Название | Wundersame Geschichten II |
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Автор произведения | Detlev Stäcker |
Жанр | Контркультура |
Серия | |
Издательство | Контркультура |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783899692396 |
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Amy Burgess war die einzige Tochter von Jonathan Burgess, dem pensionierten Oberst eines renommierten Infanterieregiments und seiner Frau Mary, einer geborenen Redcliffe, einer alten adeligen Offiziersfamilie. Amy wurde 1930 in Kairo geboren, als ihr Vater und sein Regiment Dienst in Ägypten taten. Nach dem Ausscheiden des Vaters aus der Armee 1937 kauften die Eltern das Haus in der Oak Lane in Weybridge und wurden unsere Nachbarn. Das arme Mädchen war durch eine frühe Erkrankung an Kinderlähmung stark behindert. Als ich sie kennenlernte, war sie gerade so weit, dass sie mit zwei Krücken wieder laufen gelernt hatte. Das Mädchen tat mir von Herzen leid. Ich war damals Ende zwanzig. Wie oft bin ich mit ihr durch den Garten oder auf dem Village Green spazieren gegangen. Dabei habe ich sie besser kennengelernt und bewundert, mit welcher Energie sie sich bemühte, die Folgen der Krankheit zu überwinden und ihr Handicap zu meistern. Das hat sie ja auch geschafft, jedenfalls so weit, dass sie nach einer gewissen Zeit nur noch einen Handstock brauchte und sich damit mühelos bewegen konnte, wenn sie nicht gerade in schwierige Situationen kam. Davon wird später die Rede sein.
Amy wurde zunächst zu Hause unterrichtet, kam, als sie einigermaßen laufen konnte, auf ein ausgezeichnetes Internat im Westen Surreys, nicht weit von Weybridge, wo man auf ihre Behinderung Rücksicht nahm. Sie entwickelte sich geistig hervorragend bis zur Collegereife. Die Weiterbildung auf einem College oder an einer Universität glaubten die Eltern ihrer Tochter jedoch nicht zumuten zu können. Da sie – besonders vonseiten der Mutter – recht vermögend waren, kam es nicht so darauf an, dass sie später ihr Brot als Lehrerin oder in einem anderen Beruf verdiente, der eine Collegeausbildung voraussetzte. Im Übrigen ging es Mrs Burgess zu der Zeit gesundheitlich nicht mehr so gut. Sie wollte ihre Tochter deswegen gern in ihrer Nähe haben. Da die aber selbst darauf bestand, etwas außerhalb des eigenen Haushalts zu tun, schon allein, um sich nicht ganz der Welt zu entfremden, schlug ihr Vater ihr nach einem langen Gespräch mit Geoffrey Merskin, dem Seniorpartner der Anwaltsfirma Merskin & Threadwell in Weybridge, die auch das Familienvermögen verwaltete, vor, sich zur Anwaltsgehilfin ausbilden zu lassen. Mit einer solchen Tätigkeit blieb sie in Weybridge und hatte die Aussicht, eine gewisse Selbstständigkeit zu erreichen. Ein Vorteil, dachten die Eltern, war zudem, dass sie bei einer solchen Ausbildung darüber hinaus die Dinge lernen werde, die ihr als zukünftiger Erbin des Vermögens ihrer Eltern nützlich sein würden. Sie hatten ebenfalls bedacht, dass man in einem so eng befreundeten Unternehmen auf ihre Behinderung Rücksicht nehmen würde. Das alles überzeugte Amy, und sie widmete sich der Ausbildung mit der ihr eigenen Zielstrebigkeit und Energie. Nach zwei Jahren machte sie die vorgeschriebenen Prüfungen mit bestem Erfolg und wurde von Mr Merskin als Anwaltsgehilfin eingestellt und mit zunehmend vertrauensvollen Aufgaben beschäftigt.
Nicht viel später starb ihre Mutter, die lange leidend gewesen war, und der alte Oberst blieb mit seiner Tochter und einer ältlichen Haushälterin allein. Als diese aus Altersgründen das Haus verließ, übernahm Amy nach besten Kräften die Versorgung des Haushalts, unterstützt von einer Zugehfrau.
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Ich bin mir bewusst, mein Herr, dass das, was ich Ihnen bisher erzählt habe, bei einem Fremden nicht mehr als ein höfliches Interesse erwecken kann. Aber man muss doch die allgemeinen Umstände und wichtigsten Personen kennen, wenn die Geschichte verständlich sein soll, so wie es kein Bild ohne einen guten Rahmen, keine wohlschmeckende Frucht ohne Schale gibt. Ich komme schon gleich zu den Dingen, die Ihr Interesse geweckt haben.
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Der tägliche Weg zur Arbeit ins Büro der Rechtsanwaltsfirma Merskin & Threadwell an der Church Street in Weybridge führte Amy Burgess durch die Baker Street an der Tierhandlung des alten Wesley McBridle vorbei, in dessen Schaufenster es immer ein paar Vogelkäfige mit den schönsten Vögeln und auch ein paar Aquarien mit tropischen Fischen zu sehen gab. Und da das Futter für die beiden Beos, die Amy zu Hause in einer großen Voliere im Wintergarten hielt, wieder einmal zur Neige ging, betrat Amy auf ihrem Heimweg den Laden an einem späten Nachmittag. Wie üblich bei solcher Gelegenheit kam sie mit dem alten McBridle ins Gespräch, fragte ihn nach neuen Vögeln und ihrer Herkunft und danach, was es in seiner Tierwelt sonst Neues gebe.
