Dornröschen muss sterben. Ulrike Barow

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Название Dornröschen muss sterben
Автор произведения Ulrike Barow
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783839264249



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Störtebeker hatte sich eine breite Gestalt mit rötlichen Haaren aufgebaut und lachte ihn fröhlich an. »Das ist mal ’ne Überraschung! Die Welt ist doch klein, nicht wahr?«

      »Hallo, Rolle, dich habe ich ja eine Ewigkeit nicht mehr gesehen. Wo kommst du her?«

      »Ich bin auf Tagestour«, erklärte Roland Lütjens. »Meine Familie ist zur Seehundaufzuchtstation nach Norddeich gefahren. Sind zwar jetzt noch nicht viele Heuler da, aber etwas zu sehen gibt es dort immer. Ich habe mir die Tiere stattdessen in freier Wildbahn auf der Sandbank angeschaut, und nun bin ich hier. Komm, jetzt gehen wir erst einmal einen trinken. Auf das Wiedersehen.«

      Hendrik schaute auf seine Armbanduhr. »Sozusagen Elführtje, unser altes ostfriesisches Trinkritual. Na gut, muss aber für mich kein Alkohol sein. Lass uns ins Strandcafé gehen.«

      Nicht ohne Hintergedanken schlug Hendrik seinem alten Bekannten vor, den Weg über den Strand zu nehmen. Zwei Fliegen mit einer Klappe, wie das Sprichwort sagte.

      »Weißt du noch, wie wir die Jungs aus Moordorf mit 7:2 vernichtend geschlagen haben?« Roland Lütjens gab Hendrik einen kräftigen Hieb auf die Schulter. »Auswärts, bei denen auf dem Platz? Wie gut, dass der Bus direkt am Bolzplatz geparkt hatte. So konnten wir schnell die Biege machen. Wer weiß, was sonst hinterher noch passiert wäre.«

      »Ich erinnere mich«, sagte Hendrik lachend. »Damals waren wir noch richtig fit.«

      Die beiden liefen die Schräge beim Strandhotel Wietjes hinunter, zogen ihre Schuhe aus und stapften durch den warmen Sand. Bald hatten sie das Volleyballnetz erreicht. Auf den abgesteckten Spielfeldern wurden Bälle in allen Größen geschlagen, getreten, geworfen und geprellt. Den beiden Männern schlug eine Woge von Gelächter, Spielkommandos und lautstarken Kommentaren zu den Spielzügen entgegen.

      Hendrik schaute sich um. Keine Spur von Britta. Vielleicht war sie noch in der Mehrzweckhalle mit der Verteilung der verschiedenen Gruppen auf ihre Nachtquartiere beschäftigt. Einige schliefen in der Schule, einige in der Turnhalle und andere in den Zelten auf dem Gelände des Niedersächsischen Turnerbundes weit hinten in den Dünen.

      »Komm, wir gehen weiter.« Hendrik zog seinen Freund aus alten Tagen am T-Shirt aus dem Gedränge.

      Kurz vor der großen Halle stoppte Hendrik. »Wart mal eben kurz, muss was nachsehen, bin gleich zurück.« Er bahnte sich einen Weg mitten durch die Sportler, die sich in langen Kolonnen zum Strand bewegten, und warf einen aufmerksamen Blick durch das große Hallentor, aber auch hier keine Britta. Komisch, dachte er. Gerade jetzt, wo die Betreuer am nötigsten gebraucht wurden, war weit und breit nichts von ihr zu sehen.

      Nur Marco Schneider, den ihm Britta als Chef und Organisator der Strandspiele vorgestellt hatte, kam fröhlich winkend auf ihn zu. »Kann ich dir helfen, du schaust so ratlos?«

      »Hast du Britta gesehen? Ich finde sie auch am Strand nirgends.«

      »Nee, tut mir leid, sie ist heute Morgen noch nicht hier aufgekreuzt. In ihrem Zimmer im Hotel Seehof ist sie auch nicht. Zumindest hat sie nicht auf unser Weckklopfen reagiert.« Marco Schneider grinste. »Böse Zungen munkelten schon, sie hätte bei dir auf dem Boot die Zeit verpennt.«

      Hendrik schüttelte den Kopf. »Bei mir ist sie nicht geblieben. Sie sagte, sie wolle noch eine Mütze voll Schlaf haben und ist so gegen zwei Uhr heute Nacht gegangen. Na, sie wird sich wohl wieder einfinden, hier auf der Insel geht so leicht ja nichts verloren.« Die beiden lachten und Hendrik verabschiedete sich mit einem kurzen Nicken.

      Er versuchte, Britta über ihr Handy zu erreichen. Fehlanzeige.

      5

      Roland Lütjens hatte sich am Strandaufgang auf einen der Zaunpfähle gesetzt. Es war zwar unbequem, aber immer noch besser, als zu stehen. Wie der Zufall doch manchmal spielt, dachte er, da macht man einen Inselausflug und trifft unversehens auf einen alten Freund aus Jugendtagen. Sie hatten viel zusammen unternommen damals, gemeinsam Sport getrieben, waren zum Angeln ans Große Meer gefahren und hatten im Motodrom von Halbemond den Motorrädern hinterhergesehen, wie sie Staub aufwirbelnd und mit quietschenden Reifen ihre Runden gedreht hatten.

