Wut und Wellen. Peter Gerdes

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Название Wut und Wellen
Автор произведения Peter Gerdes
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783839264706



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wurden sie gestört und machten sich davon.«

      »Ohne Wallmann die 6.000 Euro abzunehmen?« Kramer wiegte zweifelnd den Kopf.

      »Wie auch immer.« Stahnke zuckte die Schultern. »Auf jeden Fall war Wallmann offenkundig über Jahre als Versicherungsbetrüger aktiv. Also wird man ihn in den einschlägigen Kreisen auch kennen. Eine Meinung über ihn haben. Bloß, wie kommen wir in diese Kreise hinein? Kontakte habe ich jedenfalls keine. Da werden wir wohl die Kollegen vom Fachkommissariat zwo um Unterstützung bitten müssen.« Er streckte schon seine Hand nach dem Telefon aus, da kam ihm eine andere Idee. »Wir wollten uns doch zunächst einmal mit Wallmanns Ex-Freundinnen befassen«, sagte er, zu Kramer gewandt.

      Kramer antwortete nicht. Wenn man von ihm eine Antwort wollte, musste man ihm schon eine richtige Frage stellen.

      »Da könnten wir doch gleich zwei Fliegen mit einen Klappe schlagen«, fuhr Stahnke also selbst fort. »Wie heißt doch gleich die Dame, die im letzten Bootsdiebstahlsfall als Geschädigte aufgetreten ist? Das dürfte ja wohl eine seiner Exen sein.« Er blätterte in den Kopien. »Aha, hier. Alina Thormählen. Mit der werden wir uns als erstes einmal unterhalten.«

      Dann grinste er breit. »Schau an«, sagte er, »was für ein Zufall. Die Dame wohnt auf Langeoog.«

      9.

      »Zurücktreten«, psalmodierte Lüppo Buss monoton. »Bitte weitergehen. Hier gibt es nichts zu sehen.«

      Das war natürlich glatt gelogen. Die Küche des Hotels Insulaner sah spektakulär furchterregend aus. Natürlich nicht zuletzt wegen der Zerstörungen, die die Explosion angerichtet hatte, vor allem aber wegen des Inhalts des betroffenen Kühlschranks. Das servierfertige Obst war zerfetzt und durch den ganzen Raum geschleudert worden. Gelbe Ananasfetzen, roter und weißer Melonenbrei, zermatschte Erdbeeren und grünliche Kiwifragmente klebten überall, tropften von der Decke, glibberten die Wände hinab und wabbelten auf Herd und Arbeitsplatten. Die Gesamtwirkung war von geradezu künstlerischer Grausigkeit, wie sie auch ein Joseph Beuys mit viel Mühe nicht überzeugender hätte hinbekommen können. Zudem hatten die Schwingtüren, die die Küche zum Speisesaal hin begrenzten, etwas abbekommen und schlossen nicht mehr, so dass die Neugierigen freies Blickfeld hatten. Vielmehr: gehabt hätten, wären da nicht Lüppo Buss und seine Kollegin Insa Ukena gewesen.

      »Bleiben Sie zurück. Bitte gehen Sie weiter. Hier gibt es nichts … hallo? Hören Sie mich?« Insa Ukena tat sich mit der Dickfelligkeit einiger Hotelgäste sichtlich schwer. Lüppo Buss kam ihr zu Hilfe, breitete seine kräftigen Arme aus und gab seiner Kollegin Deckung. »Schauen Sie mal, da vorne gibt es Gutscheine für die umliegenden Cafés, dort können Sie heute umsonst Frühstück bekommen. Ich weiß allerdings nicht, ob auch genügend für alle da sind.«

      Das half. Endlich begann die drängelnde Menge abzudriften, ließ sich dorthin dirigieren, wo zwei schwitzende Küchenhilfen improvisierte Gutscheine gegen Nennung der Zimmernummer austeilten. Thormählen stand direkt hinter seinen Angestellten und kontrollierte mit gesträubten Augenbrauen über zuckender Adlernase, ob die Belegungsliste auch korrekt abgehakt wurde und sich hier kein Unbefugter ein Gratisfrühstück erschlich. Lüppo Buss war wieder einmal froh, Beamter geworden zu sein.

      »Na, müsst ihr hier niedere Dienste verrichten? Solltet ihr nicht lieber die Ermittlungen vorantreiben?«, grollte es von oben herab. Der Inselpolizist legte den Kopf in den Nacken. Doktor Fredermann hatte leicht reden. Für einen Menschen seiner Körperlänge war jede Tätigkeit, die er nicht gerade selbst verrichtete, eine niedere. Außerdem hatte der Mediziner einen wunden Punkt getroffen. Nun ja, was sollte man anderes erwarten?

      »Was gibt’s da zu grinsen?«, knurrte Fredermann weiter. »Immerhin wurde ein Mensch verletzt! Und ihr steht hier herum. Meint ihr, der Bombenleger macht so lange Pause, bis ihr mal Zeit für ihn habt?«

      »Ich nicht.« Lüppo Buss verhakte seine Finger auf dem Rücken und wippte auf den Fußballen. »Der, der das meint, heißt Dedo de Beer.«

      Insa Ukena schickte ihm einen warnenden Blick herüber. Sie nahm es mit der dienstlichen Verschwiegenheit noch ziemlich genau. Kramer hatte wohl ein bisschen auf sie abgefärbt, dachte Lüppo Buss. Dabei wusste doch jeder, wie der Leitende Ermittler des zuständigen Fachkommissariats in Wittmund hieß.

