Wundersame Geschichten II. Detlev Stäcker

Читать онлайн.
Название Wundersame Geschichten II
Автор произведения Detlev Stäcker
Жанр Контркультура
Серия
Издательство Контркультура
Год выпуска 0
isbn 9783899692396



Скачать книгу

erschienen. Also zur ersten:

       * * *

       Als Oberst Burgess und seine Tochter in einem Sommer eine kurze Ferienreise an die Ostküste von Kent machten, um einen anderen alten Freund des Obersten, Mr Thornton White, einen Verleger und Zeitungsbesitzer, zu besuchen, kamen sie in die Gegend von Ramsgate. Der Freund zeigte ihnen die Umgebung und führte sie unter anderem zu den Ruinen eines Klosters, das seine Ursprünge auf den heiligen Augustin zurückführte, der hier schon in frühchristlichen Zeiten missioniert hatte. Das Kloster sei, wie er sagte, sehr reich gewesen, später von den Wikingern mehrmals überfallen und ausgeraubt, zunächst aufgebaut worden, bis beim dritten Mal die Mönche alle umgekommen seien und sich für lange Jahrhunderte niemand mehr um die Reste der Priorei gekümmert habe. Die sei verfallen und erst Ende des 19. Jahrhunderts wiederentdeckt und zu einem historischen Denkmal erklärt worden. In Begleitung des Aufsehers über das historische Denkmal, eines Kurator Blanes, gingen die Besucher erst durch ein kleines Museum und besichtigten dann die Ruinen der einstmals riesigen Anlage. Sie hatten sich in dem, was von der ehemaligen Klosterkirche übrig war, umgesehen und einige der Grabplatten mit den kaum noch lesbaren Inschriften besichtigt und gingen danach durch das Gemäuer der alten Abtei, als Blackie, der bis dahin Amy ruhig gefolgt war, einmal mit seiner tiefen Stimme bellte. Amy blieb stehen und beobachtete den Hund, der in einer Weise, die sie von anderen Fällen kannte, anzeigte, dass er etwas Wichtiges gefunden habe. Er stand über einer großen Steinplatte, die in der Ecke eines nur noch von Grundmauern gekennzeichneten Raumes eingelassen war, den man ›The Abbots Room‹ markiert hatte, also eines Raumes, der das Zentrum der ursprünglichen Priorei war.

      Auf Amys Zuruf blieben die drei Herren stehen und sahen dem Hund zu, der aufgeregt mit den Pfoten auf die Steinplatte tappte. Amy erklärte, dass ihr Hund diese Zeichen nur gebe, wenn er an einem Ort etwas Wichtiges gefunden habe. Der Kurator schien diesen Hinweis zunächst nicht ernst zu nehmen. Auf die Bemerkung von Oberst Burgess, dass er gelernt habe, dem Hund außergewöhnliche Fähigkeiten im Auffinden von Begräbnisstätten, vergessenen oder verlorenen Dingen und sogar Altertümern zuzutrauen, wurde er jedoch aufmerksam.

      »Merkwürdig, dass Sie das so betonen, Mr Burgess. Mir kommt dadurch eine alte Mär in Erinnerung, die wissen will, dass die Mönche der Abtei verstanden hätten, einiges von ihrem Reichtum vor den marodierenden Wikingern in Sicherheit zu bringen. Aber sie starben beim letzten Überfall ja alle und konnten nicht mehr reden. Eine Menge Leute sollen in den vielen Hundert Jahren nach einem solchen Schatz, von dem die Mär wissen wollte, gesucht haben. Nie wurde bekannt, dass tatsächlich etwas gefunden wurde.« Er schmunzelte. »Wenn es Sie tröstet: Ich werde morgen einmal mit Professor Elgan von Cambridge reden, der uns in wissenschaftlichen Fragen, die diese historische Stätte betreffen, berät. Vielleicht sieht der einen Sinn darin, der Aufforderung Ihres Wunderhundes zu folgen. Wir können heute, wie Sie wohl einsehen werden, kaum etwas unternehmen.«

      Nun musste auch Oberst Burgess lachen. Und die Gesellschaft wanderte weiter. Amy rief Blackie, der auf der Steinplatte sitzen geblieben war, ab, und der Hund folgte ihr, allerdings, wie es ihr schien, mit einigem Zögern.

