Vergangenheitskampf. Corinna Lindenmayr

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Название Vergangenheitskampf
Автор произведения Corinna Lindenmayr
Жанр Контркультура
Серия
Издательство Контркультура
Год выпуска 0
isbn 9783967526554



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würde es keinen Zweifel mehr geben. Egal wohin Barlock auch verschwunden war, mit diesem Stück Papier trug er die Gewissheit bei sich, dass er zurückkam.

      In wenigen Tagen wäre er wieder ein freier Mann und konnte sein Vorhaben endlich in die Tat umsetzen und das Geheimnis lüften, welches er seit diesem Tag hütete wie einen wertvollen Schatz.

      Don Barlock hatte eine Tochter.

      

       1. Kapitel

      Das Eis vibrierte unter seinen Füßen als Max Christensen über das Spielfeld rauschte und den Puck mit einem harten Schlagschuss in das leere Tornetz katapultierte. Dann reduzierte er sein Tempo und blieb etwa einen Meter vor dem Tor stehen.

      Sein Blick fiel auf die Displayanzeige in der Mitte der Hallendecke, während er sich selbst mit seinem Schläger auf der Eisfläche abstützte.

      Eine knappe Minute würde ihnen noch bleiben bis das Signal zum Ende der Aufwärmphase erklang. 60 Sekunden voller purer Anspannung, Vorfreude und gleichzeitiger panischer Angst es zu vermasseln.

      Er atmete aus und schloss für einen Sekundenbruchteil die Augen. Wenn sie dieses Spiel verlieren würden, konnten sie die Teilnahme an den Pree-Play-Offs vergessen. Sollten sie die Eisbären Berlin heute nicht schlagen, würden knapp 8.000 enttäuschte Menschen dieses Stadion wieder verlassen und die sonst so euphorische Stimmung wäre im Eimer. Er wollte diese Saison noch nicht beenden, schon gar nicht, bevor sie nicht jede Chance genutzt hatten, sich in die richtigen Play-Offs zu kämpfen.

      Und weil er absolut keine Ahnung hatte, was er dann mit sich anfangen sollte. Es war schon deprimierend, wie wenig Lust er verspürte, sich einem Leben außerhalb des Eishockeys zu widmen. Die meisten seiner Kameraden würden mit ihren Familien Urlaub machen oder in die Heimat reisen. Über die Hauptsaison im Winter waren sie nahezu täglich im Training und ständig unterwegs. Teilweise reihten sich die Spiele in Abständen von weniger als drei Tagen.

      Viele von ihnen freuten sich daher genauso sehr darauf, wenn eine Saison zu Ende ging, wie auf den Moment, wenn sie wieder begann. Und in der Play-Off-Zeit war es sogar noch schlimmer. Die Trainingszeiten wurden verlängert und die Spieltage rückten noch enger zusammen als ohnehin schon.

      Natürlich war daher auch er froh, wenn er ein paar Tage Pause hatte. Das Problem dabei war nur, dass ihm schon nach kurzer Zeit meist die Decke auf den Kopf fiel.

      »He Christensen, wach auf zum Teufel noch mal!« donnerte da die Stimme von Jack McGillen, seinem Trainer. »Wir haben hier gleich ein Spiel zu spielen also stell dich gefälligst auf deine Position!« Max blickte auf und sah wie neben ihm sein bester Freund und Teamkollege, Jonas Meiers, den Puck vor seine Füße platzierte und darauf wartete, dass er ihn zurück schoss. Er fuhr los, schob die Scheibe ein paar Mal zwischen seinem Schläger hin und her und ließ ihn dann genau so liegen, dass Jonas direkt auf das Tor zielen konnte.

      Sein Mund verzog sich zu einem kaum sichtbaren Lächeln, als sein Freund ihn an Jeff Brighten, dem Torwart, mühelos vorbeischoss. Jonas und er waren eben von Anfang an ein unschlagbares Team gewesen. Sie hatten zusammen in der Juniorenliga der Augsburger Panther gespielt, verloren sich dann für etwa drei Jahre aus den Augen weil er einen Vertrag bei den Mannheimer Adlern unterschrieben hatte und Jonas für Düsseldorf spielte. Gelegentlich trafen sie sich in dieser Zeit als Gegner auf dem Eis, doch das trübte ihre Freundschaft nicht im Geringsten. Vor zwei Jahren hatten sie dann beide wieder in ihren Heimatverein gewechselt und standen sogar kurz davor für den WM-Kader nominiert zu werden. Das Einzige, was seine Laufbahn im Augenblick also noch toppen könnte, wäre ein Angebot der NHL. Aber eigentlich war er ganz zufrieden so wie es gerade lief.

      Die Sirene ertönte und die Spieler verließen das Eis, während die Maschinen noch einmal die Flächen neu beschichten. Max fuhr noch eine letzte Runde an der Bande entlang, dann folgte auch er den anderen in die Kabine. Im Hintergrund ertönte »Good old Hockeygame« und er hörte wie die Zuschauer bereits jetzt lautstark begannen sein Team anzufeuern.

