Mühlviertler Blut. Eva Reichl

Читать онлайн.
Название Mühlviertler Blut
Автор произведения Eva Reichl
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783839256565



Скачать книгу

etwas Ähnliches, wie Weber es beschrieben hat, also Stricknadeln, Nägel oder dergleichen.«

      »Hab ich schon. Während Sie mit Weber geredet haben.«

      »Natürlich haben Sie das.« Stern wusste um die Dienstbeflissenheit seiner jungen Kollegin Bescheid. »Und? Spannen Sie mich nicht auf die Folter.«

      »Sie sagen, dass sie noch nichts gefunden haben, was als Tatwaffe infrage kommt.«

      »Gibt es Überwachungskameras?«

      »Das hier ist eine Kirche, Chef!« Grünbrecht klang entrüstet und war sich sicher, dass eine Antwort aufgrund dessen, dass sie in einem Gotteshaus standen, überflüssig war.

      »Gibt es draußen vor der Kirche vielleicht Kameras? Möglicherweise sehen wir ja, wie der Priester und der Mörder die Kirche betreten haben und nur der Mörder sie verlassen hat.« Stern wusste schon, während er sprach, dass sich sein Wunsch nicht erfüllen würde. Überwachungskameras passten genauso wenig zu einer Kirche wie Pommes frites und Burger zu einer Diät.

      »Es würde mich wundern, wenn es in Liebenau auch nur eine einzige Überwachungskamera gibt«, antwortete Grünbrecht. »Ich kann mal nachfragen, aber zu viele Hoffnungen würde ich mir nicht machen.«

      Der Chefinspektor brummte als Antwort. Er hatte das volle Ausmaß der Tragödie erkannt. Das hier war kein Fall, den man schnell im Vorbeigehen löste, weil die Fakten ohnehin klar am Tisch lagen und der Täter allen bestens bekannt war. Die Aufklärung dieses Falls nahm bestimmt mehrere Tage in Anspruch, wenn nicht sogar Wochen. Schließlich hatte sich der Täter die Mühe gemacht, den Leichnam theatergerecht zu inszenieren. Da hatte er sicher ebenso genügend Zeit dafür aufgewendet, alle Spuren zu beseitigen. Jetzt wusste Stern, warum der Dienststellenleiter etwas von mysteriös und diabolisch dahergeredet hatte.

      »Na, dann«, sagte er und wandte sich von dem Toten ab.

      »Dann jagen wir also einen Vampir«, sagte Grünbrecht lapidar, ohne zu ahnen, dass sie sich damit Sterns Unmut zuzog.

      »Das ist doch lächerlich!«, fuhr der sie gleich an. Doch lächerlich hin oder her: Sie beide saßen solange in Liebenau fest, bis sie den Mörder überführt hatten. Wie lange das dauern würde, wusste Stern nicht. Er wusste auch nicht, ob es überhaupt einen Vernehmungsraum gab. Außerdem brauchten sie jemanden, der sie in das örtliche Geschehen einweihte, der ihnen verriet, wer es mit wem trieb und wer mit wem Streit hatte. Dinge, die nur ein Liebenauer wissen konnte – Plattlbauer! Der hatte doch eingangs erwähnt, dass er aus Liebenau stamme, demnach alles über die hiesige Bevölkerung wissen müsste oder zumindest in Erfahrung bringen konnte. Städtern, wie Stern und Grünbrecht es waren, würden die Menschen hier nichts erzählen, zumindest nichts, was sie ihnen nicht eigenhändig aus der Nase zogen. Stern hoffte nur, dass die schaurigen Schilderungen Webers keine langfristigen Schäden im Nervengerüst des Revierinspektors hinterlassen hatten.

      »Wo zum Kuckuck steckt eigentlich Plattlbauer?«, fragte er Grünbrecht, als er in die leere erste Bankreihe blickte.

      »Sie haben ihn doch selber nach draußen geschickt, nachdem er alles vollgekotzt hat«, erinnerte Grünbrecht ihn an den unschönen Abgang des Kollegen.

      »Ja, Sie haben recht.«

      »Ich habe immer recht«, sagte Grünbrecht selbstbewusst.

      Der Chefinspektor wandte sich daraufhin seiner Kollegin zu. »Grünbrecht, wenn Sie das glauben, sind Sie ein Grünschnabel.« Das Wortspiel mit Grünbrechts Namen gefiel ihm und zauberte ein Lächeln in sein Gesicht. Dann wandte er sich ab und verließ die Kirche. Hier waren sie mit ihrer Arbeit fertig. Er deutete den Kollegen der Spurensicherung, dass Kirche und Pfarrer nun gänzlich ihnen gehörten.

      Am Kirchenplatz war indessen Volksfeststimmung eingekehrt. Für Revierinspektor Plattlbauer war der zuvor erlittene Exkurs in die Anatomie des Menschen im Augenblick wohl das geringste seiner Probleme. Er war vollends damit beschäftigt, die ständig über die Absperrung tretenden Schaulustigen einzufangen, sie zu verwarnen und auf ihre Plätze zurück zu verfrachten. Er schwitzte, und seine Gesichtsfarbe hatte sich von dem innerkirchlichen Weiß in ein schweißtreibendes Rot gewandelt.

