Dornröschen muss sterben. Ulrike Barow

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Название Dornröschen muss sterben
Автор произведения Ulrike Barow
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783839264249



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reingesteckt. Sonst wäre das auch nicht gegangen. Von einem Esslokal auf Baltrum kann man dieses Schiff nämlich nicht bezahlen. So, jetzt muss ich wieder in die Küche. Die nächsten Menüs warten auf mich. Wir sehen uns später. Bis dann.«

      Nachdem Doro wieder verschwunden war, gelang es Wolf, sein restliches köstliches Essen mit Anstand zu verzehren. Bernhard blieb kurz an seinem Tisch stehen und sie verabredeten sich für den Abend im Strandcafé.

      Wolf blieb noch eine Weile sitzen, genoss den Augenblick und beschloss, den Nachmittag faul in der Sonne liegend am Strand zu verbringen.

      12

      Ein fürchterliches Wochenende. Menschen überall. Aufdringlich und nervtötend. Besonders diese sogenannten Turner. Hinterlassen nichts als Dreck. Machen Krach am Strand. Bewegen ihre ach so drahtigen Körper im Sand. Die reinste Provokation. Knappe Höschen und T-Shirts zeigen bei jeder Bewegung nackte Haut. Ich habe das genau gesehen. Sport ist denen doch völlig egal. Lächerlich, wie die sich in den Sand schmeißen, übertrieben und lächerlich. Die nennen das Volleyball und in Wirklichkeit ist es nur Reiben der Körper aneinander. Verstohlen, heimlich jede Möglichkeit nutzend, nackte Beine an nackten Beinen zu schubbern. Ganz genau habe ich das beobachtet. Und nachts werden die Versprechen eingelöst, die die aufreizenden Körper tagsüber am Strand gegeben haben. Ich weiß, wovon ich spreche.

      13

      Jannis machte sich keine Gedanken darüber, dass er den Koffer samt Inhalt auf dem Bett hatte liegen lassen, als er loszog. Für solche Kleinigkeiten wie Auspacken war einfach keine Zeit mehr gewesen. Schließlich hatte er eine Verabredung. Er war sich sicher, dass Jens schon auf ihn wartete. Sie hatten bereits Wochen zuvor von zu Hause aus E-Mails ausgetauscht, voller Vorfreude auf ihr Wiedersehen. Punkt elf an der Inselglocke. So hatten sie es verabredet. Sie wollten in aller Ruhe über ihr gemeinsames Hobby quatschen, bevor sie mit den anderen zusammentrafen. Im letzten Jahr hatten sie die Clique ordentlich genervt mit ihrem ständigen Erfahrungsaustausch. Zumindest hatten die so getan. Und zugegebenermaßen war Ahnenforschung kein Thema, mit dem man aktuell punkten konnte. Für die beiden aber gab es kaum etwas Cooleres als die eigene Familiengeschichte, der eine in Bremen, der andere in Wattenscheid.

      Eigentlich war Jannis durch ein großes Ärgernis zu diesem Hobby gekommen: Welcher Junge mochte schon gerne Johannes heißen? Verstaubt und antiquiert, so lauteten seine Beschreibungen, wenn jemand auf seinen Namen zu sprechen kam. Er hatte früh darauf bestanden, dass alle ihn Jannis nannten. Das klang wenigstens etwas moderner. Das klappte auch. Seine Freunde, Mitschüler, Lehrer, alle nannten ihn Jannis. Sogar seine Eltern. Nur dann nicht, wenn sie sauer waren. Wenn er den Ruf »Johannes« hörte, wusste er genau, dass der unangenehmere Teil des Tages begann.

      Dann hatte er angefangen, sich mit seinem Namen zu beschäftigen, denn sein Großvater hatte Johannes geheißen, und auch sein Vater hieß mit zweitem Namen so. Daraus hatte sich im Laufe der Zeit seine Lieblingsfreizeitbeschäftigung entwickelt. Inzwischen kannte er sich in den Generationen vor ihm und deren Zeit so gut aus, als wären seine Vorfahren nicht schon lange tot, sondern ständig bei ihm. Seine Eltern unterstützten ihn, wo sie nur konnten.

      Auch wenn sie ihn manchmal »Johannes« riefen und behaupteten, dass es kaum ein nervtötenderes Hobby gab, als sich ständig mit den Geistern verstorbener Familienmitglieder auseinanderzusetzen.

      »Mensch, Jens, super, dich zu sehen.«

      Jens war zwar genauso alt wie Jannis, war aber mindestens einen Kopf kleiner und hatte eine blonde, von Gel gehaltene Strubbelmähne. Er schlug seinem Freund fröhlich auf die Schulter und beide setzten sich auf den Rasen, das Gerüst der Inselglocke als Rückenlehne nutzend. »Immer nur durchs Telefon oder Internet wird auch mal langweilig. Schon wieder ein Jahr her, seit dem letzten Mal.«

      Fast augenblicklich fielen sie in ein Fachgespräch, das so manchen Wissenschaftler in Erstaunen versetzt hätte. Sie redeten und redeten, bis sie merkten, dass die Sonne immer höher gestiegen war.

