Название | Henkersmahl |
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Автор произведения | Bärbel Böcker |
Жанр | Триллеры |
Серия | |
Издательство | Триллеры |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783839234549 |
Tim richtete sich vorsichtig auf und bemerkte, dass Alex ihm sogar die Hand reichte. Nur zögernd griff Tim zu, doch seine Angst schien unberechtigt, denn er half ihm tatsächlich. Als er wieder auf beiden Beinen stand, klopfte er sich den Schmutz von der Hose und grinste nun auch.
»Alles tutti?«, wollte Alex wissen.
»Klar.« Tims Stimme war schwächer als sonst.
Alex fixierte ihn, legte den Arm fest um seine Schulter und setzte sich in Bewegung.
Tims Herz schlug schneller. Was wollte er von ihm?
»Ich glaube, wir müssen dir mal ein bisschen deine hübsche Visage polieren. Das eben war nur ein kleiner Vorgeschmack.«
»Was habe ich denn verbrochen?«, schrie Tim hysterisch.
Alex ging ungerührt weiter. Der Griff seiner Hand schmerzte Tim durch die Lederjacke hindurch. Wie ein Schraubstock, den er nicht abschütteln konnte.
»Du plauderst ein bisschen zu viel.«
»Ich? Gibt doch gar nix zu plaudern.«
Alex’ Umklammerung tat höllisch weh. Tim versuchte, sich zu befreien, aber vergeblich.
»Da habe ich aber etwas ganz anderes gehört.«
»So? Was denn?« Tim starrte Alex an.
»Was denn?«, äffte Alex. »Ich will dir sagen, was. Da gibt’s einen Reporter, der hinter mir herschnüffelt, und ich habe munkeln hören, dass du ihn mir aufgehalst hast.«
»Nein, habe ich nicht! Ich kenne überhaupt keinen Reporter.«
Abrupt blieb Alex stehen und schlug zu. Tim strauchelte. Er roch frisches Blut. Es rann über sein Kinn. Vorsichtig wischte er es mit seinem Jackenärmel weg, wo es purpurn leuchtete.
»Ich habe dich an niemanden verpfiffen, wirklich nicht.« Tims Stimme klang erstickt. Er wusste weiterhin nicht, wovon Alex sprach, aber er bemerkte, dass er ihn etwas verunsichert hatte.
»Wir sind doch Freunde«, sagte er rasch. Alex blies hörbar Luft durch die Nase und schwieg. »Hast du eigentlich noch was von dem Zeug, dass ich dir neulich gebracht habe?«, fragte Tim vorsichtig.
Alex lachte verächtlich. »Glaubst du, du kommst aus der Nummer mit ’ner milden Gabe raus? Das Zeug war zwar nicht schlecht, aber so gut nun auch wieder nicht.«
»Hast du noch was davon?«
»Leider nicht. Du darfst mir also noch was bringen. Aber wenn du tatsächlich hinter der Sache mit dem Journalisten stecken solltest, wird dir das leider trotzdem nichts nützen, da kannst du Gift drauf nehmen.«
Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, drehte Alex Weyer sich um und ging.
8
Diese rasenden Kopfschmerzen.
Normalerweise bekam er so etwas nur sonntags, nach einer durchzechten Nacht, aber nicht am frühen Montagabend. Bereits vor einer halben Stunde hatte er zwei Kopfschmerztabletten geschluckt, aber eine Wirkung war nicht zu spüren. Im Gegenteil. Er presste beide Hände gegen die Schläfen, als könne das helfen. Der Schmerz hämmerte in kurzen Intervallen direkt über der Nasenwurzel und zog nach hinten.
Ein Tiger, der seine Kopfhaut zerfetzte. Ihm seine Krallen ins Hirn trieb. Ihn daran hinderte, zu denken.
Ein lautes Stöhnen kam über seine Lippen. Er musste stehen bleiben, sich an die Wand lehnen. Kalte Wand. Das grelle Weiß der Kacheln tat ihm weh, er musste die Augen wieder schließen, sich vor dem Weiß schützen, unbedingt. Gleichzeitig spürte er, wie ihm der Schweiß auf die Stirn trat.
Diese rasenden Kopfschmerzen. Taumelnd versuchte er, das Waschbecken zu erreichen. Kein Halt mehr, nirgends. Seine Füße fühlten sich taub an. Jeder Schritt eine Qual. Der Mund trocken wie Staub, die Zunge ein fremdes Tier. Wasser. Im Spiegel seine aufgerissenen Augen, die ihm entgegenblickten. Endlich hatte er sein Ziel erreicht. Krampfhaft hielt er sich am Waschbecken fest und sah hinunter auf die Hand, die da versuchte, den Wasserhahn aufzudrehen. War das seine? Dieses zittrige Etwas, einem Spinnenkörper gleich, den er nicht in der Gewalt hatte?
