Mühlviertler Blut. Eva Reichl

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Название Mühlviertler Blut
Автор произведения Eva Reichl
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783839256565



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deutete sie hinter Stern und Grünbrechts Rücken, wo an der Wand ein Kruzifix hing.

      »Aber … aber das ist doch nur …« Der Chefinspektor brach ab, überlegte kurz und änderte die Taktik. »Sollen wir es abnehmen?«

      Die Frau nickte, sagte aber kein Wort.

      Grünbrecht ging zur Wand, nahm das Kreuz ab und legte es in die Kammer seitwärts des Pfarrsaals. Bestimmt kamen sie so schneller an ihr Ziel, dachte Stern und auch, dass es keinen Sinn machte, über Dinge wie Aberglaube zu diskutieren. Anschließend war die Frau tatsächlich bereit zu reden, und Stern und Grünbrecht waren überrascht, was sie zu hören bekamen.

      »Also, der Herr Pfarrer ist ein ganz Schlimmer!«, begann Rosa Hintersteiner zu berichten. »Der hält sich selber nicht an die Zehn Gebote, obwohl predigen tut er sie jeden Sonntag, und das ganz eindringlich! Zehn Ave-Maria hab ich jedes Mal beten müssen, wenn ich zu ihm beichten gegangen bin. Und selber? Pah!« Die Frau verzog das Gesicht zu einer Grimasse, die verdeutlichte, was sie von dem Priester hielt.

      »Von welchem der Zehn Gebote reden wir denn hier, Frau Hintersteiner?«, fragte Stern neugierig. Endlich schienen sie auf eine Spur gestoßen zu sein.

      »Von allen, Herr Hauptkommissar! Von allen!«

      »Chefinspektor«, korrigierte Stern die aufgebrachte Rosa Hintersteiner. »Kommissare gibt es nur in Deutschland. In Österreich sagen wir Inspektoren.«

      »Das ist mir wurscht, Herr Hauptkommissar. Ich nenne Sie, wie S’ wollen, meinetwillen auch Inspektor. Viel wichtiger ist, dass Sie endlich etwas gegen den Pfarrer unternehmen. Verhaften S’ ihn! Das ist nämlich ganz ein Schlimmer, wissen S’!«

      Stern zog die Augenbrauen hoch und überlegte, ob er die Frau tatsächlich richtig verstanden hatte. Sie verlangte doch allen Ernstes, dass er einen Toten verhaften solle!

      »Aber der Pfarrer ist doch tot«, erwiderte er, während seine Verwirrung den Höhepunkt erreichte und jene der alten Frau sich in erkennbare Erleichterung verwandelte.

      »Tot ist er, sagen S’? Na dann ist’s ja gut. Jetzt hat er sich vor unserem Herrn zu verantworten.« Rosa Hintersteiner stand auf und wandte sich zum Gehen.

      »Warten Sie! Was hat er denn so Schlimmes angestellt, der Herr Pfarrer, dass wir ihn hätten verhaften müssen?«, fragte Stern rasch.

      »Über Tote soll man nicht schlecht reden, Wissen S’ denn gar nichts?«, erwiderte die alte Dame und sah den Chefinspektor tadelnd an. Der war zu überrascht, als dass er darauf etwas hätte sagen können. Etwas Ordentliches und kein Fluchen. Bis er sich allerdings wieder gefangen hatte, war Rosa Hintersteiner zur Tür hinaus.

      »Was war das denn eben?«, fragte Grünbrecht.

      Stern schüttelte den Kopf. »Wenn das so weitergeht, können Sie mich am Ende der Vernehmungen in ein Irrenhaus bringen.«

      »Dann sind wir mal gespannt, wer als Nächstes kommt.« Die Gruppeninspektorin holte einen Stuhl aus der Abstellkammer und setzte sich damit neben ihren Chef. Anscheinend dachte sie, dass er seelischen Beistand benötigte. Na gut, das tat er auch. Irgendwie. Er wusste nur noch nicht, ob seine Kollegin die Richtige dafür war.

      Der nächste Auskunftswillige war der örtliche Bäcker. Er überraschte die Kriminalbeamten nicht nur mit mitgebrachten frischen Semmeln, welche er ihnen zu Beginn feierlich überreichte und deren Duft Stern sofort in die Nase kroch, dass sich der Speichel in seinem Mund nur so ansammelte, sondern auch mit einem Gerücht: »Man hört ja, dass ein Vampir der Täter g’wesen sein soll.«

      »Ein Vampir?«, wiederholte Grünbrecht eine Spur zu laut und lachte, um zu verdeutlichen, wie absurd das war.

      »Ja, wegen der Bissmale am Hals.« Der Bäcker deutete mit der Hand auf seinen eigenen Hals, wo er die Wundmale vermutete, und Stern wünschte den geschwätzigen Revierinspektor sonst wohin.

      »Von wem haben Sie das denn, das mit den Bissmalen?«, fragte er dennoch und legte die Semmel schweren Herzens auf den Tisch. Er würde sie später essen, jetzt musste er erst mal das mit den Vampiren, und dass Plattlbauer es überall herumerzählte, verdauen. Dann überlegte er, ob er das Kreuz, das Grünbrecht vorhin abgenommen hatte, zurück an die Wand hängen sollte. Sozusagen als Abwehr gegen Vampire und das abergläubische Volk.

