O du fröhliche, o du grausige. Friederike Schmöe

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Название O du fröhliche, o du grausige
Автор произведения Friederike Schmöe
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783839266601



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      »Sie war um die 20. Eher jünger als älter. Ich muss jetzt weiterarbeiten.«

      »Danke für die Auskunft.« Bella legte auf.

      Der Typ nervte, aber er hatte recht: Welche Frau würde gern nachts bei Schneetreiben auf den Äckern herumspazieren? Kaum eine.

      Und welcher Irre raste mit einem SUV in der Dunkelheit mit hoher Geschwindigkeit über die »Narbe«? Es gab zu viele Irre.

      Bella legte den Stift weg. Auf ihrem Zettel stand ganz unten:

      Wer ist sie?

      Warum war sie nachts auf der »Narbe«?

      5

      »Papa, ich muss kurz weg. Kommst du zurecht?«

      Josef Blum richtete seinen hageren Körper auf. Eben noch hatte er über Diethards Tablet gebeugt eine Netflix-Serie angesehen.

      »Natürlich, Melanie.«

      Sie setzte sich neben ihn. »Bella.«

      »Ach. Bella.« Ein Lächeln leuchtete auf. »Meine Lieblingstochter. Wo ist denn Melanie?«

      »In Bamberg. Sie studiert, Papa, und hat ihre eigene Studentenbude.«

      »Stimmt, stimmt.« Josef strich sich über die Stirn, als geriete er ins Schwitzen bei dermaßen vielen Informationen. »Wann kommt sie denn heim?«

      »Vielleicht am Wochenende«, wich Bella aus, wohl wissend, dass ihr Vater die Antwort bald vergessen haben würde. Ihre Tochter Melanie probierte sich gerade in ihrem eigenen Leben aus, hatte einen Freund, einen gewissen Ed, ein schlaksiger Knabe, der seinen Pubertätspickeln noch nicht ganz entwachsen war. Manches Mal hatte Bella Melanie gebeten, bei ihrem Großvater nach dem Rechten zu sehen, vielleicht ein- oder zweimal die Woche, aber selbst dazu war Melanie sich zu fein gewesen.

      »Am Wochenende.« Josef Blum blickte auf seinen Arm. »Warum habe ich den Gips?«

      »Das ist nur eine Schiene, Papa, keine Sorge. Die kommt bald weg. Nur um deine Knochen zu stabilisieren, verstehst du?«

      Josef hatte sich vor zwei Wochen die Hand gebrochen. Die anschließende Operation inklusive Narkose hatte ihn völlig aus der Bahn geworfen. So sehr, dass Bella ihn zu sich nach Hause holte, wo er nun in Melanies Zimmer wohnte und zunehmend die Orientierung verlor.

      »Wann werde ich eigentlich operiert?«

      Er fragte ab und zu nach. Dabei war er längst operiert. Bella brach es das Herz, wenn er sie so konfus und ängstlich ansah, als fürchte er sich jedes Mal neu vor dem Eingriff.

      »Du hast es schon hinter dir. Vor 14 Tagen. Weißt du noch?« Bella hatte jede freie Minute bei ihm in der Klinik verbracht, weil er extrem abbaute und seine Verwirrung sich nur legte, wenn er seine Tochter bei sich hatte. Ihren Redakteur hatte sie mit permanenter Abwesenheit auf die Palme gebracht und ihre Artikel nach diversen Abendterminen in tiefer Nacht getippt.

      »Ach so? Wie gut!« Erleichtert wandte der alte Mann sich wieder dem Tablet zu.

      »Schau dir in Ruhe deine Serie an!« Bella küsste ihn auf die stoppelige Wange. »Ich bin nur kurz weg, in Ordnung?« Für Momente überlegte sie, ob sie ihre Nachbarin Hilde bitten sollte, ihrem Vater Gesellschaft zu leisten, verwarf den Gedanken jedoch gleich wieder. Hilde nervte auf ganzer Linie und stellte ohnehin dermaßen viele Ansprüche an Bella, dass sie besser unsichtbar blieb. Wenn sie daran dachte, dass sie ab Sonntag für den dörflichen Weihnachtsmarkt eingespannt war, wurde ihr blümerant. Wie jedes Jahr erwartete Hilde Kaminsky und mit ihr die Dorfgemeinschaft, dass jeder sich mit allen seinen Mitteln und Kräften für den Weihnachtsmarkt engagierte. Bella hatte bereits daran gedacht, Diethard zu bitten, seinen Jahresurlaub auf die Vorweihnachtszeit zu legen, um dieser Verpflichtung zu entkommen. Aber Hilde war unerbittlich. Als nicht berufstätige Vollzeitmutter ans Haus gefesselt, welches ihre beiden pubertierenden Söhne Tim und Simon täglich in wildes Chaos verwandelten, suchte sie sich Bestätigung im Organisieren des Dorflebens. Der Weihnachtsmarkt war darin der uneingeschränkte Mittelpunkt, sozusagen Epizentrum des wahren und rechten Lebens.

