O du fröhliche, o du grausige. Friederike Schmöe

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Название O du fröhliche, o du grausige
Автор произведения Friederike Schmöe
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783839266601



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ihrer Freizeit?«

      Ein Schlüssel wurde ins Schloss gesteckt.

      »O, da kommt Peter.«

      »Papa!«, kreischte das Kind.

      »Bella!«, rief Peter Kessler verdattert. »Was machst du denn hier?«

      »Papa!!!!«, brüllte Marlon. Es klang nicht wie eine freudige Begrüßung, eher wie eine wütende Anklage. »Wo ist Lüneburg? Hast du Lüneburg gefunden?«

      »Ich bin alle Spazierwege abgefahren, die wir je mit ihm gegangen sind. Nein, ich habe keine Ahnung, wo er steckt.«

      Sabine ließ die Schultern hängen. Marlon warf sich auf den Boden und schrie wie am Spieß. Die Eltern durchlebten eine kurze Krise, bis Peter über das Gebrüll hinweg fragte: »Also, was ist los, Bella?«

      »Ich brauche etwas für die Zeitung. Mariellas Foto liegt bereits in den Redaktionen. Irgendjemand hat sie vielleicht vor ihrem Unfall gesehen. Möglich, dass sich Zeugen melden.«

      »Komm, wir gehen ein Stück.«

      Er war schon zur Haustür draußen.

      »Tschüss, Sabine, danke«, murmelte Bella und folgte ihm, erleichtert, die kindliche Feuerwehrsirene nicht mehr ertragen zu müssen.

      »Sabine wird mit Marlon überhaupt nicht fertig«, beschwerte sich Peter.

      Bella dachte an die tickende Uhr und an den Redaktionsschluss. Sie gingen durch den Garten zur Straße. Ein dunkler SUV parkte dort.

      »Dein Wagen?«

      »Ja.«

      Sie liefen langsam den Gehsteig entlang. In den Häusern rundum brannte Licht. Man sah die Bewohner beim Abendessen sitzen, Fernsehgeräte flimmerten. Adventskränze, Lichterketten, Weihnachtsbäume, drinnen wie draußen. Alles irgendwie behaglich. Ein Dorf, das das Beste aus der dunklen Zeit des Jahres machte. Innerer Rückzug, Gemütlichkeit.

      »Deine Frau sagt, Mariella fühlte sich wohl bei euch.«

      »Ja, und sie hatte einen Draht zu Marlon. Na, sie ließ ihn machen, was er wollte, wahrscheinlich vergöttert er sie deshalb. Und sie überredete uns zu dem Hund. Hat Sabine das schon erzählt?«

      »Hatte Mariella sich eingewöhnt? Oder litt sie an Heimweh?«

      »Nein, ich glaube nicht. Sie hat abends immer am Handy mit ihren Freunden gechattet, aber das machen alle jungen Leute, und sie lernte eifrig Deutsch. Ich kann nichts Schlechtes über sie sagen. Wer war nur der Idiot, der sie angefahren hat? Und sie dann liegen ließ? Mein Gott, wie kann man das tun!« Peter blieb stehen. Trotz der Kälte stand ihm Schweiß auf der Stirn. Er wischte sich übers Gesicht.

      »Die Polizei fand große Mengen Medikamente in Mariellas Blut«, wagte Bella sich vor. »Weißt du davon?«

      »Das haben sie mir auch gesagt. Ein gewisser Kommissar Köhler.«

      »War sie krank?«

      »Mariella? Nein. Wieso?«

      »Woher hatte sie dann die Medikamente? Peter, das waren härtere Sachen als Aspirin.«

      Irgendwo sprang ein Wagen an. Das Geräusch verlor sich in der Nacht.

      »Ich habe keine Ahnung.« Er schwitzte jetzt stark. Der Mantel schlotterte um seinen mageren Körper.

      »Hat sie die nur einmal genommen?«

      »Worauf willst du hinauf?«

      »Möglicherweise hat Mariella euch gar nicht gesagt, dass sie harte Medikamente nimmt. Hat vielleicht eine Erkrankung verheimlicht.«

      »Pah! Nie im Leben! Das hätte ich gemerkt.«

      »Und der Hund? Ist in derselben Nacht verschwunden?«

      »Sieht so aus. Ich komme zurzeit recht spät heim. Es gibt gerade ziemlich viel zu tun. Außerdem bin ich allein im Büro.« Er wand sich. »Daher führt Mariella Lüneburg aus. Führte ihn aus.« Er biss sich auf die Lippen.

