Wut und Wellen. Peter Gerdes

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Название Wut und Wellen
Автор произведения Peter Gerdes
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783839264706



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Es gibt sehr kräftige Frauen. Und manche haben auch einen Bootsführerschein.«

      Kramer zuckte die Achseln und äußerte sich nicht weiter dazu. Recht hat er, dachte Stahnke. Lauter zwecklose Spekulationen. Befassen wir uns doch erst einmal mit den Fakten.

      Sie standen auf dem breiten Schwimmsteg, dort, wo der Stichsteg abzweigte, der den Liegeplatz von Wallmanns Boot seitlich begrenzte. Eine Böe kräuselte das Wasser im Hafenbecken, das nun wieder gut gefüllt war, und ließ die Bäume rauschen. Der Steg erzitterte leicht.

      »Wieso eigentlich Waldemar?«, fragte Stahnke. »Waldemar. Wer heißt denn heute noch so.«

      »Fußballreporter«, antwortete Kramer ungerührt.

      »Na gut. Aber jüngere und mittlere Jahrgänge? Doch wohl kaum.«

      »Wallmann war Russlanddeutscher«, erklärte Kramer. »Seine Eltern wollten ihre Abstammung wohl besonders deutlich machen. Der Junge musste es ausbaden.«

      Stahnke zog seine Augenbrauen zusammen und musterte seinen Kollegen scharf. Sollte das gerade etwa mal wieder eine Anspielung sein? Auch Stahnkes Eltern waren besonders stolz auf ihre Herkunft gewesen, die ostfriesische nämlich, und hatten ihm einen Vornamen aufgehalst, der ihm bis heute hochnotpeinlich war.

      Kramer schaute nicht zurück. Genau genommen schaute er nirgendwo hin. »36«, murmelte er leise.

      »Bitte wie?«

      »Die Anzahl der Messerstiche«, sagte Kramer leise und schleppend. »Sie entspricht genau dem Alter des Opfers. 36.« Jetzt hob er den Blick und fixierte seinen Vorgesetzten. »Eigenartig, nicht?«

      »Worauf willst du hinaus? Auf einen durchgeknallten Strickmusterkiller?« Stahnke schaubte. »Jetzt spinnst du aber, mein Lieber.«

      Kramer antwortete nicht.

      Wieder lief ein leichtes Zittern durch den schwimmenden Steg, begleitet von einem trockenen Pochen. Hier war ein Boot nicht richtig festgemacht, und es drohten Lackschäden. Stahnke war zu sehr Segler, um das zu ignorieren, und blickte sich suchend um.

      Es war das Boot in der Box neben Wallmanns Stichsteg, ein etwas mehr als sechs Meter langer, trailerbarer, teuer wirkender Daycruiser, anscheinend neuwertig. Wallmanns Boot sah vermutlich ganz ähnlich aus. Das luxuriöse Ding dümpelte hin und her, hatte eindeutig zu viel Bewegungsfreiheit und schlug immer wieder mit seiner glänzenden Bordwand gegen die Stegkante. Nicht mehr lange, und die Gelcoatschicht würde Schaden leiden, denn die beiden Fender hingen so, dass sie keinen Schutz boten. Warum hatte der Hafenmeister das denn noch nicht bemerkt?

      Das Boot war mit zwei Achterleinen und einer Spring gesichert, ganz zünftig. Vorne aber war nur eine Leine fest. Der zweite vordere Festmacher, der das Boot eigentlich auf Abstand zum Steg hätte halten sollen, hing schlaff aus der Klampe ins Wasser hinab. Jemand hatte ihn vom Stegpoller losgemacht.

      »Wart ihr das? Ich meine, die Spusi?«, fragte Stahnke.

      Kramer schüttelte den Kopf.

      »Dann ruf die Kollegen am besten noch einmal her«, sagte Stahnke.

      5.

      »Letzte Nacht? Und wann genau?« Lüppo Buss schaute den jungen Mann auf der anderen Seite seines Schreibtisches streng an. Dessen ohnehin schon stark gerötete Segelohren wurden noch um eine Nuance dunkler, und seine schmächtige Gestalt drückte sich in das dünne Stuhlpolster, als suchte sie darin Deckung.

      »Irgendwann zwischen 23.30 und 4 Uhr morgens«, antwortete Jannik Bartels kleinlaut und schuldbewusst. »Genau weiß ich’s nicht, wir waren ja alle in Esens in der Disse.«

      »Wo waren Sie, bitte?«

      »In der Discothek.« Der junge Koch rollte die Augen, und zwischen seinen Sommersprossen strebten die Mundwinkel nun doch leicht auseinander: »Wissen Sie, das ist so ein Laden, in dem sie Musik von der Platte …«

      »Willst du mich verscheißern?«, polterte Lüppo Buss los. Und fand seine eigene Frage sinnlos, denn natürlich war es das, was der arme Kerl wollte. Der Oberkommissar war sogar bereit, ihm das zu verzeihen; bestimmt hatte ihm Thormählen, sein Chef und zugleich der Besitzer des abhanden gekommenen Bootes, schon fürchterlich den Kopf gewaschen, ehe er ihn ins Polizeibüro an der Kaapdüne schickte, um Anzeige zu erstatten. Aber natürlich musste der Inselpolizist seine Autorität wahren. Außerdem wurmte es ihn, dass ihn dieser grüne Junge offenbar für einen senilen Tattergreis hielt.