      Josef war bereits in seinen Film vertieft.

      Rasch schlüpfte Bella in ihren Anorak und glitt aus dem Haus.

      6

      Bella bremste den Mini ab. Es schneite aus grauen Wolken. Friedfertiges Grauweiß bedeckte die »Narbe«. Von Seiten des Dorfes war der Flurbereinigungsweg durch Flatterband gesperrt. Vermutlich auch von der Siedlungsseite. Ein Wagen parkte direkt vor dem Band. Bella hielt daneben, setzte ihre rote Pudelmütze auf, kramte ihren Presseausweis aus der Seitenablage und marschierte los.

      Ein Mann in einem dicken Parka stand an der Stelle, wo Bella die Frau gestern gefunden hatte, und starrte verdrießlich auf den Boden. Unbeholfen ging er in die Hocke.

      »Grüß Gott!«, rief Bella gegen den Wind.

      »Hier ist gesperrt. Haben Sie zufällig das Band gesehen?«

      »Bella Graukorn. Ich schreibe für die Tageszeitung.« Sie zog ein Päckchen Mentos aus der Tasche. »Möchten Sie?«

      »Von mir aus.« Er nahm eins. »Sind das nicht die lebensgefährlichen Kaubonbons? An denen man stirbt, wenn man sie mit Cola isst?«

      »Dann trinken Sie halt kein Cola dazu.«

      Er steckte den Drops in den Mund. »Danke für den Rat.«

      »Sind Sie von der Polizei?«

      Der Mann knurrte etwas Unverständliches.

      »Ich habe die Frau gestern Abend gefunden.«

      »Ach, Sie waren das? Ich habe Ihre Zeugenaussage gelesen. Wir werden Sie vielleicht noch einmal reinbestellen müssen.«

      »Haben Sie schon …«

      »Nein, ich habe noch nicht.«

      Du glaubst doch wohl nicht, dass ich mir von patzigen Mitmenschen den Schneid abkaufen lasse!

      »Der Unfallfahrer muss das Opfer auf den Acker geschleudert haben. Sie hat sich dann noch zum Weg zurückgeschleppt«, brachte sie ihr Wissen vor.

      Der Mann stemmte sich hoch, stülpte zum Schutz vor dem Schnee die Kapuze über den spärlich behaarten Kopf.

      »Was wollen Sie hier?«

      »Mein Trauma bewältigen.« Bella streckte die Hand aus. »Und meine Arbeit machen. Schließen Sie Frieden mit mir, ich bin kein Sicherheitsrisiko.«

      »Oberkommissar Köhler. Werner.« Er schlug ein. Eiskalte Pranke. »Der Schnee hat die Spuren zugedeckt, aber sehen Sie diese Vertiefung da im Acker?« Er deutete hin. »Da ist sie aufgeschlagen. Der Aufprall hat sie durch die Luft geschleudert. Die Spurenlage war gestern Nacht noch ein bisschen besser. Wir haben Fotos. Sie ist dann tatsächlich bis hierher gekrochen.«

      »Wo ich sie gefunden habe. Ich dachte zuerst, da liegt ein Stück Holz oder was weiß ich.« Bella schob fröstelnd die Hände in die Anoraktaschen. »Wissen Sie, wer sie ist?«

      »Noch nicht. Sie?«

      »Ich habe sie nicht erkannt. Das Gesicht sah schrecklich aus. Irgendwie kam es mir leidlich bekannt vor. Aber ihre Züge waren verzerrt, und sie hatte schwarze Flecken unter den Augen.«

      »Wohnen Sie da drüben?« Köhler wies auf das Dorf.

      »Ja. Seit gut 20 Jahren.«

      »Stammt das Opfer aus dem Dorf?«

      »Nicht, dass ich wüsste. Wie gesagt, ihr Gesicht war ex­trem entstellt.« Bella wies mit dem Kinn zur Siedlung. »Vielleicht stammt sie von der dunklen Seite.«

      »Sie machen wohl Witze.«

      »Nein, die beiden Ortsteile sind einander nicht grün.«

      »Ach?« Köhler funkelte Bella an. »Ihr mögt euch nicht? Dabei waren Sie doch gestern dort drüben, wenn ich die Aussage