      »Na, was hast du denn hier im Gewimmel gesucht?«, fragte er Hendrik, der mit hängenden Schultern auf ihn zugetrottet kam.

      »Nicht was, sondern wen. Britta heißt sie, aber ihre Leute haben sie heute Morgen auch noch nicht gesehen. Komisch ist das. Ich kenne sie zwar erst seit drei Tagen, hätte sie aber als zuverlässig eingeschätzt. Schließlich hat sie ihre Turngruppe vom Postsportverein zu betreuen. Bin gespannt, wie sich das aufklärt. Aber jetzt auf ins Strandcafé. Hoffentlich finden wir bei dem schönen Wetter draußen noch ein gemütliches Plätzchen.«

      Roland Lütjens folgte seinem alten Freund. Bald hatten sie einen freien Tisch ergattert und jeder einen kräftigen Kaffee vor sich stehen.

      Die nächste Stunde verbrachten sie damit, die Vergangenheit Revue passieren zu lassen. So unterschiedlich ihre Lebenswege verlaufen waren, waren sie doch immer ihrer Heimat treu geblieben. »Du hast doch damals eine Lehre in der Verwaltung im Norder Rathaus gemacht, oder?« fragte Hendrik.

      Lütjens nickte. »Staubtrockene Angelegenheit, aber ich habe bis zur Prüfung durchgehalten.«

      »Ich habe eine Lehrstelle in Delmenhorst gefunden«, erzählte Hendrik, »und bin nach der Ausbildung tatsächlich eingestellt worden. Dann kam das Übliche, Heirat, Hobbys, das alltägliche Leben halt. Bis meine Frau das alltägliche Leben meines Nachbarn immer mehr schätzen lernte. Da war es aus mit Delmenhorst. Die Stelle habe ich auch gekündigt. Ich hatte keinen Bock mehr auf diese Stadt. Bin dann heim zu Muttern. Wo wohnst du jetzt?«

      »In Bad Zwischenahn. Ist auch nett da. Ich habe zwei Kinder inzwischen und führe ein ganz normales Familienleben. Du musst unbedingt mal kommen und uns besuchen. Und dein Zuhause ist jetzt wo? Bei deiner Mutter?«

      Hendrik erzählte ihm, dass die Antje zurzeit sein Zuhause war. »Bei meiner Mutter in Norden habe ich noch ein Zimmer und einen Briefkasten. Für alle Fälle. Wenn das Arbeitsamt sich meldet. Ich habe schon alles Mögliche versucht, aber als Chemielaborant sind die Möglichkeiten hier im Norden eher begrenzt. Wenn ich bis zum Herbst nichts finde, werde ich wohl nach Süddeutschland gehen. Auch wenn es einem Ostfriesen schwerfällt, die Heimat zu verlassen. Auf Dauer ohne Arbeit ist aber auch kein richtiges Leben und das Arbeitsamt sitzt einem natürlich im Nacken. Aber bis dahin«, er grinste, »werde ich mir den frischen Nordseewind um die Nase wehen und wie ein richtiger Seemann in jedem Hafen eine Braut weinend zurücklassen. Eine Ehe ist genug. Bringt ja doch nichts. Nur Stress und Ärger. Tja, und dann habe ich vor drei Tagen am Strand die Britta kennengelernt. Sie hat mich erst zum Volleyballspiel und dann noch zu ein paar anderen netten Sachen verführt.« Hendrik machte dazu eine Handbewegung, die nichts an Deutlichkeit zu wünschen übrig ließ.

      Roland Lütjens schaute ihn skeptisch an. »So genau wollte ich es eigentlich gar nicht wissen.«

      »Du hast recht, war nicht so gemeint«, sagte Hendrik bedauernd. »Wir hatten wirklich bis jetzt eine schöne Zeit. Ich habe gar nicht mehr geglaubt, dass es auch nette Typen unter den Frauen gibt. Als meine Ex damals die Seiten gewechselt hat, da war ich so sauer, ich hätte die glatt um die Ecke bringen können.«

      »Na, na, komm, ein bisschen vornehme Zurückhaltung bitte. So schnell bringt es sich nicht um. Du siehst doch, das Leben geht weiter.« Roland Lütjens umfasste mit einer ausholenden Armbewegung die Menschen um sie herum. »Schau sie dir an. Alles gut gelaunte Urlauber. Meinst du nicht, die hätten nicht auch schon dicke Probleme im Leben gehabt?«

      Hendrik wunderte sich. »Das klingt ja, als wärst du Pastor und kein Verwaltungshengst. Ich habe es doch nicht so gemeint. Obwohl, wenn ich es recht überlege, mit meinem Chemiewissen könnte ich schon den einen oder anderen … Und ein kräftiger Schlag mit dem Hammer oder ein dickes Tau um den Hals würde im Notfall auch reichen.« Hendrik brach in lautes Lachen aus und konnte sich erst recht kaum beruhigen, als er Roland Lütjens’ mühsames Grinsen bemerkte. »Ist dir das Thema zu gruselig?«

      Lütjens schüttelte den Kopf. »Nein, zu beständig. Komm, lass uns einen