach, in welcher auf der hinteren Plattform die schwarz verschleierte Tonschi stand und ihm mit einem weißen Taschentuch zuwinkte, bis nichts mehr zu sehen war.

      11

      Wie immer, wenn er genügend Geld hatte und sich um die kleinen Notwendigkeiten des Lebens keine Sorgen zu machen brauchte, war auch diesmal in Podesta ein Gefühl der Leere. Nur daß dieses Gefühl diesmal noch stärker als gewöhnlich war. Wußte er nun doch mit Sicherheit, daß er bald noch viel, viel mehr Geld haben würde. Der Gedanke, daß es noch einige Tage bis zur Probevorführung dauern würde, bedrückte ihn. Was sollte er während dieser Zeit tun? Die zwei Roboter waren fertig. Er hatte lediglich noch die Sätze einzustellen, die er sie sprechen lassen würde; das war die Arbeit eines halben Tages. Dann war nichts mehr zu tun, war alles getan. Was für ein Nonsens, Freßrobots zu bauen. Mißmutig blickte er zu dem Pianino hinüber, hinter dem der Safe mit den Robots versteckt war. Präsident Schmidbruch hatte ihm äußerste Geheimhaltung auferlegt. Vom Pianino weg wandte er seinen Blick zum Fenster hin. Es war Neumond und die Nacht draußen stockdunkel.

      Ächzend zog er sich die Schuhe aus und feuerte sie unwillig in eine Ecke. Er wollte sich ausziehen und niederlegen, er wollte schlafen, am liebsten hätte er bis zur Probevorstellung durchgeschlafen. Aber er wußte genau, daß diese verdammte Leere in ihm ihn doch nicht schlafen lassen würde, und er haßte es, wach im Bett zu liegen und an die Decke zu starren.

      Er zog seine Socken aus und feuerte sie den Schuhen nach.

      Dann stieg er barfuß auf dem Teppich hin und her und bildete sich ein, über zartes Gras zu gehen. Er schloß die Augen, um sich dieser ihm sehr angenehmen Vorstellung noch stärker hingeben zu können. Er ging so lange auf dem Teppich hin und her, bis er mit der großen Zehe des linken Fußes an dem altmodischen Tisch anstieß, der in der Mitte des Teppichs stand. „Au! Verdammt!“ schrie er, faßte die sofort anschwellende Zehe mit beiden Händen und hüpfte vor Schmerz auf einem Bein quer durch das Zimmer.

      Endlich beruhigte er sich, setzte sich nieder und ließ die Zehe aus. Als er sie sah, erschrak er. Sie war mächtig angeschwollen. Er betrachtete sie lange und eingehend und sagte dabei zu wiederholten Malen: „Verdammte Schweinerei.“

      Dann stand er, nichts mehr von jenem Gefühl der Leere in sich verspürend, auf und humpelte zu der kleinen Kommode neben seinem Bett. Er zog die oberste Schublade heraus, entnahm ihr eine große Flasche und ließ sich damit ächzend und stöhnend auf sein Bett nieder. Dann legte er den linken Fuß über das rechte Knie und benetzte mit der in der Flasche enthaltenen Flüssigkeit die wehe Zehe.

      Podesta war außerordentlich wehleidig. Jedesmal, wenn er mit dem Wattebauschen an der Zehe