      »Ach«, sagte Fredermann, »kommt er rüber?« Sein Gesicht nahm einen mitleidsvollen Ausdruck an.

      »Soll wohl«, murmelte der Inselpolizist und drehte sich weg. Mitleid konnte er überhaupt nicht vertragen. »Der dürfte mittlerweile schon auf der Fähre sitzen. Oder in der Inselbahn.«

      Insa knuffte ihn heftig in die Rippen, aber der Oberkommissar zuckte nur die Achseln. Ein paar Minuten noch, dann wusste es ohnehin jeder. Dass Lüppo Buss nur ein Platzhalter war, gerade gut genug, um Betrunkene zur Ordnung zu rufen, geklaute Fahrräder zu suchen oder schwachsinnige Anzeigen wegen dünnschissverursachender Marmelade entgegenzunehmen. Aber wenn mal etwas Richtiges passierte, so ein Ding wie dieses hier, dann war der Inselpolizist natürlich eine Nummer zu klein. Dann musste jemand anderes her, einer mit mehr Ahnung und Kompetenz. Ein richtiger Polizist eben. Wütend trat Lüppo Buss gegen die Zarge der demolierten Schwingtür.

      »He, spinnst du?«, zischte Insa. »Hast du vergessen, weshalb wir hier herumstehen?«

      Nein, hatte er nicht. ›Tatort sichern, alles absperren, sonst nichts‹, hatte de Beer am Telefon geschnauzt. ›Wir machen das. Ihr fasst nichts an, verstanden?‹ Am liebsten hätte Lüppo Buss gefragt, ob man denn den Verletzten vielleicht wieder an Ort und Stelle hinlegen solle, am besten blutend, wie er vorgefunden worden war. Aber dann hatte er sich doch auf die Zunge gebissen. De Beer hatte bei den letzten beiden größeren Fällen auf Langeoog, die Lüppo Buss zusammen mit Stahnke und zuletzt auch mit Insa Ukena erledigt hatte, schlecht ausgesehen – offenbar war er nachtragend. Ihn zu reizen, würde nur noch mehr Ärger bringen.

      »Wie geht es denn eigentlich dem kleinen Jannik Bartels?«, fragte Insa Ukena, als hätte sie die sarkastischen Gedanken ihres Kollegen gelesen. »Ist er schon wieder bei Bewusstsein?«

      Fredermann nickte. »Gut geht es ihm, wenn man’s bedenkt. Hat wirklich unverschämtes Glück gehabt. Ich meine, wenn so eine Sprengladung explodiert – da können Splitter wirklich üble Löcher reißen, auch wenn es nur Porzellansplitter sind. Zerfetzte Schlagadern, perforierte innere Organe und so. Aber nee, nichts davon. Nur ein paar Lackschäden, ich meine, leichte Verbrennungen und Schnittwunden. Genau genommen bessere Kratzer. Damit muss er nicht einmal lange krankfeiern.«

      »Na, da wird sich sein Chef ja freuen, dass der Jannik das geklaute Boot weiter abarbeiten kann«, höhnte der Oberkommissar lautstark. Aus den Augenwinkeln aber erkannte er, dass seine Provokation ins Leere fiel, da sich die Traube der hungrigen Hotelgäste inzwischen verlaufen hatte, und mit ihnen war auch Hotelbesitzer Thormählen verschwunden.

      »Wie kann es denn sein, dass der Jannik so glimpflich davongekommen ist?«, fragte Insa Ukena. »Ich meine, er stand im Moment der Detonation doch genau vor dem offenen Kühlschrank. Da müsste er doch mehr abbekommen haben.«

      Fredermann wiegte den Kopf. »Wenn – dann. Das sehe ich auch so«, antwortete er kryptisch. »Aber wenn nicht, dann nicht.«

      Lüppo Buss und Insa Ukena stemmten beide die Fäuste in die Hüften, vorwurfsvoll und synchron wie ein altes Ehepaar. Fredermann hob abwehrend die Hände. »Schon gut, schon gut! Ich erkläre mich ja schon. Obwohl – für unbewiesene Hypothesen bin ich genau genommen ja nicht zuständig.« Er grinste spitzbübisch: »Dafür habt ihr doch Spezialisten.«

      »Aber Stahnke ist nun einmal nicht hier«, erwiderte der Oberkommissar, ohne eine Miene zu verziehen, »und einer muss es ja machen. Also los.«

      »Wenn’s unter uns bleibt.« Fredermann zwinkerte ihm zu. »Ich habe ja den kleinen Koch verarztet, ich meine, die Erstversorgung vorgenommen. Da war er schon wieder bei sich. Und der Schock war auch nicht allzu groß, er konnte sich also ziemlich genau an den Ablauf erinnern. Also, der Kleine sagt, als er den Kühlschrank heute früh aufgemacht hat, hätte es zuerst so etwas wie eine Feuerwolke gegeben. Die eigentliche Detonation erfolgte erst ein bisschen