      Hier am Land war tatsächlich alles anders, dachte Stern. Die Leute hatten keinerlei Respekt vor einer Uniform, weil deren Träger einer aus ihren Reihen war, mit dem man sich duzte und abends ein Bier trinken ging. Aber er war keiner von ihnen.

      »Alles herhören!«, brüllte er, sich seiner Autorität als Chefinspektor der Linzer Kriminalpolizei sicher fühlend.

      Niemand reagierte. Nicht ein Einziger nahm Notiz von ihm. Der Lärmpegel stieg sogar weiter an, als wollte man sein Geschrei übertönen. Da steckte Plattlbauer die Finger in den Mund und stieß wie beim Anpfiff des am Abend stattfindenden Eröffnungsspiels der Fußballweltmeisterschaft einen schrillen Pfiff aus. Das ließ ein Raunen wie eine La Ola durch die Menge schwellen, die schlussendlich doch verstummte. Erwartungsvoll richteten sich unzählige Augenpaare auf Stern, der ihnen scheinbar etwas zu sagen hatte. Hoffentlich etwas Spektakuläres über den Todesfall.

      »Mein Name ist Oskar Stern. Ich bin Chefinspektor am Landeskriminalamt in Linz. Wie Sie wissen, hat man Ihren Pfarrer tot in der Kirche aufgefunden. Er ist ermordet worden. Wir werden unser Bestes tun, um den Täter so rasch wie möglich zu finden. Wer sachdienliche Hinweise hat, möge sich bitte bei mir melden. Wir werden …« Weiter kam Stern nicht. In einem aufwallenden Getöse aus Rufen und Geschrei gingen seine letzten Worte völlig unter. Plötzlich hatte jeder etwas zur Aufklärung des Falls beizutragen. Die Menschen schrien durcheinander und wussten Dinge, die mit dem Fall zu tun hatten – oder auch nicht. Stern war nicht in der Lage, wichtige Informationen von unwichtigen zu trennen. Er verstand lediglich Wortfetzen und konnte nicht herausfiltern, wer nun als Zeuge vernommen werden sollte und wer bloß Tratsch verbreitete. Na, das kann ja heiter werden, dachte er und verfluchte den Mörder, der sich ausgerechnet das tiefste Mühlviertel zum Töten ausgesucht hatte.

      »Wir brauchen einen Vernehmungsraum! Wo können wir uns einquartieren, Plattlbauer?«, fauchte er missgelaunt.

      »Bestimmt im Pfarramt«, fiel dem Revierinspektor auf Anhieb ein. »Ich bin mir sicher, dass der Pfarrer nichts mehr dagegen hat.« Plattlbauer grinste und suchte im Gesicht des Chefinspektors nach einer Reaktion, die unweigerlich diesem Scherz folgen müsste, doch die blieb aus. Schlimmer noch! Stern zog missbilligend die Augenbrauen hoch, machte am Absatz kehrt und verschwand in der schwatzenden Menge. Jedoch tauchte er von dort nach nur wenigen Augenblicken wieder auf, bahnte sich mittels Ellbogentechnik den Weg zurück und fragte: »Wo ist das Pfarramt?«

      »Dort lang!« Plattlbauer deutete in die entgegengesetzte Richtung.

      Ohne ein weiteres Wort zu sagen, marschierte der Chefinspektor an Plattlbauer und Grünbrecht vorbei, alles und jeden verfluchend, und ohne zu bemerken, dass ihm eine Schlange Auskunftswilliger wie bei einer Bierzeltpolonaise folgte.

      2. Kapitel

      Vor dem Pfarramt holten Gruppeninspektorin Mara Grünbrecht und Revierinspektor Josef Plattlbauer den Chefinspektor endlich ein. Plattlbauer öffnete die Tür und hielt sie für die Kriminalbeamten auf. Stern schritt wortlos an ihm vorüber, doch Grünbrecht bedankte sich bei ihm mit einem Lächeln, worauf Plattlbauers Gesichtszüge sich freudig erhellten. Um davon abzulenken, wies er die Liebenauer, die ihnen bis hierher gefolgt waren, um eine Aussage zu machen, an, sie mögen doch bitte draußen warten, bis man sie riefe, und schob anschließend aus einer Abstellkammer einen Tisch und zwei Stühle in den Pfarrsaal. Das alles platzierte er in der Mitte im vorderen Bereich und sagte, als er sein Werk begutachtete: »Das muss als Provisorium für die Vernehmungen reichen.« Dabei schielte er zu Grünbrecht hinüber, deren dunkelbraune Locken im Nacken wie junge Kitze hin und her hüpften. Als ihre haselnussbraunen Augen sich mit den seinen trafen, wandte er den Blick ab und rückte noch einmal die Stühle zurecht, was aber völlig überflüssig war.

      »Gut, Plattlbauer. Jetzt bringen Sie mir Papier und einen Stift, denn ein Aufnahmegerät wird es ja wohl nicht geben …«, unterbrach Stern, ohne es mitzubekommen, das Balzverhalten des ländlichen Kollegen, und setzte sich an den Tisch.

      »Nein,