      »Der Plattlbauer hat es mir erzählt. Er hat die Leich ja g’sehen, wie sie da auf dem Altar g’legen ist«, bestätigte der Bäcker Sterns Vermutung. Er seufzte und nahm sich vor, sich den Revierinspektor gehörig zur Brust zu nehmen. Der konnte doch nicht einfach durch die Gegend laufen und Details vom Fall ausplaudern!

      »Jetzt hören Sie mal, wir wissen noch nicht, womit der Pfarrer ermordet worden ist. Aber eines wissen wir genau, nämlich, dass es keine Vampire gibt, weder hier in Liebenau noch sonst wo. Außer Sie meinen jene, die sich neue Steuern einfallen lassen und damit den Leuten das Geld aus der Tasche ziehen. Das sind die echten Blutsauger, um die sollten Sie sich Gedanken machen, wenn Sie das nächste Mal zur Wahlurne pilgern.« Mit diesen Worten entließ Stern den Bäcker, nicht aber ohne sich vorher noch einmal für die frischen Semmeln zu bedanken.

      Die Schlange der Redewilligen vor dem Pfarrhaus riss nicht ab. Liebenau schien ein gesprächiger Ort zu sein. Bis kurz vor 23:00 Uhr saßen Stern und Grünbrecht im provisorischen Vernehmungsraum im Pfarrsaal und hörten sich an, was die Liebenauer über ihren toten Pfarrer zu erzählen bereit waren. Resümierend konnte sich Stern kein zufriedenstellendes Urteil über den Priester bilden. Weder war er besonders beliebt gewesen, noch hatte man ihn gehasst. Er war kein Engel gewesen, aber auch keine Ausgeburt des Teufels. Ein Mensch mit Fehlern halt, so wie jeder andere auch, nur eben im Priestergewand. Also hatte Stern nichts außer der Gewissheit, dass die Küche beim Brücklwirt bestimmt schon geschlossen hatte und sein Magen vorsorglich zu revolutionieren begann. Die Semmeln des Bäckers hatten er und Grünbrecht bereits vor Stunden verzehrt.

      Als die Kirchenuhr elfmal schlug, stieß Stern die Tür in die Gaststube des Brücklwirts auf. Rauch quoll ihnen entgegen, so dick, dass Stern im ersten Moment dachte, er müsste die Feuerwehr alarmieren. Von rauchfreien Zonen, wie sie in der Stadt längst üblich waren, hatte man in Liebenau wohl noch nie etwas gehört. Kurz kam es ihm in den Sinn, die Kollegen der Gewerbebehörde zu informieren, wollte aber, wenn sie doch etwas zu essen bekämen, über diesen Verstoß hinwegsehen. Außerdem hing an der Wand ein großer Flachbildfernseher. Bestimmt hatten die Fußballbegeisterten das Eröffnungsspiel der Weltmeisterschaft angesehen. Nun aber war es vorbei, und es liefen Nachrichten, die niemanden zu interessieren schienen. Der Ton war sogar so weit zurückgedreht, dass man nur die sich bewegenden Münder der Sprecher sah und Lippen lesen können müsste, um zu verstehen, was sie sagten.

      »Na, der Herr Hauptkommissar und seine Kollegin«, begrüßte ihn die Wirtin, als wären er und Grünbrecht tagtäglich hier. Die Frau hatte ausladende Hüften und in ein Dirndl eingequetschte Brüste, die aus ihrer Bluse zu springen drohten. Sie stand hinter dem Tresen und zapfte mehrere Halbe.

      »Chefinspektor«, korrigierte Stern zum wiederholten Mal. Diese ganzen deutschen Krimi-Fernsehserien waren schuld daran, dass alle ihn mit Kommissar ansprachen.

      »Na, wenn S’ meinen«, sagte die Wirtin gelassen. Die Liebenauer schienen sich für korrekte Berufsbezeichnungen nicht zu interessieren. Kommissar oder Inspektor? Was machte das schon für einen Unterschied, dachten sie bestimmt, Hauptsache, er fand den Mörder ihres Pfarrers. Die Wirtin nahm zwei Schlüssel vom Haken und überreichte einen Stern. Den anderen hielt sie Grünbrecht hin. »Ihre Zimmer!« Anschließend stellte sie eine frisch gezapfte Halbe vor Stern am Tresen ab und fragte Grünbrecht: »Wollen S’ ein Glaserl Veltliner haben?«

      »Ich hab doch noch gar nichts bestellt«, wies Stern die Frau auf diesen Umstand hin und deutete auf das Glas vor ihm, gefüllt mit goldgelbem Weizen. Anscheinend konnte die Frau bis in seine Seele blicken, dachte er.

      »Sie beide sehen aber aus, als könnten S’ das jetzt gebrauchen. Geht aufs Haus. Übrigens, ich bin die Miezi Brückl. Haben S’ denn kein Gepäck?«

      »Oskar Stern, und das ist meine Kollegin …« Der Chefinspektor deutete auf Grünbrecht,