O du fröhliche, o du grausige. Friederike Schmöe

Читать онлайн.
Название O du fröhliche, o du grausige
Автор произведения Friederike Schmöe
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783839266601



Скачать книгу

ist alles wie immer, nur habe ich gestern spät in der Finsternis des Winters auf der »Narbe« einer verletzten Frau die Hand gehalten, während sie starb. Aber wenn ich jetzt den Mund öffne, um dir das zu sagen, kommt nichts raus. Weil das eben immer so ist. Die Inkubationszeit der beschissenen Nachrichten.

      »Du hättest ausschlafen können«, fuhr Diethard ungerührt fort, was Bella beruhigte, denn in ihrem unscharfen Morgenempfinden war sie sich nicht sicher, ob sie ihre Antwort eben nicht doch laut ausgesprochen hatte.

      »Hab was mit der Redaktion zu bereden.« Sie griff nach der Kaffeekanne. Leer. »Shit.«

      »Fag mal, waff if jetzt mit deinem Bruder? Kommt er oder nicht?« Krümel spritzten aus Diethards Mund.

      Bella stemmte sich hoch.

      Kaffee! Sonst garantiere ich für nichts!

      Sie kratzte das verbrauchte Pulver aus der French Press, gab frisches hinein, heizte das Wasser auf. 95 Grad.

      »Bella? Was meinst du wegen Rolf? Wir hatten Weihnachtspläne, weißt du noch?«

      »Grrrnnprrwsch«, murmelte Bella und goss das heiße Wasser in die Kanne.

      »Was?« Diethard sah sie verdutzt an. »Du hast es doch nicht vergessen?«

      »Nein, Liebster, wie könnte ich.« Der Satz kostete sie alle Kraft. Wie ein Junkie sog sie den Kaffeeduft ein. Allein der Geruch half manchmal. Heute war kein solcher Tag. »Er wollte am Wochenende kommen.«

      »Heute ist schon Donnerstag.«

      »Also morgen. Er kommt morgen. Wahrscheinlich. Oder übermorgen.« Bella hielt sich an der Arbeitsplatte fest. Ihr Gehirn war nicht ausreichend durchblutet. Daran musste es liegen. Die Welt schwankte.

      Diethard seufzte theatralisch. »Möge er sich nicht bis Weihnachten hier einnisten. Bei seiner ersten Ehekrise lief es auf einen Langzeitaufenthalt hinaus.«

      »Er muss arbeiten, also keine Sorge.«

      »Umso besser. Und Emmy passt auf deinen Vater auf?«

      »Ab nächster Woche hat sie Zeit.« Bella rieb sich das Gesicht und schob dabei ihre Augenbrauen, Wangen und Mundwinkel in eine Position, die man als angemessen freundliche Mimik für »morgens sieben Uhr im Winter, und es ist draußen dunkel und scheißkalt« bezeichnen konnte. Die patente, geschiedene, freie Emmy Barth, die normalerweise zweimal die Woche bei ihr putzte, hatte sich bereit erklärt, ab nächster Woche täglich ins Haus zu kommen, um Bellas Vater Gesellschaft zu leisten. Nach seinem Unfall und der folgenden Operation hatte die schleichende Demenz eine ziemliche Beschleunigung vorgelegt. Unmöglich, ihn in seinem Haus in Bamberg allein zu lassen. Seit einer Woche wohnte er bei Bella und Diethard. Diethard betrachtete sich als nicht zuständig.

      »Ich muss los«, verkündete er stolz, als mache er sich auf den Weg, den letzten Säbelzahntiger zu erlegen.

      Gute Idee.

      »Ist wirklich alles in Ordnung mit dir?«

      »Hm.« Bella nickte halbherzig. Sie war nicht der Mensch, der sofort lossprudelte. Je tiefer etwas ging, desto schwieriger war es für sie, davon anzufangen. Auch wenn sie Diethard gern ihr Herz ausgeschüttet hätte – es würde Zeit brauchen, bis das Ventil sich öffnete. Und ganz bestimmt wäre es nicht am Morgen so weit.

      »Ich habe mich nur gefragt …« Unbestimmt deutete er auf drei leere Bierflaschen.

      Hätte ich die mal lieber in den Keller gebracht.

      »Ich war genervt gestern.«

      Diethard drückte ihr die Schulter, wie man es bei einem Jugendlichen machen würde, der sein erstes großes Fußballturnier verloren hat, und verschwand murmelnd in der Diele. Kurz darauf hörte sie, wie sein Wagen ansprang und sich in die Reihe der Silldorfer einordnete, die zum täglichen Existenzkampf aufbrachen.

