Das Ministerium für Sprichwörter. Otto Grünmandl

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Название Das Ministerium für Sprichwörter
Автор произведения Otto Grünmandl
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783709939321



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und, wer weiß, vielleicht wäre das Volk mit mir besser gefahren als mit all den anderen, die im Grunde genommen nur meinen Platz einnehmen.

      Wenn die Sache mit den Freßrobots nur halb so gelingt, dachte er weiter, wie ich es mir vorstelle, schmeiße ich die Brüder hinaus. Voll Mißmut erinnerte er sich an einige Aufsichtsräte, die ihm in letzter Zeit hart zugesetzt hatten.

      Wenn die einmal etwas weniger bekommen, wollen sie einen am liebsten gleich umbringen. Pah, er würde es ihnen zeigen. Er war sechzig vorüber, aber für einen Mann wie ihn war das kein Alter. Hatte er nicht eben erst vor wenigen Minuten noch einen Kopfstand gemacht? Das sollte ihm doch einer von diesen Fettnäpfen nachmachen.

      „Kujonieren lasse ich mich nicht“, brummte er vor sich hin, „ich werfe ihnen alles hin, dann sollen sie sehen, wie sie weiterkommen.“

      Wozu, plötzlich überfiel ihn wieder das alte Mißtrauen gegen Podesta, wozu, dachte er, lasse ich mich denn überhaupt mit so einem Menschen ein? Habe ich das notwendig? Ach was, andere Gedanken, andere Gedanken, signalisierte er sich, andere Gedanken. Er faßte einen jähen Entschluß, packte einen Vorübergehenden bei der Schulter und hielt ihn fest.

      Der Festgehaltene, ein junger Mann von vielleicht vier-oder fünfundzwanzig Jahren, wollte aufbegehren. Aber bevor er noch ein Wort sagen konnte, fragte ihn schon Schmidbruch mit der Zudringlichkeit eines hartgesottenen Reporters: „Wie werden Sie wählen?“

      Jetzt erst sah der Befragte Schmidbruch genauer an.

      „Herr Präsident“, sagte er bestürzt und blickte Schmidbruch entgeistert an.

      „Woher kennen Sie mich?“

      „Ich bin Subportier im Präsidium, Herr Präsident.“

      „Was machen Sie dann hier?“

      „Ich habe heute dienstfrei, Herr Präsident.“

      Schmidbruch ließ ihn los und nickte ihm freundlich zu. Der junge Mann entfernte sich mit großer Hast. Schmidbruch ging weiter. „Gemeindepolitik“ las er auf einem der Plakate, „Gemeindepolitik ist Arbeit“. Auf einem anderen Plakat stand: „Wählt nicht Parteien, wählt Persönlichkeiten“.

      Ausgezeichnet, dachte Schmidbruch, Persönlichkeiten, das ist es, was uns heutzutage fehlt. Aus dem Aquarium in der Auslage eines Delikatessengeschäftes glotzte ihn ein Karpfen an.

      „In der Politik fehlt“, murmelte er vor sich hin und starrte in die Auslage.

      Neben dem Aquarium lagen gerupfte Hähnchen, tiefgefroren und kunstvoll aufeinandergeschichtet. Eine Verkäuferin im weißen Mantel und eine dicke Frau mit einer großen Einkaufstasche traten von hinten an die Auslage. Die Frau zeigte mit dicken Wurstfingern auf eine der in dem Aquarium ruhelos hin und her schwimmenden Forellen. Die Verkäuferin fischte die Forelle mit einem kleinen Netz heraus, wickelte sie in ein weißes Tuch und trug sie nach hinten. Die Frau folgte ihr gemächlich nach.

      Schmidbruch drehte sich angewidert um und ging weiter. Bald darauf kam er an einer kleinen Kneipe vorbei, die noch von der Art war, wie sie in seiner Jugend sehr modern gewesen war und die man jetzt fast nirgends mehr sah.

      „Mal hineinschauen“, sagte er sich, zögerte dann aber und schämte sich dann beinahe, als er schließlich doch eintrat. Ihm war zumute, als mache er etwas Unerlaubtes, etwas für einen Präsidenten ganz und gar Ungehöriges. Er setzte sich an einen der kleinen, runden Marmortische und verlangte einen Magenbitter. Er blickte sich um. Außer ihm waren noch drei Männer hier, die an einem weiter entfernten Tisch saßen, und ein junger Bursche, der an der Bar stand, in einer Illustrierten blätterte und gleichzeitig unaufhörlich auf die Kellnerin einredete.