      Bella verstand ihn. Peter hatte von seinen Eltern ein Hausverwaltungsunternehmen übernommen. Die vielen Abendtermine spielten ihm nun in die Hände. Er wartete ab, bis das renitente Kind im Bett war, bevor er zu Hause aufschlug.

      »Marlon wird bald aus der Trotzphase raus sein«, versuchte sie ihn zu trösten. Peter Kessler war ein schüchternes Kind gewesen. Als ihre Tochter geboren wurde, war er ein verklemmter Jüngling mit Akne, der von seinen Altersgenossen wegen seiner Unbeholfenheit gehänselt worden war. Einer, dem man auf Dorffesten fiese Streiche spielte. Dennoch war er in Silldorf geblieben. Auf eine bescheidene Weise hatte er sich freigeschwommen. Zumindest sah es so aus.

      »Weißt du, wenn meine Eltern noch leben würden, dann wäre alles leichter. Mit dem Kind und so. Bevor Mariella bei uns wohnte, war Sabine immer allein für alles verantwortlich. Ich konnte keine Elternzeit nehmen. Also dachten wir, ein Aupair wäre ideal. Emilie war ein Reinfall. Wir waren so froh, dass es mit Mariella auf Anhieb klappte.« Er blieb stehen. Bella sah den Atem vor seinem Gesicht. Er keuchte vor Aufregung. »Morgen verständigt die Polizei in Florenz Mariellas Eltern. Mir bricht das Herz, wenn ich dran denke. Wir waren verantwortlich für sie. Ich meine, natürlich war sie erwachsen, aber dennoch … in einem fremden Land … Das fällt doch auf uns zurück.«

      »Du hast nicht mitbekommen, wie sie das Haus verließ?«

      Er schüttelte den Kopf. »Nein, ich bin noch mal weg. Eine Eigentümerversammlung in Zeil. Begann um halb acht und dauerte bis kurz nach zehn. Ich habe das der Polizei schon gesagt.«

      Bella konnte seine Verzweiflung förmlich riechen. In ihrer Tasche wirbelten die Drumsticks. Sie zog das Handy heraus.

      Hilde Kaminsky hat dich zur Gruppe »Nachbarschaft« hinzugefügt.

      Sie verdrehte die Augen.

      »Und Sabine? Was hat die an dem Abend gemacht?«

      »Sie nahm nach dem Abendessen ein Bad, sobald Marlon im Bett war. Lüneburg schlief immer vor Mariellas Zimmer. Wir haben ihr das Apartment im Souterrain überlassen. Sie hatte einen eigenen Eingang. Abends kriegten wir wenig von ihr mit. Da ging sie eigentlich nur ihre Runde mit Lüneburg.«

      »Absolut keine Spur von dem Hund?«

      »Überhaupt keine. Er ist wie vom Erdboden verschluckt.«

      »Beagles sind Jagdhunde! Ist er gern mal ausgebüxt?«

      »Im Gegenteil, er ist total anhänglich.«

      »Jedenfalls wäre es prinzipiell vorstellbar, dass er jemandem zugelaufen ist, als Mariella mit ihm Gassi ging. Hast du ein Foto von Mariella mit dem Hund? Oder nur von Lüneburg? Ich würde es gern veröffentlichen.«

      »Ich habe bestimmt ein, zwei Fotos auf dem Handy.«

      »Kannst du mir so schnell wie möglich eins schicken? Es eilt. Redaktionsschluss.«

      »Die Polizei will, dass ich Mariella identifiziere. Morgen früh muss ich das machen. Mein Gott, Bella!« Er packte sie am Arm. Angst flackerte in seinen Augen. Sein Atem roch sauer.

      »Das ist keine leichte Aufgabe. Aber du wirst das schaffen, Peter. Es hilft ja nichts.«

      »Nein. Es hilft nichts.«

      Bella dachte an gestern Nacht. An die zuckende Bewegung hinter Mariella, als sie die Hand des Mädchens gehalten hatte. War das Lüneburg gewesen? Doch ein Hund würde, wenn seine Bezugsperson bewegungslos im Schnee läge, winseln, bellen, sich irgendwie bemerkbar machen. Nicht einfach im Dunkeln verschwinden. Womöglich war er ebenfalls verletzt?

      »Ich muss los, Peter.« Behutsam befreite sie sich von seinem Griff.

      Er nickte nur.

      11

      »Diethard? Ich bin zu Hause!«

      Keine Antwort. Im Wohnzimmer brannte Licht. Man hörte die Stimme eines Nachrichtensprechers. Ein Blick