Название | Leben ohne Maske |
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Автор произведения | Knut Wagner |
Жанр | Биографии и Мемуары |
Серия | |
Издательство | Биографии и Мемуары |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783957163080 |
„Wir Volontäre haben uns sehr schnell angefreundet“, sagte Trebing, und trank den Schaum ab, bevor er am beschlagenen Bierglas herunterlaufen konnte. „Jeden Abend treffen wir uns irgendwo und diskutieren, und in einem Punkt sind wir uns alle einig: Im Suff hat man die besten Ideen.“
Daher seien sie selten nüchtern, meinte Trebing lächelnd, bestellte sich einen doppelten Weinbrand und kam mächtig in Fahrt. Wolfgang, der an allem interessiert war, was Trebing über‘s Fernsehen zu berichten wusste, unterbrach den Dicken, wie Trebing auch genannt wurde, kein ein einziges Mal in seinem Redefluss.
Gleich am ersten Tag habe man ihnen gesagt, dass der Fernsehfunk nicht die Aufgabe hat, Kunst zu produzieren, sondern ein Propaganda- und Agitationsinstrument der SED sei, erzählte Trebing.
„Ziemlich hart“, sagte Wolfgang. Er wusste zwar, dass die Fernsehproduktionen nicht viel mit Kunst zu tun hatten, aber dass man das so offen zugab, erstaunte ihn schon.
„Das Beste, was wir haben, ist unser Berufsausweis“, sagte Trebing. „Damit kommt man praktisch in jede Veranstaltung. Man zeigt nur den Ausweis vor und sagt ‚Deutscher Fernsehfunk‘, da machen alle sofort eine tiefe Verbeugung und lassen dich hinein.“
Die Wirtin beugte sich über den Tisch, griff nach den leeren Biergläsern und fragte: „Noch’ne Runde?“
„Na, klar“, sagte Trebing, und Wolfgang nickte.
„Zum Fernsehen bin ich nur gegangen, damit ich an der Filmhochschule Babelsberg mal Regie studieren kann“, sagte Trebing. Zurzeit beschäftige er sich hauptsächlich mit regietechnischen Arbeiten für den Filmzirkel, erzählte Trebing. Daneben schreibe er auch Lieder und lyrische Prosa, und er zeigte Wolfgang ein Vietnamgedicht, das er in der letzten Zeit geschrieben hatte:
Vietnam
Die Blume
Zertreten im Staub
Verstummt das Lachen
Die Stadt ist wie tot
Und vor den Palästen der Kaiserzeit
Stehn feindliche Söldner, das Volk ist in Not
Da tönt der Ruf – FNL – durchs Land
Und eh‘ sich der Morgen im Flusse spiegelt
Ist die Stadt in ihrer Hand
Es weht eine Fahne über HUE
Geschmückt von Blumen
Die Fahne des Sieges
Es kam eine neue Zeit nach Hue
Mit Menschen, die schwören: Was auch gescheh –
Immer lebe Hue
„Vietnamgedichte sind eine schwierige Kiste“, sagte Wolfgang. „Ich hab mich noch nicht dran versucht.“
„Aber du könntest es“, sagte Trebing. „Du bist der größere Lyriker von uns beiden.“
„Im Moment jedoch“, sagte Wolfgang, „habe ich der Lyrik abgeschworen und schreibe gerade an einem Stück.“
„Thema?“
„Großbaustelle.“
„War ja auch nicht anders zu erwarten“, sagte Trebing und erinnerte sich daran, wie er und Wolfgang nach der Premiere der „Irkutsker Geschichte“ in der nächtlichen Mitropa gesessen hatten und, der Oberschule und der Lehrer überdrüssig, bis in den frühen Morgen Aufbruchspläne geschmiedet hatten. Sie hatten Brühe mit Ei gelöffelt und viel zu kaltes, schales Bier getrunken, und sie hatten durchs schmutzige Fenster der verräucherten Mitropa gesehen, wie sowjetische Soldaten, die Heimaturlaub bekommen hatten, auf dem Bahnsteig standen und mit ihrem schweren Gepäck in den Zug nach Brest stiegen.
„Sobald du fertig bist mit dem Stück, musst du mir unbedingt ein Exemplar schicken“, sagte Trebing.
„Versprochen“, sagte Wolfgang, als er mit Trebing die Bodega verließ.
Wenn Wolfgang über den Anger ging, traf er immer Freunde, mit denen er übers Theater und das Gedichteschreiben sprechen konnte. Meistens liefen ihm Meyer, ein Volontär bei der „Thüringischen Landeszeitung“, oder Jungschauspieler Pollatschek, der gerade probenfrei hatte, über den Weg. Meyer war zwei Jahre jünger als Wolfgang. Er war rothaarig und hatte mächtig viel Pomade in seine Haare geklitscht. Wie er sie am Morgen gekämmt und gescheitelt hatte, lagen sie noch am Nachmittag.