      Die schätzungsweise vierzigjährige Frau, die bediente, war mittelgroß, schlank, hatte schwarzes Haar, ein hageres, grobknochiges Gesicht und einen trippelnden Gang, den Schmidbruch als nervenaufreibend empfand. Offenbar hieß sie Philomena, denn so wurde sie jetzt von einem der drei Männer gerufen. Schmidbruch hatte den Eindruck, als hätte sich in dem Lokal während der letzen dreißig, vierzig Jahre überhaupt nichts geändert. Er nippte an dem Magenbitter, kostete, nickte befriedigt, stürzte das ganze Glas hinunter und bestellte bei Philomena einen neuen. Dieser Vorgang wiederholte sich noch einige Male. Die drei Männer an dem Tisch in der anderen Ecke sprachen allem Anschein nach von den bevorstehenden Gemeindewahlen. Manchmal erregte sich der eine oder andere von ihnen und sprach lauter, so daß Schmidbruch dann und wann Brocken ihres Gespräches verstehen konnte. Dieser Umstand verlieh ihrem Gespräch das Gepräge eines gespenstischen, litaneienhaften Gebrabbels, aus dessen dumpfer Unverständlichkeit da und dort ein paar Brocken wortverständlichen Unsinns herausragten. Aber auch der Junge an der Bar, der unaufhörlich auf die Kellnerin einredete, und diese selbst – hinter der Bar stehend und Gläser wischend und immer wieder dem Jungen zunickend, als wolle sie damit verhindern, daß er zu reden aufhöre – machten auf Schmidbruch einen seltsam unwirklichschemenhaften Eindruck.

      Die grauweißen Platten der Marmortische leuchteten wie phosphoreszierende Schimmelflecken durch das muffige Zwielicht des schäbigen Lokals und übten eine merkwürdig beruhigende Kraft auf ihn aus, die ihn weit von allem distanzierte, was ihn vor wenigen Minuten noch so heftig beunruhigt hatte. „Jawohl, so und nicht anders“, schrie einer der drei, und fast im selben Augenblick ließ ein anderer mit lautem Getöse einen fahren. Die drei brachen in wieherndes Gelächter aus. Sie brüllten vor Lachen, daß sie rote Köpfe bekamen.

      „Schweine“, sagte die Kellnerin ganz laut zu sich selbst. Der Junge, unberührt von allem, redete unaufhörlich weiter.

      „So und nicht anders“, mit unter Lachen erstickender Stimme ließ wieder einer einen fahren. Ihr brüllendes Lachen ging in ein an- und abschwellendes Wimmern über, das sie vollends zu übermannen drohte.

      Als Schmidbruch dann auf die Straße trat, war er überrascht, daß draußen Tag war und der Verkehr an der unscheinbaren Tür der Kneipe vorbeiflutete, als wäre hinter dieser Tür nichts.

      Schmidbruch wußte es besser. Da waren drei Männer hinter dieser Tür, die über einen Furz lachten, eine Kellnerin, die sich darüber ärgerte, ein junger Mann, den irgend etwas so bewegte, daß er unaufhörlich redete. Schmidbruch winkte einem Taxi und fuhr ins Präsidium zurück. Er war jetzt ganz ruhig geworden und hatte sich entschlossen, das Projekt auch dann weiterzuverfolgen und durchzuführen, wenn die erste Probevorführung mißlingen sollte.

      Schmidbruch begann die Erzählung Podestas langweilig zu werden. Ein kurzer, prüfender Blick auf den Podesta unentwegt ins Gesicht starrenden Pizarrini überzeugte ihn von dessen für den Rest dieser Nacht sichergestellten Ungefährlichkeit. Beruhigt wandte er sich ab und hielt nach anderen Gelegenheiten Ausschau.

      Am Nebentisch saßen zwei ältere Damen. Sie blätterten geräuschvoll in Illustrierten, lutschten Bonbons, die sie einem gelben Porzellanschüsselchen auf ihrem Tisch entnahmen, tranken Schokolade. Eine rauchte mit einem langen, schwarzgoldenen Spitz eine Zigarette, die andere hob ab und zu ein silbernes Lorgnon vor ihre Augen und betrachtete damit verschiedene Bilder in der Illustrierten besonders eindringlich. Dann und wann zeigten sie einander Bilder aus den Illustrierten und wechselten ein paar Worte dabei.

      „Ach, sehen Sie doch, Frau Oberoffizial, ist das nicht wahnsinnig blödsinnig?“

      „Ich weiß nicht, meine Beste, ich finde es eigentlich irrsinnig aufregend.“

      „Ich finde, das ist einmal wirklich ein guter Schnappschuß.“

      „Ständig diese nackten Weiber, das gehörte eigentlich verboten.“

      „Frau Oberoffizial, ich meine doch das Bild von der Hinrichtung. Sie glauben doch nicht, daß ich diesem Fleischberg etwas abgewinnen könnte.“

      „Ach so, das meinten Sie, lassen Sie mich doch nochmals sehen, tatsächlich, wahnsinnig komisch, wie der seine Hände vorstreckt, ach, sehen Sie nur, was für dreckige Hosen der daneben anhat, fürchterlich!“

      „Die Leute haben doch