O du fröhliche, o du grausige. Friederike Schmöe

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Название O du fröhliche, o du grausige
Автор произведения Friederike Schmöe
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783839266601



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ich mitbekommen, kam vorhin rein. Mit Bilddatei.«

      Du hast es natürlich nicht für nötig befunden, mich anzurufen, dachte Bella wütend. Im Stillen dankte sie dem Oberkommissar für den Tipp.

      »Ich habe eine Extrainfo. Die müssen wir morgen noch bringen. Reservier mir mehr Platz.«

      »Du hast Nerven. Ich …«

      »Noch ist genug Zeit bis zum Andruck!« Bella holte tief Atem. Bloß jetzt nicht in die Luft gehen. »Mariella Fonti war das Aupair einer Silldorfer Familie. Sie hatte Drogen satt im Blut.«

      Wolters blieb eine Weile still. Bella meinte, sein Gehirn ticken zu hören. Also war die Information neu für ihn.

      »Ich will den Artikel bis halb acht.«

      »Krieg ich hin.« Sie legte auf.

      »Bella? Was haben wir denn im Kühlschrank?«, ließ sich Diethard hinter ihr vernehmen.

      Hektisch griff Bella nach Handy, Notizblock und Stift.

      »Tür aufmachen und reinschauen.«

      »Haben wir Tomaten da?«

      »Du machst Witze. Mitten im Winter?«

      »Wo gehst du denn hin?«

      »Ich habe gestern eine sterbende Frau auf der ›Narbe‹ gefunden. Allem Anschein nach lebte sie bei uns im Dorf.«

      »Du hast was?« Diethard guckte sie mit offenem Mund an. »Warum hast du nichts erzählt?«

      »Weil du längst geschlafen hast, als ich heimkam, und heute Morgen habe ich es nicht hingekriegt.« Was sollte sie schon sagen. Er kannte ihre morgendliche Existenzkrise, seit sie beide zusammenlebten. Fast 30 Jahre.

      »Du lieber Himmel. Ich …« Er hörte sich ehrlich erschrocken an.

      »Wolters hat mir die Story gegeben. Ich stehe bald wieder der Familie zur Verfügung, aber jetzt muss ich mich sputen. Schau bitte ab und zu nach Josef.«

      Diethard hatte selten Verständnis für so eine simple Sache wie einen Redaktionsschluss gehabt. Sie schob sich an ihm vorbei in die Diele. Lugte durch die Wohnzimmertür. Ihr Vater war eingeschlafen. Schlaff hing sein Kinn knapp über der Brust. Leises Schnarchen drang aus dem Zimmer.

      Sie schlüpfte in ihre Stiefel.

      »Ist noch mehr Brot da?«, hörte sie Diethard rufen. »Die paar Scheiben im Brotkasten reichen wohl kaum.«

      Den Anorak vom Haken nehmend, flüchtete sie aus dem Haus.

      10

      Bella fuhr die paar Meter mit dem Auto. Das Haus der Kesslers hockte hell erleuchtet im Garten. Schneematsch zierte den Rasen, jemand hatte den Weg halbherzig freigeschaufelt. Ein Schlitten lag neben der Hecke, die Kufen nach oben. Als Bella das Gartentor aufstieß, flammte Flutlicht auf.

      Sie klingelte, verstaute gleichzeitig Block und Stift in der Anoraktasche.

      Das Licht in der Diele ging an. Sabine Kessler öffnete.

      »Hallo? Ach, Frau Graukorn …«

      Unsicher lugte die junge Frau durch den Türspalt. Peter Kessler hatte sie über ein Internetportal kennengelernt. Im Dorf war darüber getratscht worden. Sabine kam aus dem Steigerwald, das war kilometermäßig kein großes Ding, aber mental durchaus. Peter, der auch mit fast 40 noch keine abgekriegt hatte, lud sich eine viel jüngere Frau aus dem Netz runter. Hinter vorgehaltener Hand hatte man gefeixt. Bella betrachtete das müde Gesicht von Sabine Kessler.

      »Einfach Bella. Ich schreibe für die Zeitung.«

      »Ich weiß.« Sabine wischte sich über die Stirn. »Es ist so furchtbar.«

      Irgendwo im Haus ertönte ein lang gezogener Klagelaut, der schnell in wütendes Gebrüll überging. »Mariella!!!«, plärrte eine Kinderstimme.