       Drei Wochen waren vergangen, als sich Kurator Blanes telefonisch bei Oberst Burgess meldete und mitteilte, dass man die von seinem Hund gewiesene Spur auf Wunsch des wissenschaftlichen Beirats verfolgt habe und völlig unerwartet und in überreichem Maß fündig geworden sei. Unter der Grabplatte der angelsächsischen Adelsfamilie habe man Geröll gefunden, aber darunter den Zugang zu einer unterirdischen Krypta. Und in der habe man nicht nur Gräber früherer Äbte gefunden, die aus den Annalen des Klosters bekannt seien, sondern auch die sterblichen Überreste einer Reihe von Mönchen, die sich hier offenbar vor den marodierenden Wikingern versteckt hatten. Dazu habe unter anderem der letzte Abt Gero gehört, dessen Überreste man an seinen Insignien identifiziert habe. Im Übrigen sei dort unten der Schatz gefunden worden, von dem die Mär wusste und über den er bei dem Besuch der Burgess’ berichtet habe. Es handele sich dabei um silbernes kirchliches Gerät, einige beeindruckende Reliquien einschließlich eines kleinen Knochens von der linken Hand des heiligen Augustinus, der der ursprüngliche Stifter des Klosters war. Den Reliquiaren komme große Bedeutung zu. Ihr Wert sei schon wegen der Goldschmiedearbeit und der Juwelen unschätzbar. Darüber hinaus sei eine kleine Kiste mit goldenen und silbernen Münzen gefunden worden. Tatsächlich ein Schatz. Es sei eine Sensation. Ob der Oberst mit seiner Tochter und natürlich mit ihrem eindrucksvollen Hund Blackie nicht in vier Wochen zu einer Veranstaltung kommen wolle, in der diese neuen Funde der Öffentlichkeit vorgestellt werden würden. Selbstredend würde die Rolle, die ihr kürzlicher Besuch bei diesem großartigen Fund gespielt habe, nicht unerwähnt bleiben. Amy und ihr Vater entschlossen sich nach längerer Beratung, der Einladung nicht zu folgen. Aber sie nahmen mit großem Interesse zur Kenntnis, was in den nächsten Wochen über diese sensationelle Entdeckung in der Presse zu lesen war, und über die Rolle, die ihr außergewöhnlicher Hund beim Auffinden des Schatzes von St. Augustin bei Ramsgate gespielt habe.

       * * *

       »Eine ganz abenteuerliche Geschichte, liebe Frau Conston«, sagte ich, »und so großartig von Ihnen erzählt. Aber Sie müssen inzwischen ja heiser und Ihr Mund ausgetrocknet sein. Ich habe Ihre Großzügigkeit gegenüber meiner Neugier wirklich missbraucht. Es wird inzwischen dunkel und wir sollten hier nicht mehr viel länger sitzen bleiben. Erlauben Sie mir bitte, Ihnen einen Vorschlag zu machen. Ich würde zu gerne Weiteres hören, denn man ahnt ja geradezu, dass mit dem letzten von Ihnen erzählten Ereignis die Geschichte um Amy und Blackie nicht zu Ende ist, dass noch irgendetwas Spektakuläres kommen mag. Und das möchte ich nur zu gerne hören. Kann ich Sie nicht überreden, mit mir im ›The Lions Heart‹, wo ich logiere, das Abendessen einzunehmen? Man bekommt da einfache und gute englische Küche.«

      »Ich weiß, mein Herr. Ihre Einladung ist sehr freundlich ...«, sie zögerte, »... und etwas ungewöhnlich. Ich bin dort tatsächlich noch nie mit einem Gentleman zu einem Dinner gewesen. Andererseits: Es besteht ja wohl kein Verdacht, der meiner Reputation schaden könnte. Gut, erwarten Sie mich gegen halb acht. Nein, Ihre Hilfe brauche ich nicht. Die Entfernung kann man durchaus zu Fuß bewältigen.«

      Kurz nach der vereinbarten Zeit saß ich mit Jennifer Conston an einem kleinen Tisch im Lokal und bestellte das beste Gericht des Hauses, ›Veal Kidney Pot Pie‹, für 3.00 Pfund pro Person, das uns ausgezeichnet schmeckte. Sie trank dazu sogar wie ich einen leichten Bordeaux und nahm auf meine Anregung hinterher noch einen Nachtisch: einen dieser etwas übersüßen Trifles. Und Kaffee. Gesättigt lehnte sie sich auf ihrem Stuhl zurück und lächelte mich an. »Und nun muss ich liefern, nicht wahr?«

      Sie zögerte nicht und begann: »Die wichtigste und letzte Geschichte um Amy und ihren Hund Blackie war, wie soll ich sagen, ziemlich rätselhaft und unerklärlich. Es ging damit los, dass der alte Oberst Burgess, angeregt durch Erzählungen von Offizierskameraden aus früheren Zeiten, eines Tages seiner Tochter offenbarte, er möchte gerne gemeinsam mit ihr Ägypten besuchen, wo er für fünf Jahre seiner Dienstzeit stationiert gewesen und sie selbst ja auf die Welt gekommen sei.«

       * * *

       »Glaubst du denn wirklich, Papa, dass du die Reise schaffst? Immerhin bist du mit deinen 78 Jahren nicht mehr der Jüngste. Und hast du mir nicht oft genug erzählt, wie anstrengend die Zeit in Ägypten mit der Hitze und bei den sanitären Bedingungen oft war? Auch Mama hat sich oft genug beklagt und ablehnend reagiert, dass niemand sie je wieder in das Land der Fellachen, wie sie es nannte, zurückbringen könne.«

      Der alte Herr schmunzelte und nahm einen kleinen Schluck von seinem abendlichen Whiskey Soda. Vater und Tochter saßen vor dem Dinner regelmäßig für eine Stunde vor dem großen Kamin beieinander und redeten über die Angelegenheiten des Tages.

      »Danke für deine Besorgnis, mein Kind. Du redest wie deine Mutter. Du solltest mich nicht so negativ an mein Alter erinnern, sondern mich lieber loben, wie erstaunlich rüstig ich für mein Alter bin, fast wie ein Mittsechziger, oder wenn du willst, wie Blackie, der zwischenzeitlich ebenfalls in die Jahre gekommen ist. Nach der üblichen Rechnung, die das Lebensjahr eines Menschen mit sieben des Lebens eines Hundes vergleicht, ist er rechnerisch somit über neunzig. Und er ist bis heute kregel und wohlauf. Im Übrigen: Wir haben so viele Reisen gemeinsam gemacht, und alle sind mir gut bekommen.«

      »Und