Keine Kraft mehr. Der Schweiß tropfte von seiner Stirn, doch der Wasserhahn bewegte sich keinen Millimeter. Er röchelte. Die Konturen des Waschbeckens verschwammen. Er versuchte, sich am Rand festzuhalten, den drohenden Fall zu verhindern, aber vergeblich. Er sackte auf den Boden, unfähig, wieder hochzukommen.
Nach Minuten, die ihm wie eine Ewigkeit erschienen, drehte er den Kopf, denn er hatte ein Geräusch gehört. Jemand war hereingekommen. Endlich. Er atmete auf. Gekrümmt am Boden liegend, sah er auf ein paar dunkle Stiefel mit grünen Schnürsenkeln, die langsam auf ihn zukamen und dann kurz vor seinem Körper stoppten. Er lächelte. Die Schuhe seines Retters. Am liebsten hätte er sie geküsst. Gleich würde er ihm aufhelfen. Gleich würde alles gut. Er horchte, aber im Raum blieb es still. Totenstill. Nicht der Hauch einer Bewegung. Er versuchte, zu lächeln und seinen Kopf zu heben, denn er wollte sehen, wer vor ihm stand, aber er hatte keine Chance. Er konnte sich kaum rühren. Ehe er all seine Kraft sammeln und etwas sagen konnte, drehten die Schuhe um und entfernten sich. Das leichte Klacken der Tür verriet ihm, dass er erneut allein war. Schaum trat vor seinen Mund und erstickte den Schrei, der aus seiner Kehle nach oben drängte.
Fauchend grub der Tiger seine Klauen tiefer in ihn hinein. Er stürzte sich auf ihn mit ganzem Gewicht.
Enormer Druck. Kaum Luft zum Atmen. Seine Beine manövrierunfähig. Die Taubheit in seinem Körper kroch immer höher. Und jetzt auch noch diese Übelkeit.
Der Tiger ließ einfach nicht los.
Er wusste, inzwischen hatte die Bestie auch seinen Rücken aufgerissen, denn eine ungeheuere Hitzewelle überkam ihn. Er bäumte sich auf. Konnte er sie abschütteln? Nach einer Weile hielt er die Luft an. Tatsächlich, der Schmerz war auf einmal verschwunden. Wie weggeblasen. Sanft wie die Samen einer Pusteblume. Auch der Rücken taub. Er stöhnte. Der Kopf schmerzte weiterhin. Er musste würgen, robbte Richtung Toilette, ruderte auf dem Boden mit den Armen. Der Gedanke, welch lächerliche Figur er abgab, steigerte den Brechreiz ins Unermessliche. Kam denn niemand, um ihm zu helfen? Plötzlich durchzuckte ihn ein Hoffnungsschimmer. Ja, so musste es sein: Der Stiefelträger holte Verstärkung. Alarmierte einen Krankenwagen und kam jeden Augenblick zurück. Er versuchte zu rufen, doch seine Stimme versagte. Er brachte nichts als ein jämmerliches Winseln heraus, das in den Schaumblasen vor seinem Mund verebbte. Jetzt verloren auch seine Arme an Kraft, sie ruderten immer schwächer. Und plötzlich: Auch hier kein Gefühl mehr. Taub wie alles andere. Seine Wange versuchte, sich an den Boden zu schmiegen. Die Augen hielt er geschlossen. Er wollte schlafen, einfach nur schlafen. So lag er eine Weile. Dann ließ ein tiefer, rasselnder Atemzug seinen Körper erzittern, und als er sich nach einigen Sekunden wieder entspannte, kam nur noch ein zarter Hauch über seine Lippen.
Der Tiger hatte endlich losgelassen.
9
Es war bereits dunkel und Florian Halstaff fröstelte, als er auf den Treppenstufen vor dem Haus seiner Mutter im Rodenkirchener Auenviertel stand und zum zweiten Mal an der Haustür klingelte. Florian liebte Rodenkirchen, das 1975 eingemeindet worden war und sich am Westufer des Rheins im sogenannten Rheinbogen befand. Als er noch zu Hause wohnte, hatte Florian in kölntypisch schwülen Sommernächten oft mit Max im feinen Sand des Rheinstrandes gelegen, auf die vorbeifahrenden Schiffe geschaut und stundenlang geredet, über die große Liebe, die erste große Enttäuschung und über das, was sie erreichen wollten in ihrem Leben. Heute hatte er trotz des einsetzenden Nieselregens die Gelegenheit genutzt und einen Spaziergang gemacht, vorbei am Campingplatz hin zum Tennisklub, der einen knappen Kilometer südlich des Auenviertels mitten zwischen den Feldern lag. Florian war immer ein wenig wehmütig zumute, wenn er hier entlangging. In den letzten Jahren hatte er kaum Gelegenheit gefunden, den Schläger in die Hand zu nehmen und sich zu einem Match zu verabreden. Hinzu kam, dass die Tennispartner seiner Kindheit und Jugend mittlerweile