      »Marlon haben wir natürlich nichts erzählt«, fuhr Sabine fort. »Er hängt so an Mariella!«

      »Kann ich vielleicht reinkommen?«, bat Bella. »Es ist recht schattig draußen.«

      »Ach so, ja.« Erschrocken über ihre eigene Unhöflichkeit trat Sabine beiseite. »Aber kein Wort zu Marlon! Wir haben ihm gesagt, Mariella musste für eine Weile nach Italien.«

      »Ist Mariella gekommen?« Das Kind fegte in die Diele. Ein übergewichtiger Satansbraten mit intelligenten Augen und dem Durchsetzungsvermögen eines Mafiapaten.

      »Nein, das ist Bella Graukorn.«

      Zornig funkelte Marlon Bella an. »Wo ist Mariella?«

      »Das weiß ich leider nicht«, sagte sie. Die Uhr lief. Sie brauchte ein paar emotionale Momentaufnahmen, mit denen sie ihren Artikel aufpeppen konnte. Die leidende Gastfamilie, das unzufriedene Kind, man weint um Mariella. So in der Art.

      Marlon rutschte auf seinen Noppensocken durch die Diele, trommelte mit den Fäusten gegen die Wand.

      »Im Dorf sagen sie, du hättest Mariella gefunden.«

      »Ja, das stimmt.«

      »Hat sie gelitten?«

      »Sie war nicht mehr bei Bewusstsein. Wahrscheinlich wurde sie durch den Aufprall gleich so schwer verletzt, dass sie nichts mehr mitbekam.«

      »Hoffentlich.«

      »Sabine«, Bella legte der jungen Frau die Hand auf den Arm. »Ich muss dir das so offen sagen: Ich brauche ein bisschen Stoff für die Zeitung. Mariellas Bild ging an die Redaktionen. Man möchte herausfinden, was sie in den drei Stunden, nachdem sie das Haus verlassen hatte, gemacht hat. Bevor der Unfall passierte. Vielleicht hat sie ja jemand gesehen.«

      Sabine nickte ergeben.

      Marlon wandte sich um und watschelte zu den beiden Frauen.

      »Seit wann lebte Mariella denn bei euch?«

      »Seit Mitte Oktober.«

      »Ich dachte, ihr hättet ein französisches Aupair gehabt.«

      »Hatten wir auch, allerdings kam Emilie mit Marlon überhaupt nicht zurecht.«

      Wundert mich nicht, dachte Bella, die zusehen musste, wie Marlon an der Jeans seiner Mutter riss. Der Fünfjährige entwickelte eine Heidenkraft, der seine zierliche Mutter kaum standhalten konnte.

      »Ich will Mariella. Warum ist Mariella nicht hier? Und Lüneburg!«, kreischte Marlon.

      »Lüneburg?«

      »Der Beagle«, antwortete Sabine. »Er ist auch weg. Lass das, Marlon.«

      »Ihr habt einen Hund?«

      »Marlon wollte so gern einen.«

      »Lüneburg ist mein Hund!«, trompete Marlon. »Meiner.«

      Uff, dachte Bella. Wenn der Beagle genauso schwer erziehbar ist …

      »Wir haben Lüneburg aus dem Tierheim geholt. Mariella mochte Hunde. Lüneburg ist drüben am Mainufer aufgefunden worden, er war verletzt, irgendwas an der Pfote, und niemand meldete sich, keiner wollte ihn wiederhaben, also haben wir ihn genommen.«

      Die Scheinwerfer eines Wagens krochen über das Dielenfenster. Sabine machte keine Anstalten, Bella den Anorak abzunehmen oder sie weiter ins Haus zu bitten. In der Wärme kroch Bella der Schweiß aus den Poren.

      »Wie gefiel es Mariella bei euch?«

      »Sie war zufrieden. Fand gleich einen Draht zu Marlon. Ich bin Lehrerin, ich wollte dieses Jahr wieder arbeiten. Es klappte nicht, Marlon blieb nicht bei Emilie, und mein Chef hat mir nahegelegt, es lieber im nächsten Schuljahr zu probieren.«

      »Wie sieht es mit Kindergarten aus?«

      Sabine winkte ab.

      Marlon hatte vom Hosenbein seiner Mutter abgelassen und begann nun, ihre Füße zu