      Als die Tür hinter ihm zuflog, zog er seinen Helm herunter und legte ihn neben sich auf die Bank. Dann streckte er die Füße aus und lehnte sich zurück um der Ansprache des Trainers zu folgen, auch wenn er wie üblich die Worte von Jack nicht wirklich wahrnahm.

      Stattdessen dachte er an seine Schwester Hannah und ihren Mann Tom und an die Zeit als er noch ein kleiner Junge gewesen war. Das alles war jetzt schon mehr als fünfzehn Jahre her, doch er konnte es einfach nicht vergessen.

      Bis zu seinem elften Lebensjahr hatte er mit seinen Eltern und Hannah in einem Zeugenschutzprogramm gelebt. Den Großteil seiner Kindheit verbrachte er also damit von einem Land ins Nächste zu ziehen, Schulen zu wechseln wie andere ihre Bettwäsche, während sein bester Freund der Schäferhundrüde eines der Polizeibeamten war, die sich rund um die Uhr in ihrer Nähe aufhielten. Jetzt, mit 29 Jahren, war es ihm bis heute ein Rätsel, warum sie damals trotz des Zeugenschutzprogrammes so konsequent überwacht wurden.

      Es war nicht so, dass er grundsätzlich Vergleichsmöglichkeiten gehabt hätte, aber eigentlich ging er davon aus, dass der Zeugenschutz lediglich ein neues, sicheres Umfeld bieten sollte. Eine neue Identität. Ein neues Leben.

      In ihrem Fall jedoch schien das irgendwie komplett anders verlaufen zu sein. Solange, bis seine Eltern für ein paar Jahre verschwunden waren. Ab diesem Moment hatte es nur ihn und seine Schwester gegeben.

      Während Jack die Mannschaftsaufstellung diskutierte, erinnerte sich Max an jenen Tag, als er auf dem Schulgelände auf Hannah gewartet hatte. Als wäre es auf einmal wieder real, sah er sich, wie er unter einem Treppenaufgang Schutz suchen wollte und dann plötzlich alles dunkel wurde. Wie vor fünfzehn Jahren sah er immer wieder nur Bruchstücke, wie Teile des Daches die auf ihn eingestürzt waren oder hörte den entsetzlichen Krach des Aufschlagens von Ziegel auf Beton. Das Nächste was sich in seine Gedanken eingeprägt hatte, war der Moment im Krankenhaus als er die Augen öffnete. Es kam ihm vor als hätte er das Schlimmste einfach verschlafen. Hannahs Kampf gegen eine erneute Kontrolle ihres Lebens, der schlussendlich dazu geführt hatte, dass seine Eltern zurückkehren konnten und das ganze Versteckspiel endlich ein Ende fand.

      Schon damals war es sein größter Wunsch gewesen, Eishockeyprofi zu werden und nun war er es. Er verdiente ein stattliches Einkommen und lebte in einem durchaus passablen Anwesen etwas abseits der überfüllten Innenstadt. Hannah war glücklich verheiratet und hatte eine Tochter.

      Seine Nichte war sein Ein und Alles. Nie würde er zulassen, dass Elisa-Marie etwas zustoßen würde, ganz zu schweigen davon, dass er je zulassen würde, dass irgendein Typ ihr zu nahe kam. Sie war mittlerweile bereits 16 Jahre und wer wusste schon wie die Hormone von weiblichen Teenagern in diesem Alter tickten? Seine Eigenen hatten zu dieser Zeit jedenfalls vollkommen verrückt gespielt. Himmel, daran sollte er jetzt lieber nicht denken.

      Wenn man so viele Jahre lang immer unter Beobachtung stand, ganz gleich ob von Eltern oder Polizisten, dann gab es nicht viel, was einen davon abhalten konnte, alles auszutesten was einem zwischen die Finger kam. Und das hatte er getan. Mehr als nur einmal geriet er dadurch in Schwierigkeiten, aber bereute er es? Nein. Damals nicht und heute wen er so darüber nachdachte eigentlich genauso wenig. Es war ein Teil von seinem Leben, der ihm geholfen hatte, dorthin zu kommen wo er jetzt stand.

      Vielleicht würde er ein paar Dinge anders machen aber im Grunde waren Fehler eben auch dazu da, getan zu werden, daraus zu lernen und es beim nächsten Mal besser zu machen.

      Es gab zu viel Alkohol, Frauen und ja - er hatte auch Drogen ausprobiert. Allerdings war das eines der Dinge, die er definitiv nicht wieder tun würde und schon gar nicht, würde er zulassen dass Elisa-Marie irgendetwas davon zu nahe kam. In ihrem Fall natürlich eher Männer wie Frauen. Hoffte er zumindest. Nicht, dass er irgendwelche Vorurteile hegte, aber er konnte nicht umhin zuzugeben, dass ihn die traditionellere Weise des Zusammenseins mehr behagte.

      »Also, ich möchte diesmal richtiges Eishockey sehen, verstanden?« riss ihn die Stimme von Jack aus seinen Gedanken.

      »Jawohl!« donnerte es von seinen Kameraden durch den kleinen Kabinenraum