Wut und Wellen. Peter Gerdes

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Название Wut und Wellen
Автор произведения Peter Gerdes
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783839264706



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      »Nun ja.« Fredermann verschränkte seine langen Finger und ließ die Gelenke knacken, dass die beiden Polizeibeamten zusammenzuckten. »Eine Idee hätte ich schon. Wisst ihr, als ich jung war, war ich ein ziemlicher Pyromane. Habe alles Mögliche in die Luft gejagt, draußen in den Dünen, ohne dass jemand dahintergekommen wäre. Unkraut-Ex in Wasser aufgelöst, Zeitungspapier damit getränkt, getrocknet, aufgerollt und in Rohrstücke gesteckt – Krawumm! Ich kann euch sagen, das waren echte Granaten, die ich damals gebastelt habe, im wahrsten Wortsinne. Danach würden sich heute die Islamisten alle Finger lecken.« Er hob seine Hände hoch: »Ein Wunder, dass ich meine Finger alle noch habe.«

      »Eine Bombe aus Unkrautvertilgungsmittel?«, fragte Insa Ukena. »Klingt nicht gerade nach einer Präzisionswaffe.«

      »Wie man’s nimmt«, erwiderte Fredermann. »Wenn ihr nichts dagegen habt, kann ich ja mal gucken. Ich ziehe auch die hier an.« Er zupfte ein Paar Latexhandschuhe aus der Jackentasche und begann, sie über seine Finger zu streifen.

      Insa Ukena hob abwehrend die Hand und öffnete den Mund, aber Lüppo Buss kam ihr zuvor. »Nur gucken, nicht anfassen«, mahnte er. »Und nirgendwo drauftreten. Hier liegt überall Obstmatsch herum.«

      Fredermann tat, wie ihm geheißen, und stelzte wie ein Storch auf den deformierten Kühlschrank zu, den Inselpolizisten auf seinen Fersen, während Insa Ukena den Eingang im Auge behielt. Die Kühlschranktür war halb aus den Scharnieren gerissen. Der Arzt musterte sie ausgiebig, ehe er sich dem Kühlschrankkorpus zuwandte. »Dachte ich’s mir doch«, murmelte er vor sich hin. Dann beugte er sich vor und streckte seinen Kopf ins Innere des verwüsteten Behältnisses, so weit es ging, ohne irgendetwas zu berühren. »Nicht zu fassen«, erklang es dumpf zwischen Früchtemus und Porzellanscherben.

      »Na los, Bericht!«, verlangte Lüppo Buss ungeduldig.

      Fredermanns Kopf tauchte wieder auf. »Pass auf«, sagte er und wies mit langem Latexfinger auf eine Stelle der Kühlschrankdichtung, ohne sie zu berühren. »Siehst du das? Hier hat jemand etwas hindurchgebohrt. Eine Hohlnadel, eine feine Düse, irgendwas in der Art. An der Tür ist eine ähnliche Marke, genau auf gleicher Höhe. Der Täter hat darauf geachtet, die Dichtung nicht so stark zu beschädigen, dass sie etwa undicht geworden wäre. Das konnte er nämlich nicht gebrauchen.«

      »Warum?«

      »Wart’s doch ab!« Als nächstes zeigte Fredermann auf die Innenbeleuchtung des Kühlschranks. »Hier, die Lampenverkleidung fehlt, die Glühbirne ist kaputt, der Glühfaden durchgebrannt. Siehst du das?«

      »Klar«, antwortete der Inselpolizist. »Ist ja auch kein Wunder nach solch einer Explosion.«

      Fredermann grinste. »Schon mal etwas von Ursache und Wirkung gehört? Die beiden verwechselst du nämlich gerade. Siehst du da drinnen irgendwo Glassplitter? Oder Überreste der Lampenverkleidung?«

      »Nö. Liegt vermutlich alles hier draußen auf dem Boden, von der Explosion aus dem Schrank herausgefegt.« Lüppo Buss neigte den Kopf ein wenig zur Seite. »Obwohl – ein paar Reste müssten drinnen eigentlich noch liegen. Von dem übrigen Inhalt ist ja auch noch etwas da. Könnte es sein, dass jemand …«

      »Genau!« Fredermann klopfte dem Oberkommissar anerkennend auf die Schulter. »Verkleidung ausgebaut und weggeworfen, Birne herausgeschraubt, Glas entfernt, ganz vorsichtig, um den Glühdraht nicht zu beschädigen, Birne wieder hineingeschraubt. Oder noch wahrscheinlicher: Der Täter hat die Originalbirne gegen eine entsprechend präparierte ausgetauscht.«

      »Aber ohne Glas brennt die doch sofort durch!«

      »Kein Problem. Vorher Stecker ziehen!« Fredermann hatte sich jetzt offenbar völlig in den Attentäter hineinversetzt. »Dann Kühlschranktür fest schließen. Hohlnadel oder Düse durch die Dichtung einführen. Gas in den Kühlschrank strömen lassen, vermutlich Propan, gibt es überall zu kaufen. Gerade so viel, dass eine explosive Mischung aus Gas und Luft entsteht. Dazu gehört Erfahrung! Dann die Nadel wieder raus, sich vergewissern, dass die Dichtung auch dicht hält, notfalls ein wenig Silikon auf den Einstich schmieren. Danach den Stecker wieder in die Dose. Sobald nun einer den Kühlschrank öffnet, geht automatisch die Lampe an, der nackte Glühdraht brennt durch, das Gasgemisch wird entzündet. Krawumm!« Zur Veranschaulichung schleuderte Fredermann seine langen Arme durch die Luft, und Lüppo Buss musste sich ducken, um nicht getroffen zu werden.