      Bella drückte den Stempel der Kaffeekanne nach unten. Als sie ihren großen Becher, auf dem »Meine Tageszeitung am Main« stand, betankte, schlich ihr Vater in die Küche.

      »Guten Morgen, Melanie«, flötete er fröhlich.

      »Morgen, Papa«, flötete Bella zurück. Sie beschloss, es fürs Erste als Privileg zu betrachten, dass ihr Vater sie für ihre Tochter hielt.

      4

      »Bella Graukorn? Ich kenne Sie. Sie schreiben für ein Heimatblättchen, wie?«

      Danke für das Kompliment.

      »So sieht es aus. Ich werde über den Unfall gestern in Silldorf berichten.«

      Bella zündete sich eine Zigarette an. Den Pathologen musste sie sich warmhalten. Sie kannte ihn von einem Bericht über eine Veranstaltung im Naturkundemuseum. Netter Typ, vier Kinder, alleinerziehend. Wie er das hinbekam, war ihr ein Rätsel.

      »In Silldorf? Ich dachte, die Frau lag auf einem Flurbereinigungsweg? Zwischen zwei Äckern?« Der Pathologe hustete. »Jedenfalls ist sie angefahren worden. Hat etliche Knochenbrüche, gestorben ist sie allerdings an dem Milzriss, der ebenfalls durch den Unfall verursacht wurde. Sie ist innerlich verblutet. Im Prinzip hat es die Milz in zwei Teile gerissen.«

      Bella schrieb mit.

      »Können Sie etwas über den Autotyp sagen?«

      »Von dem Unfallverursacher? Es war jedenfalls kein Kleinwagen, das kann ich Ihnen versichern. Da wird die Polizei mal schön die Stecknadel im Heuhaufen suchen dürfen. Die Leute fahren ja jetzt alle solche Dickschiffe. Passen in keinen Parkplatz rein und bleiben im Parkhaus stecken. Dann meckern sie rum, dass der Beton sich nicht dehnt. Extra für sie. Sonst noch Fragen?«

      »Gibt es irgendwelche Details?« Sie drückte die Kippe aus und kramte in der Jeanstasche nach der Packung mit den Mentos.

      »Als Schmankerl für die Leser Ihrer Zeitung?«

      »Nein, als Hinweis auf etwas, das wichtig werden könnte, um herauszufinden, wer sie überfahren hat.« Sie schob sich ein Bonbon in den Mund.

      »Sie starb nicht gleich. Brach zusammen und lag dann benommen auf der Straße, vielleicht auch ohnmächtig.« Der Pathologe hustete wieder. »Wahrscheinlich wurde sie bei hoher Geschwindigkeit gerammt. Der Aufprall schleuderte sie seitwärts auf den Acker. War wohl keine sanfte Landung, sie hat sich dabei die Schädelbasis gebrochen. Ihr Anorak ist ganz voller Erde. Schätze, sie schaffte es, ein paar Meter zum Weg zurückzurobben, bevor sie gänzlich zusammenbrach. Ohnmächtig wurde oder auch nicht. Die Lage der verletzten Knochen lässt darauf schließen, dass sie sich noch einmal bewegt hat. Gekrochen ist, vermutlich.«

      Bella ließ das sacken. Vor ihren Augen flackerte das Blaulicht über die schneebedeckten Äcker.

      »Sie meinen, die Frau hat alles bei Bewusstsein mitbekommen?«

      »Um das sicher sagen zu können, müsste ich Hellseher sein. Wir checken noch, ob sie Alkohol oder Drogen im Blut hatte. Immerhin ist ein Flurbereinigungsweg in der Nacht auch nicht das Gelbe vom Ei für eine Frau heutzutage, wie?«

      »22 Uhr. Noch nicht ganz Nacht.«

      »Finster aber trotzdem.« Der Pathologe schnäuzte sich. »Verzeihung. Schnupfenviren sind so ziemlich das Gefährlichste, was wir in unseren Breiten haben. Absolut tödlich, wenn man’s zu Ende denkt. Glaubt nur keiner.«

      »Ich habe die Frau gefunden.«

      »Oh.« Er schwieg einen Moment. »Tut mir leid. Keine angenehme Erfahrung.«

      »Sie ist gestorben, während ich neben ihr hockte und auf den Rettungswagen wartete.«

      »Wie gesagt, es gibt Entspannenderes. Wollen Sie deshalb drüber schreiben?«

      Ich will drüber schreiben, weil ich eine Chance suche, endlich wieder als feste Mitarbeiterin zu einer Redaktion zu gehören. Als eine mit richtigen Storys. Mit einem richtigen Gehalt. Mit Urlaub und Weihnachtsgeld.

      »Mein Redakteur hat mir die Angelegenheit zugeteilt.«