      »Meinst du, wir sollten jetzt mal wie zwei ganz normale Vierzehnjährige das Strandleben genießen?«, fragte Jens.

      »Du meinst, mit ins Wasser und Mädchen und dem ganzen Kram?« Jannis strahlte seinen Freund an.

      »Genau. Und Sport, und Eis essen. Das ganze Programm halt. Ich habe den anderen vom letzten Jahr gemailt. Die sind fast alle wieder da. Jasmin und Anna habe ich schon auf dem Schiff getroffen. Sie wollten sich am Kajakverleih treffen. Anna habe ich kaum wiedererkannt. Sie war doch so ein bisschen, na du weißt schon, nicht gerade schlank, und die hat jetzt eine …« Jens wurde rot. »… also die hat jetzt eine super Figur, ehrlich. Und ganz lange schwarze Haare.«

      »Gut, dass du mich vorgewarnt hast. Wäre sonst ganz schön peinlich geworden, wenn ich mich ihr in blindem Eifer galant vorgestellt hätte.« Jannis lachte. »Noch irgendetwas, das ich wissen müsste?«

      »Nee, eigentlich nicht. Jasmin hat sich kaum verändert. Sogar den grün-weißen Werder-Schal, den du ihr im letzten Jahr geschenkt hattest, trug sie um den Hals. Trotz der Wärme.«

      Jannis sprang auf. »Na, dann! Stürzen wir uns ins pralle Leben!«

      Sie liefen bis zum ersten Strandaufgang. Hier standen die Container von der Surfschule und dem Kajakverleih, ein beliebter Treffpunkt der Jugendlichen. Wer hierher kam, fand sofort Anschluss.

      Die beiden wurden mit großem Hallo empfangen. Alle waren versammelt, Jasmin, Maik, Anna, Heiner, Andreas, der Bäcker aus dem Insel-Markt und noch viele, deren Namen Jannis erst wieder ins Gedächtnis zurückholen musste.

      »Erzählt, wie habt ihr die unwichtigen Tage zwischen den Baltrum-Urlauben verbracht? Aber bitte, bitte kein Wort über eure Urgroßelterntanten und -onkels. Wir wollen es einfach nicht wissen!« Alle lachten lauthals und eine fröhliche Wiedersehensrangelei begann.

      »Los kommt, wir gehen ein Stück weiter zu den emsigen Sportlern«, sagte Heiner schließlich. »Vielleicht lassen die uns mitspielen. Dann können wir denen mal zeigen, wie man das richtig macht.« Er stand auf und klopfte sich den Sand von seinem Bauch, der sich über die knappe Badehose wölbte. Eindeutig ein Zufluchtsort für viele, viele kleine Hamburger mit Pommes, dachte Jannis.

      Links und rechts des Bohlenweges, der sie zu den Sportlern führte, saßen Familien in den Strandkörben, beseelt vom Wetter und dem Wissen um ein paar freie, unbeschwerte Tage. In diesem Jahr standen die Körbe besonders eng beieinander, denn die Stürme und Sturmfluten des letzten Winters hatten ein gutes Stück Strand abgenagt. Es würde eine lange Zeit, kräftigen Ostwind und viele heranwandernde Sandbänke brauchen, bis der Strand wieder zu seiner alten Größe herangewachsen wäre.

      »He, pass doch auf, wo du hintrittst!« Ein zornrotes Gesicht mit Körper dran hatte sich vor Jasmin aufgebaut, die, einem Schubser von Jens ausweichend, fast in einem Strandkorb gelandet war. »Mir reicht das allmählich. Erst dieser Krach hier am Strand, dann die schreienden Blagen überall und jetzt auch noch du. Kann man hier nirgends seine Ruhe haben? Kann ich ja auch gleich nach Malle fahren und mir den Kopp zudröhnen.«

      »Wäre gar nicht schlecht, die Idee«, erwiderte Jasmin, während sie mit zwei langen Sätzen wieder den sicheren Steg erreichte. »Fahrkarten gibt’s im Reisebüro. Und denk dran, Opa, demnächst in der Urne ist es schön stille.« Sie reihte sich seelenruhig wieder in die Gruppe ein und zuckte mit den Schultern. »Der alte Bock hat mich gestern auf dem Schiff schon genervt. Da hat er nämlich seiner Tochter eine gelangt. Scheißkerl. Der kann mich mal.«

      Sie liefen weiter, und nach kurzer Zeit hatten sie das erste Spielfeld erreicht. Prellball. Damit kannte sich keiner von der Gruppe aus und sie beschlossen, sich ein wenig beim Volleyball umzusehen. Ganz unauffällig. Unverbindlich. Würden sich in den Sand hocken. Könnte ja sein, dass mal einer der anderen Spieler ausfiele. Dann würden sie schon einspringen. Nur nicht aufdrängen. Aber mitmachen, das wäre schon klasse.

      Es dauerte etwa zehn Minuten, dann standen sie alle abwechselnd im Feld. Sogar

      der dicke Heiner war dabei.

      Auf den T-Shirts ihrer Gegner stand Postsportverein Leer. Und die