      »Okay«, sagte der Inselpolizist. »Das wäre die erste Explosion. Und die zweite?«

      »Ganz einfach«, antwortete der Arzt. »Eine Schwarzpulverladung. Mit Zündschnur. Total simpel. Das brennende Gas entfacht die Zündschnur, und die Ladung geht nach einigen Sekunden hoch. Wenn ihr mich fragt, war das eine geplante Verzögerung. Anscheinend wollte der Täter nicht, dass jemand ernsthaft zu Schaden kommt.«

      »Stopp. Stopp.« Lüppo Buss rieb sich die Nasenwurzel. »Das geht mir jetzt etwas zu schnell. Wie kommst du auf Schwarzpulver? Und woher weißt du das mit der Zündschnur?«

      »Ganz einfach. Schwarzpulver hat einen charakteristischen Geruch, und der ist hier deutlich wahrzunehmen. Und die Zündschnur? Noch einfacher: Da liegt sie.«

      Jetzt war es der Oberkommissar, der den Kopf in den Kühlschrank steckte. Sofort wurde er sich des stechenden Geruchs bewusst. Schwarzpulver, keine Frage. Und da, ganz unten, eingeklemmt zwischen den dünnen Stäben eines Rostes, steckte tatsächlich ein Stückchen Zündschnur, völlig unversehrt. Vermutlich war es das Endstückchen, das tief in der Ladung gesteckt hatte.

      »Warum ist es nicht auch verbrannt?«, fragte er.

      »Durch die Explosion ausgepustet«, antwortete Fredermann, als sei dies das Selbstverständlichste auf der Welt. »Solche Zufälle passieren. Glaube nur einem alten Pyromanen.«

      Der Inselpolizist schaute ungläubig. So ungläubig, dass Fredermann sich zu einer weiteren Veranschaulichung genötigt sah. »Als ich noch drüben auf dem Festland praktiziert habe, wurde ich mal zu einem Unfall an einem unbeschrankten Bahnübergang gerufen. Eine Lok hatte einen VW Käfer gerammt und mitgeschleift, der Autofahrer überlebte schwer verletzt. Der Wagen war natürlich Schrott. Aber oben auf dem rechten Puffer der Lok, da, wo er abgeflacht ist, lag eines der Seitenfenster des VW. Völlig unbeschädigt, ohne einen Kratzer! Tatsache. Da haben auch alle gefragt: Wie kann das denn? Die Antwort ist einfach. So etwas passiert eben.«

      Lüppo Buss nickte andächtig.

      In diesem Moment räusperte sich Insa Ukena vernehmlich und deutete mit einer Kopfbewegung in Richtung Eingang. Schnell und auf Zehenspitzen verließen die beiden Männer den Tatort und bauten sich hinter der Oberkommissarin auf.

      Ein hagerer Mann mit grauem Teint hatte das Hotel betreten und schaute sich misstrauisch um. Tief eingekerbte Falten zwischen Nasenflügeln und Mundwinkeln teilten die ungewöhnlich lange Oberlippe vom Rest seines Gesichts ab. Dies, seine kleine Statur und die nikotingelben Finger der rechten Hand gemahnten entfernt an Altkanzler Helmut Schmidt. Fehlt nur noch die Prinz-Heinrich-Mütze, dachte Lüppo Buss. Aber eine Mütze trug Hauptkommissar Dedo de Beer niemals.

      Der Inselpolizist biss die Zähne so fest zusammen, dass seine Kiefermuskeln deutlich hervortraten, während er den herablassenden Gruß seines Dienstvorgesetzten aus Wittmund steif erwiderte. Dann trat er beiseite, um den Kollegen, die in de Beers Gefolge die Hotelküche fluteten, nun auch symbolisch das Feld zu überlassen.

      Ein greller Blitz ließ ihn zusammenzucken. Er brauchte einen Moment, um sich klarzumachen, dass das keine erneute Explosion, sondern nur das Blitzlicht einer Kamera gewesen war. Schon blitzte es ein zweites, ein drittes Mal. Wer war dieser Kerl, der sich erdreistete … aha, der neue Typ vom Inselboten, dieser Marian Godehau.

      »Was ist?«, knurrte de Beer dicht hinter ihm. »Pennt ihr? Los, raus mit dem Kerl!«

      Lüppo Buss lief krebsrot an, beherrschte sich aber. Die Arme ausgebreitet, trat er dem eifrigen Reporter entgegen. »Keine Fotos«, sagte er betont ruhig. »Verlassen Sie bitte den Tatort. Hier gibt es nichts …« Er brach ab, plötzlich peinlich berührt von der Rolle, die er hier zu spielen hatte, und kaschierte sein Verstummen mühsam, indem er