Meyer war immer in Eile und hatte eine komische Art, sich die Werke der Weltliteratur anzueignen. „Im Moment lese ich nur Stücke, weil mir die Zeit zum Romanelesen fehlt“, sagte er. „Strindberg steht auf meinem Programm. Den solltest du lesen“, riet er Wolfgang.
„Wie ich dich kenne, wirst du dich für ‚Fräulein Julie‘ begeistern“, sagte Meyer, der auf dem Sprung zum nächsten Pressetermin war.
Wesentlich mehr Zeit für ein Gespräch nahm sich Pollatschek. Unter der großen Angeruhr stehend, erzählte er Wolfgang von Claus Hammels „Morgen kommt der Schornsteinfeger“, einem Gegenwartsstück, das am Erfurter Schauspielhaus erfolgreich uraufgeführt worden war. Bei der Premiere habe es drei Mal Zwischenapplaus gegeben, einen davon habe er als Lyriker bekommen, sagte er. Dass man jetzt erwäge, die Rolle des Lyrikers aus Zeitgründen zu streichen, konnte er nicht verstehen und fühlte sich in seiner Ehre gekränkt.
Die Literaturwissenschaft, die von Hammel kaum Notiz nehme, sollte sich mal näher mit diesem Autor befassen, meinte Pollatschek und brachte Wolfgang auf die Idee, die Staatsexamensarbeit über Claus Hammels „Morgen kommt der Schornsteinfeger“ zu schreiben.
Aber vorerst schrieb Wolfgang an seinem Stück „Der Gast oder Der Versuch zu leben“, das Mitte September schon in seiner Gesamtheit vorlag, und es schien, als könne es, wie geplant, im April 1968 von der Studentenbühne aufgeführt werden.
Aber diesen Plan durchkreuzte eine Fisteloperation, der sich Wolfgang kurzzeitig unterziehen musste. Zuerst hatte er einen Furunkel am Hintern gehabt, dann war der Furunkel aufgegangen, aber eine stecknadelkopfgroße Öffnung war geblieben, aus der es ständig nässte. Obwohl es Wolfgang ziemlich peinlich war, ging er deshalb zum Arzt. „Eine Steißbeinfistel“, sagte der Arzt. „Keine große Sache. Das ist schnell gemacht“, und für Wolfgang war es beruhigend zu hören, dass mit einem längeren Studienausfall nicht zu rechnen sei.
Anfang Oktober sollte die OP sein, und so fuhr Wolfgang Ende September nach Jena, übergab Birgit Hielscher die Geschäfte der Studentenbühne und vervielfältigte mit ihr zusammen das Stück. Da nicht sicher war, ob Wolfgang zur Spielplanbesprechung Mitte Oktober schon wieder fit sein würde, instruierte er die Hielschern.
Er sagte ihr, wie sie beim Vorstellen des Stücks vorgehen solle und welche Besonderheiten sie unbedingt erwähnen müsse. Die erste Besonderheit sei, dass ein Student ein Stück für Studenten geschrieben habe, das in der Gegenwart spiele, sagte Wolfgang. Die zweite Besonderheit sei, dass er den Hauptdarstellern die Rollen buchstäblich auf den Leib geschrieben habe. Und drittens liege der besondere Reiz der Inszenierung darin, dass die Endfassung des Stücks während der Proben erarbeitet werde.
„Und was muss unbedingt gesagt werden, wenn es um den Inhalt des Stücks geht?“, wollte die Hielschern wissen. „Dass die Frage nach dem Sinn des Lebens aufgeworfen wird, die jede Generation neu für sich beantworten muss“, meinte Wolfgang. Schon der Titel „Der Gast oder Der Versuch zu leben“ weise unmissverständlich auf diese Problematik hin.
Vier Wochen nach seiner Operation lag Wolfgang noch immer im Krankenhaus und hatte keine Kunde, wie die Spielplan-Diskussion Mitte Oktober ausgegangen war, und seine telefonischen Versuche, Birgit Hielscher zu erreichen, waren gescheitert. Vielleicht wurde der Termin verschoben, dachte Wolfgang, den das Schweigen der Hielschern arg beunruhigte. Erst Ende Oktober ließ sich Birgit Hielscher blicken. Sie kam laut lachend ins Krankenzimmer geschneit, und an der übertriebenen Freundlichkeit, die sie zur Schau stellte,