      Jannik Bartels hob abwehrend beide Hände. »Um Himmels willen … sollte doch bloß … ich meine, war doch nicht bös …«, stammelte er.

      Hoffentlich sind seine Menüs besser durchdacht als seine Sätze, dachte Lüppo Buss, während er so tat, als regte er sich langsam ab. Man erzählte sich ja wahre Wunderdinge von Thormählens neuem Restaurant, das am Wochenende eröffnet werden sollte. Allerdings nicht nur von den Speisen, sondern auch von den Preisen. Ob er es sich überhaupt leisten konnte, seine Nicole dorthin auszuführen? Verdient hatte sie es ganz sicher, dass er ihr mal etwas Besonderes bot. Nur wollte er sich dafür nicht gleich finanziell ruinieren. Und außerdem: Was konnte das für eine Küche sein, in der die Köche dermaßen dünn waren? »Nouvelle Cuisine«, wo man nach einem fünfgängigen Menü mit knurrendem Magen aufstand?

      »Ist schon gut«, sagte der Inselpolizist beschwichtigend. »Eine Wache habt ihr also nicht an Bord gelassen? So, wie man das eigentlich macht, wenn man ein Boot an einer unbewachten Stelle zurücklässt? Zumal so ein wertvolles, der Beschreibung nach?«

      Der Koch starrte Lüppo Buss an und breitete hilflos die Hände aus. Offenbar hatte er von solchen Gepflogenheiten noch nie zuvor gehört.

      »Na gut.« Der Oberkommissar schüttelte den Kopf. »Ich leite die Anzeige weiter nach Wittmund, die sind dafür zuständig. Eine Beschreibung des Bootes geht umgehend raus. Die Kollegen werden sich in allen einschlägigen Jachthäfen und Marinas umschauen oder zumindest nachfragen. Die Hafenmeister wissen ja immer am besten, wenn irgendwo fremde Boote auftauchen.« Demonstrativ klappte er seinen Notizblock zu. Für ihn war das Gespräch beendet.

      Der Koch aber zögerte noch. »Was meinen Sie, wann … ich meine, wie sind denn die Chancen, dass das Boot wieder auftaucht?«

      Lüppo Buss zuckte die Achseln. »Falls es bloß ein Dumme-Jungen-Streich war, wenn sich also jemand das Boot nur für eine Spritztour ausgeliehen hat, dann wird es sicher schnell gefunden werden. Die Frage ist dann nur, in welchem Zustand. Aber wenn es sich hier um einen planvollen Diebstahl gehandelt hat, dann, schätze ich, ist das gute Stück futsch. Es sei denn, der Autobahnpolizei gelingt noch ein Zugriff.«

      Jannik Bartels’ Augen rundeten sich noch mehr. »Autobahn …?!«

      Lüppo Buss schüttelte den Kopf; diesmal fiel es ihm nicht schwer, milde zu bleiben. »Professionelle Bootsdiebe schippern nicht mal eben in der Gegend rum. Die packen ihre Beute auf einen Trailer, und dann ab dafür, so schnell es geht. Zum Abnehmer. Meistens Richtung Osten.« Der Inselpolizist wusste das auch erst seit Kurzem. Während einer verordneten Fortbildungsmaßnahme hatte er sich einen Vortrag ausgesucht, dessen Thema ihm am wenigsten weltfremd vorgekommen war. Aber das ging den kleinen Koch hier ja nichts an.

      Jannik Bartels verabschiedete sich und ging. Lüppo Buss blieb gerade genug Zeit, seine Meldung nach Wittmund abzusetzen, da öffnete sich die Tür zu seinem Büro bereits wieder. Eine Frau mit hennarot gefärbten Haaren erschien; sie trug ein erdbeerrotes Top, einen scharlachroten Wickelrock um die ausladenden Hüften, eine magentarote Umhängetasche und einen himbeerrosa Sonnenbrand auf den Schultern. Lüppo Buss hatte ein deutliches Déjà-vu-Gefühl, das er jedoch nicht zuordnen konnte.

      Er begrüßte die Besucherin und nickte ihr aufmunternd zu.

      »Ich will mich beschweren«, sprudelte die Frau los, ohne den Gruß zu erwidern. »Das ist ja lebensgefährlich, also echt, unglaublich. Mein Hermann ist die ganze Nacht nicht vom Lokus runtergekommen. Total schlecht geht es ihm. Und jetzt traut er sich immer noch nicht vor die Tür. Dabei haben wir doch nur eine Woche gebucht, mehr Urlaub hat Hermann nicht gekriegt, weil, der Laden brummt