»Ach wissen Sie, Amy«, meinte Wesley McBridle, »das Geschäft geht zurzeit recht schleppend. Kein Mensch interessiert sich mehr für exotische Vögel. Nicht mal einen Kanarienvogel habe ich in den letzten vier Monaten verkaufen können. Was mein Geschäft am Laufen hält, ist der ›Kennel‹ hinter dem Haus. Ich habe augenblicklich acht Gäste von Leuten aus dem Ort, die in den Ferien sind. Hören Sie sich nur den Krach an!« Er öffnete die rückwärtige Tür zum Hof. »Ist ja kein Wunder. Die fühlen sich verraten und verkauft. Ich habe schließlich keine Zeit mit den zum Teil doch sehr verwöhnten Tieren zu spielen. Übrigens habe ich auch ein paar Hunde zum Verkauf, die glücklicherweise nicht so einen Krach machen. Ein paar Border-Collie-Welpen und einen jungen Hund, einen Rüden, von einer Rasse, die nicht einmal ich kenne. Ein ganz sonderbares Tier, wie es mir eigentlich noch nie begegnet ist. Er ist sehr ruhig, immer höflich, meldet sich nie, frisst, was er bekommt und sieht einen mit seinen grünen Augen nur an, als sei man Luft. Ich sage Ihnen, ein ganz sonderbares Tier.«
Amy, die für alles, was zum Tierreich gehört, Interesse hatte, wenn man einmal von Spinnen und Kriechtieren absah, trat neugierig durch die Tür. Im ersten Zwinger in der langen Reihe des Kennels lag auf dem sauberen, mit Sägespänen bestreuten Boden ihr zugewandt ein großer, schlanker Hund mit glänzend schwarzem Fell und buschiger Rute. Der Kopf mit einem ziemlich langen Fang und großen, aufgestellten spitzen Ohren, lag auf den Vorderläufen. Die weiten grünen Augen sahen ruhig in die Welt. Man hatte den Eindruck, als wenn sie nicht wahrnahmen, dass gerade zwei Menschen vor dem Zwinger aufgetaucht waren. Die Rute blieb ruhig und auch die Ohren spielten nicht.
»Was für ein schönes Tier«, dachte Amy und hockte sich vor den Zwinger, um den Hund besser betrachten zu können. Zunächst änderte sich nichts, er sah durch sie hindurch in eine andere Welt. Amy machte ein paar begütigende Geräusche und sagte dann ruhig: »Es ist schade, dass du nicht mit mir reden kannst und offenbar auch nicht willst. Du bist ein schönes Tier und ich bewundere dich.«
Es war, als wenn der Hund sie verstanden habe. Obwohl er sich nicht regte, hatte Amy das deutliche Gefühl, dass sich der Fokus seiner Augen änderte, er sich auf sie einstellte und sie zur Kenntnis nahm. Die Augen schienen sogar größer zu werden und sich den Weg in ihre Augen zu suchen, ehe er sie schloss.
Amy stand auf und wandte sich Wesley McBridle zu.
»Ein recht außergewöhnlicher Hund. Sie wissen nicht von welcher Rasse? Wo haben Sie ihn eigentlich her?«
»Keine Ahnung, welche Rasse; ich habe in meinen Hundebüchern nachgesehen und nichts gefunden; jedenfalls keine Züchtung aus unserem europäischen Bereich, andererseits kann es keine Zufallskreuzung sein, was wir ›Promenadenmischung‹ nennen. Dafür ist er – wie soll ich es nennen? – zu edel. Das sieht man doch gleich. Ein junger Mann hat ihn mir vor ein paar Wochen gebracht und fast geschenkt. Er hatte den Hund aus Ägypten mitgebracht, wo er als Soldat stationiert war. Er konnte ihn nicht mehr halten, weil er einen Job in Übersee angenommen hatte und ihn nicht mitnehmen wollte. Im Übrigen sagte er mir, dass er mit dem Hund nicht richtig fertig geworden sei. Er habe nie eine Beziehung zu ihm aufbauen können.«
Inzwischen standen die beiden wieder im Laden und Amy bezahlte das Vogelfutter.
»Wären Sie vielleicht an dem Hund interessiert, Amy?«, wollte Wesley McBridle wissen, und man merkte, dass ihn die Frage einige Überwindung gekostet hatte.
»Ich? Oje, was soll ich mit so einem Riesen, Mr McBridle? So schön und irgendwie merkwürdig das Tier ist, ich habe genug mit meinen Beos zu tun. Wo soll der Hund denn bei uns bleiben? Glauben Sie nicht, dass mein Vater sich bedanken würde, wenn ich ihm so einen Koloss ins Haus holen und seiner Aufsicht überantworten würde, wenn ich nicht da bin? Und ich habe den Verdacht, dass unsere Hilfe sofort kündigen wird, wenn ich mit ihm ankomme. Nein, nein. Kein Gedanke. Wer soll denn für ihn sorgen?« Und damit verabschiedete sie sich.
Abends beim Abendessen mit ihrem Vater beschrieb sie ihm das Erlebnis. Der alte Herr schmunzelte zunächst, besann sich dann und fragte